Erstellt am: 1. 4. 2014 - 16:47 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 01-04-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Die zeitlose Sucht nach dem Normiert-Sein und ihr Heute
#jugendforschung #jugendkultur #konsumismus #konformismus
Ich bin ja keiner, der am mittlerweile von Rechtsaußen in den Mainstream und auch in sich für kritisch haltende Kreise gewanderten Bashing der Jugendforschung, der gedankenlosen Spötterei der Medien und der Ignoranz der Definitionsmächtigen teilnehmen mag. Im Gegensatz zur (noch dazu von Interessensvertretern und Lobbys gesteuerten) reinen Kaffeesudleserei der sogenannten Wirtschaftswissenschaften ist dieser Zweig der Sozialforschung nämlich topseriös und bildet - nach intensiven Gesprächen mit jungen Menschen und gezielter Untersuchung des Umgebungsklimas - die Lebenswelten des von den Älteren immer unverstandenen Nachwuchses recht genau ab. Da sich auf der Basis internationaler Entwicklungen für das leicht hinterherhinkende Österreich dann auch tatsächlich sowas wie kurzfristige Prognosen gestalten lassen, kann die Jugendforschung an Exaktheit durchaus mit einigen naturwissenschaftlichen Zweigen mithalten und überragt die Wirtschafts-Prognostiker deutlich.
So ist auch die jüngste Studie des Instituts für Jugendkulturforschung zur Generation Selfie weder aufgesetzt noch unrepräsentativ. Und auch wenn der geneigte Österreicher den Begriff erst seit der Oscar-Nacht und nicht schon länger kennt, heißt das nicht, dass hier auf einer kurzfristigen Welle gesurft wird: es geht um durchaus Tieferschürfendes.
Studienleiterin Beate Großegger spricht es so an: "die Generation Selfie ist eine Generation von Normopathen, die sich lieber am Geschmack der Masse orientiert, als eigenwillig mit Individualität zu experimentieren und im Körperbild ganz bewusst auf Brüche mit der Norm zu setzen". Und das Selfie, das sichzurschaustellende Selbst-Portrait, ist das Synonym des Gefälligen und Ausdruck der ästhetischen, von Medien- und Werbe-Normen geprägten Standards.
Sich und seine Peer-Group als ungewöhnlich wahrzunehmen/auszustellen, seinen Individualismus rauszustreichen, den Teenager-Widerstand in Optik/verbal/symbolisch zu demonstrieren - das war gestern. Heute ist Anpassung, Unterordnung, Obedience gefragt. Und dann kommt auch noch ein feines Buzzword dazu: der Begriff des Normopathen.
Normopathie wurde bislang wenn überhaupt in soziopolitischen Traktaten oder im psychosozialen Umfeld erwähnt - jetzt kommt die mediengerechte Einordnung für einen neuen, noch frischen und Buchmarkt-tauglichen Generationen-Begriff: die Normies.
So weit so schlecht.
Denn wenn man einen Schritt zurücktritt, und sich abseits der schnellen, schnieken Schlagzeile, der eiligen und entsprechend unüberlegten Zustimmung zusammenreißt, die Sicht auf die eigene Vergangenheit von der klischeefarbenen Patina-Schicht befreit, dann wäre eine andere Erkenntnis möglich: dass die Generation Normie, dass der Normopath immer schon, zu jeder Zeit und in jeder Zivilisation der absolute, meist flächendeckende Normalfall (und zwar in jeder menschlichen, also normophilen Gesellschaft) war.
Das Herausstreichen der paar Prozent Widerständigen hat seit den späten Sechzigern Tradition, verkommt aber mittlerweile zur Folklore, dient zur Verhöhnung der jeweils jüngeren Generation durch die jeweils ältere, die sich in ihrer Sturm-und-Drang-Phase als radikaler erachtet hat, wiewohl sie mit dem Erwachsenwerden ihre General-Unterschrift unter eine pauschale Verzichterklärung auf alles jenseits einer eingefahrenen Norm geleistet haben.
Natürlich hat der neoliberale Prekarismus, der die Gesamtgesellschaft massiv im Würgegriff hält, vor allem Zugriff auf die noch nicht Gesetzten und Geerdeten. Und selbstverständlich läuft das derzeit herrschende System auf etwas hinaus, was sich nur unwesentlich von der brutal bitteren Satire in 15 Million Merits, Teil 2 der Black Mirror-Reihe, die euch Christian Fuchs sicher schon gestern hier schmackhaft gemacht hat, unterscheiden wird. Dass nämlich die bislang (scheinbar noch) freiwillige Anpassung durch Normierungsdrang unter rein ökonomischen Richtlinien von außen in echten Zwang umschlagen wird.
Trotz all dessen: die Normophoben, die Systemverweigerer/-ablehner, jene die einen echten individuellen Traum leben, waren und sind - außerhalb einer von Marie-Antoinette bis Roland Düringer reichenden ökonomisch unabhängigen Oberschicht - so selten wie der sich als schwul bekennende Fußballer, der politisch korrekte Zur Zeit-Redakteur oder das vierblättrige Einhorn. Die Normophilen hingegen und auch die Normopathen, also jene, die die Hingabe ans Normale, an den Mainstream als Mittel zur Ausgeglichenheit brauchen, jene, die Abweichlertum jeder Sorte nervös/krank macht, sind und waren immer die große, dicke, fette Mehrheit.
Mir ist die Motivlage der Jugendforscher völlig klar. Angesichts einer durchaus gefährlichen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hin in Richtung der Auslieferung an neue neoliberale Eliten und der Einziehung drastischer Normierungs-Vorhaben (unter dem Vorwand der Handhabbarkeit) warnen sie, die als eine der wenigen gesellschaftliche Entwicklungen auch noch philosophisch hinterfragen können, mit drastischen Mitteln, wie der Einführung von drastischen Begriffen.
Und der der Generation Normopathie hätte schon das Potential den halbwegs kritischen Konsumenten zum Innehalten, Abchecken und Nachdenken über den Themenbereich Bedürfniserfüllung, Anpassung & Individualität zu bringen.
Ich kenne aber auch die Motivlage der Medien: Ihnen ist der Blick aufs Größere ebenso wurscht wie ihr Auftrag zur Aufklärung und Bildung. Also wird nur das transportiert, was fährt: und zwar auf der banalgleisigen Vorurteils-Linie. Deshalb sind es ausschließlich die Jungen, die nächste, wohl eh wieder völlig verlorene, patscherte, sprach- und wehrlose Generation, die sich nicht mehr nur als stinknormal, sondern auch noch als norm-geil und normierungssüchtig erweist. Wir haben's ja geahnt, vollständiger Werteverfall, alles Deppen... - viel mehr kommt da nicht an.
Dass die nur scheinbar neue Normopathie unser aller Hauptzustand ist, wie sehr wir drunter leiden und wohin sie uns mit gps-artiger Präzision leiten wird, das wird - solange sich Medien und Industrie darauf verständigen es als halblustiges Generationen-Spiel zum Gaudium der Kurzdenker vorzuführen - kein Thema sein.