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Sammy Khamis

Are you serious...

9. 4. 2014 - 18:03

Feinster Pop aus dem Libanon

Mashrou' Leila ist die Indie-Band in der arabischen Welt. Sie haben einen offen homosexuellen Sänger, politische Lyrics und tanzbare Refrains - und sie haben Probleme mit der Zensur.

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Albumreviews, Bandporträts und Konzertberichte

"Es ist nicht leicht für uns", eröffnet Gitarrist Firas das Interview. Wir sitzen in einem neu gebauten Hotel in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. "Die Zensur in der arabischen Welt verhindert es, dass wir unser neues Album in allen Ländern im Nahen Osten veröffentlichen können." Schlagzeuger Carl füg hinzu: "Wir müssen in jedem Land zur Polizei, damit wir in jedem Land ein Okay von der Zensurbehörde bekommen. Aus dem Libanon, aus Jordanien, aus Saudi Arabien. Manchmal", so Carl mit einem Kopfschütteln, "kann es zehn Jahre dauern bis ein Album durch ist. Und dann ist natürlich alles out of date."

Mashrou' Leila [zu Deutsch: nächtliches Projekt, da die Band die ersten Alben in langen Nachtsessions in ihren Schlafzimmern aufnahm] aber ist alles andere als aus der Zeit gefallen. In zwei Konzerten Ende 2013 in Ägypten zeigen sie, wie aktuell ihr unaufgeregter Pop-Musik ist.

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Mashrou' Leila auf dem Dach des Cinema Rio in Alexandria

In den Songs der fünf Libanesen (das sechste Mitglied Omaya Malaeb drückt nur unregelmäßig die Tasten), die der offen homosexuelle Sänger Hamed Sinno schreibt, geht es immer wieder um die aktuellen Themen der Region: Nationalismus, Patriotismus, Suche nach Individualität und auch Sexualität. Zu ihren Konzerten kommen Mädchen aus der liberalen Mitte und aus den konservativen Kreisen der Gesellschaft. Alle singen bei Liedern wie ale babu ["an seiner Tür"] mit, in der es um die nicht erwiderte Liebe zwischen dem Sänger und einem anderen Mann geht.

Sammy Khamis // Park15

Sänger Hamed Sinno

Crowdfunding macht Indie

Es sind Konzerte, wie sie Masrhou' Leila seit gut einem Jahr in Europa, vor allem aber im Nahen Osten spielen, die die Gruppe immer bekannter und beliebter machen. In Ägypten, Tunesien, dem Libanon und Jordanien füllen sie Hallen mit ihrem unaufgeregten und energetischen Indie-Pop.

"Wir müssen viele Konzerte spielen", meint Sänger Hamed, "denn wir haben kein Label, keinen Vertrieb und auch iTunes wird unsere Songs nicht verkaufen." Für die Verbreitung haben sie ja ihre Fans. Die laden die Songs der Band auf alle möglichen Plattformen hoch. Dort kann man sie dann umsonst und illegal herunterladen. Wobei illegal, was heißt das schon - das Album hat die Band durch Crowdfunding finanziert. Die Verbreitung der Musik ist für die fünf Libanesen deshalb auch irgendwie Aufgabe der Crowd.

Studio von Arcade Fire - Songs gegen Patriotismus

"Mit dem Hashtag #occupyarabpop haben wir letztes Jahr eine Twitter Kampagne gestartet, die uns 60.000 Dollar für unser neues Album einbrachte", resümiert Schlagzeuger Carl. "Mit dem Geld konnten wir alles völlig unabhängig machen. Eigenes Design und einen eigenen schönen Klang im Studio von Arcade Fire aufnehmen. Wir sind durch das crowdfunding wirklich indie geworden."

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Und natürlich durch ihre Musik - irgendwo zwischen Pop und Politik. Ihr Song Lel Watan [für die Nation] bringt das auf den Punkt.
"Bei Lel Watan", erinnert sich Sänger Hamed Sinno, "hatten wir zuerst diese super catchy Melodie und dann diese schweren ernsten Textzeilen. Durch die Mischung entsteht die Spannung, die unsere Musik ausmacht."
Im Refrain von Lel Watan heißt es: Sie bringen dir die Nationalhymne bei und bläuen dir ein, dass es gut ist zu leiden - für die Nation.

"Wir waren gerade mitten in den Aufnahmen zu Lel Watan in Montreal, als wir den Text nochmals veränderten. Wir bekamen im Studio mit, dass eine Bombe in Beirut hochging - und natürlich beeinflusst uns das. Der Song wurde viel kritischer, als wir es anfangs wollten."

Mashrou' Leila macht Musik, die sich melodisch und handwerklich an den internationalen Pop-Geschmack anschmiegt. Aber sie sind auch die Repräsentanten einer neuen, selbstbewussten arabischen Nachwuchsriege, die auf arabisch singt, die sich um Konventionen nicht schert und die international immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Wie auch die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan, die in Jim Jarmuschs Only lovers left alive zu sehen war.

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Polizisten auf Konzerten - Zensur in der arabischen Welt

Fame und Solidarität zwischen Beirut und Rolling Stone

Die fünf Musiker aus Beirut haben es auch auf das Cover der April-Ausgabe des Rolling Stones geschafft. Sie sind also auf ihrem Weg Richtung Pop-Zenith. Gleichzeitig vergessen sie ihren politischen Zugang nicht. Am ersten Aprilwochenende spielen sie ein Solidaritätskonzert für syrische Flüchtlingskinder im Libanon.

Es sind die Künstler, die aus einer verlorenen Bürgerkriegsgeneration zu Stimmen der arabischen Revolten und Revolutionen geworden sind. Nicht im plumpen aktivistischen Sinn.

"Das, was in Ägypten passiert ist, was wir in Tunesien und in frustrierender Weise auch in Beirut erlebt haben, hat uns verändert. Auch wenn die Revolten nicht erreichen, auf was sie abgezielt hatten: Zum ersten Mal in unserem Leben haben wir ein Gemeinschaftsgefühl. Wir können heute sagen: Wir kommen aus dem Nahen Osten, dem Neuen Nahen Osten und fühlen uns dabei nicht schlecht."