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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

2. 4. 2014 - 13:48

Lichter der Tanzfläche

G. und W. sind ganz normale Burschen. Der eine studiert Physik und der andere Bratsche. Sie sprechen normal, sie unterhalten sich normal mit allen Menschen.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

G. und W. sind normal intelligent und normal aussehend. Die ganze Normalität verschwindet, wenn ein weibliches Wesen in ihre Nähe kommt. Es ist ganz egal, ob blond oder brünett, groß oder klein, klug oder nicht so. In dem Moment, wenn ein Wesen im Rock in der Nähe ist, ändern sie sich komplett. G. fängt an Gedichte zu rezitieren. W. hingegen glotzt alle wie wahnsinnig an. Laut G. sind alle Frauen Lyrikfans und für W. sind Glubschaugen ein sicheres Zeichen der Männlichkeit.

Diese Jungs, mit denen man normalerweise ein normales Gespräch über die Chaostheorie oder über die erste Symphonie von Brahms führen könnte, verengen ganz plötzlich der Kreis ihrer Interessen. Die Gedichte, die G. vorträgt, sind meistens unglaublich weinerlich und pathetisch und W.s Augen könnten jeden Moment seinen Augenhöhlen entspringen.

Vor Kurzem geschieht folgendes: Ich versuche G. zu erklären, dass er sich gerade in einem Club befindet, wo die Musik derart laut ist, dass es keinen Sinn macht, Gedichte zu rezitieren. Er glaubt, dass ich ihm die Mädchen klauen will und fährt mit der nächsten Strophe fort. W. versuche ich zu erklären, dass er nicht wie Arnold Schwarzengger, der Gefühle ausdrücken will, starren soll. Er ärgert sich und verdächtigt mich ebenfalls, seine Konkurenz zu sein.

Tanzfläche in Disco

CC BY-SA 2.0 / Golddragon24

Jetzt bin ich an der Reihe mich zu ärgern und gehe auf die Seite. Seit sehr jungem Alter weiß ich, dass, wenn ich still gehalten habe, alle Erwachsenen anfingen sich für mich zu interessieren. Ich erinnere mich, wie ich mich sehr nach einem Lastwagen mit blauer Karosserie sehnte. Ich fragte meine Eltern nach einem. Niemand beachtete mich. Ich schrie, wälzte mich verzweifelt auf dem Boden und versteckte mich in der Garderobe. Das brachte nichts. Alles wurde aber anders, als ich schließlich leiser wurde, mich auf dem Boden hinsetzte und anfing in eine Richtung zu starren. Alle Erwachsenen versammelten sich um mich herum und begannen sich zu fragen, was mit dem Kind jetzt plötzlich los sei. Sie fragten mich, aber ich schwieg beharrlich weiter. Dann erinnerte sich jemand, dass ich mir einen blauen Lastwagen gewünscht hatte. „Mit blauer Karosserie“, sagte ich leise und schaute weiter auf einen Punkt. Nach einer Stunde hatte ich meinen Lastwagen.

Jetzt stehe ich und schaue mir die bunten Lichter der Disko an. Die beiden Mädchen, die G. und W. zu beeindrucken versucht haben, kommen zu mir und fragen mich, was mit mir los sei. Ob sie mich irgendwie vernachlässigt hätten. Danach zerren sie mich auf die Tanzfläche. Ich kann nicht so gut tanzen und die beiden Mädchen sind belustigt von meinen Tanzkünsten. In der halbdunklen Disko sehe ich, dass W. und G. mich bestürzt anschauen. Nach einiger Zeit entkomme ich der Tanzfläche, wo die Körper der Menschen zu einer homogenen Menschenmasse verschmolzen sind. G. und W. versuchen es bei zwei anderen Mädchen. G. weht mit seinen Händen herum – ein sicheres Zeichen, dass er wieder beim Rezitieren ist. W. steht in seiner Schwarzenegger-Pose. Genau wie in der ersten Szene von „Commando“, wo Arnie einen Baumstamm auf seiner Schulter trägt. Ich lasse sie alleine ihre Nummer weiter versuchen.