Erstellt am: 16. 4. 2014 - 10:19 Uhr
Der Sieg des Kapitals
Westend Verlag
Wer ist schuld an der Krise? Die Banken, die Gier, die wild gewordenen Spekulanten? Oder die Staatsschulden, die Politiker, der Euro gar? Der Kapitalismus, die Finanzmärkte, Goldman-Sachs, die Ratingagenturen, der Neoliberalismus, die USA, der Staat und/oder alle zusammen?
Ein Blick in die Geschichte
Die Bücher über Ursachen und Lösungen der Krise sind ebenso zahlreich wie die Schuldigen, die aufgezählt werden. Doch wenn man sich mit der aktuellen Lage nicht auskennt, dann hilft ein Blick in die Geschichtsbücher. Und wenn man den Kapitalismus ändern möchte, damit er die Reichen nicht immer noch reicher macht und die Armen immer mehr werden lässt, dann hilft es zu wissen, wie er funktioniert. Genau das war Ulrike Herrmanns Motivation, dem Krisenkanon noch ein weiteres Werk hinzu zu fügen.
In ihrem Buch „Der Sieg des Kapitals“ erklärt sie genau das: wie der Kapitalismus funktioniert, und warum er zu dem wurde, was er ist. Schon der Titel drückt es aus: Herrmann geht es sowohl um den Siegeszug des Kapitalismus als auch um die Machtverhältnisse, die er mit sich bringt.
Warum werden die Reichen immer reicher?
© Herby Sachs / WDR
Ulrike Herrmann hat Wirtschaftsgeschichte und Philosophie studiert und leitet die Wirtschaftsredaktion der linksalternativen tageszeitung. Im Westend Verlag ist zuletzt auch ihr Buch "Hurra, wir dürfen zahlen – Der Selbstbetrug der Mittelschicht" erschienen.
Wie ist der Kapitalismus entstanden und warum hat er eine solche Kraft? Warum gibt es immer wieder Krisen? Braucht der Markt den Staat? Warum werden die Reichen immer reicher und die Armen immer mehr? Ulrike Herrmanns Stärke ist es, abstrakte und komplexe Zusammenhänge so einzuordnen, dass sie nicht nur verständlich werden, sondern sogar spannend wie ein Roman.
In vier Teilen und insgesamt 20 Kapiteln beschreibt sie, wie und warum der Kapitalismus ausgerechnet im Nordengland des 18. Jahrhunderts entstand und nicht etwa im damals viel reicheren China – oder gar schon im antiken Rom. Sie erzählt die Geschichte der Krisen und Finanzblasen der letzten 200 Jahre, was den Kapitalismus von heute von dem des 19. Jahrhunderts unterscheidet und dass es viele Dinge, die wir heute als Übel bezeichnen, schon ganz lange gibt – zum Beispiel spekulierten schon die Babylonier mit Nahrungsmitteln, um sich vor den Unberechenbartkeiten des Wetters abzusichern.
Anschaulich und spannend
Anschaulich und ohne jemals belehrend zu wirken, erklärt Ulrike Herrmann, warum Finanzprodukte, die Jahrtausende lang funktioniert haben, in den letzten Jahrtzehnten die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt haben – und welche politischen Maßnahmen es bräuchte, um das rückgängig zu machen.
Aber sie wird auch grundsätzlicher und erklärt den Unterschied zwischen Geld und Kapital, warum Zinsen und Inflation nicht per se schlecht sind und Gold nicht per se gut ist, und sie erklärt, was der Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus ist und warum er nur mit Staat und Wirtschaft funktioniert. Sie zitiert Philosophen aus allen Epochen und Ökonomen aus allen Lagern: Schumpeter und Adam Smith, Keynes und Milton Friedman – und sie schreckt auch weder vor Marx und Engels noch vor Spekulanten wie Warren Buffet oder George Soros zurück.
Ulrike Herrmann versteht es meisterlich, trockene Materie anschaulich zu machen und Wirtschaft spannend zu erzählen, auch weil sie sich immer wieder auf die aktuellen politischen Debatten der Euro- und Bankenkrisen bezieht.
Fabelhafte Grundlage für ökonomische Debatten
Ein Interview mit Ulrike Herrmann zu ihrem Buch "Der Sieg des Kapitals" findet sich bei meinbezirk.at.
Einen kleinen und zwei große Schwachpunkte hat das Buch: Herrmanns kleine Seitenhiebe auf „die Neoliberalen“ sind meist eher oberflächlich und damit entbehrlich. Und ihre Perspektive auf den Kapitalismus bleibt eine des Nordens, das relativiert sie erst am Ende des Buches, wenn es um die Herausforderungen der Zukunft geht – ebenso wie das riesige Problem, wie ein auf permanentes Wachstum ausgerichtetes System mit endlichen Ressourcen umgehen kann, Stichwort Klimawandel. So kommt die Autorin letztendlich auch zu dem Schluss, dass das Ende des Kapitalismus abzusehen ist.
Insgesamt aber ist „Der Sieg des Kapitals“ eine fabelhafte Grundlage für ökonomische Debatten aller Art.