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Heinz Reich

Pfeffer im Arsch und wohin einen das bringt: Offroad, leftfield, backcountry - just trippin' out...

1. 4. 2014 - 12:17

Angst und Euphorie

Der Kampf um den Weltmeistertitel der Freeride World Tour wurde entschieden beim Showdown am legendären Bec des Rosses in Verbier.

Nach einer Woche des Wartens auf perfekte Bedingungen hat der Wettkampf endlich stattfinden können, auf den alle eine ganze Saison lang hingefiebert haben. Nur die 34 Besten der Besten haben sich während einer schwierigen Saison fürs Finale qualifiziert. Der Xtreme Verbier ist der Contest, aus dem die Freeride World Tour (FWT) hervorgegangen ist – die Geschichte der Legende erzählt dieser Clip. Verbier ist das Kitzbühel der FreeriderInnen, der Bec des Rosses die Streif, also unbestritten die ultimative Herausforderung für SkifahrerInnen und Boarder:
Start: 3222m
Steilheit: 50-60°
Höhenunterschied: 600m
Ausrichtung: Nord

Physiognomie eines Felsmassivs

Stefan Häusl, Österreichs erfolgreichster Freerider, beschreibt die Problemstellung sehr treffend: „Der Bec des Rosses ist der schwärzeste Berg, den ich kenne. Das ist eine riesige Felswand mit ein bisserl Schnee drauf. Rund herum herrscht tiefster Winter, alles ist prächtig weiß, aber wenn du dir diesen Berg ansiehst, dann siehst du extrem viele dunkle Flächen. Auf den ersten Blick glaubt man nicht, dass man da hinunter fahren kann. Aber dann setzt du dich am Gegenhang hin, schaust dir diesen Hang stundenlang an und mit der Zeit findest du ein paar potenzielle Wege hinunter.“

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Das „stundenlange Anschauen vom Gegenhang“– Terminus technicus: „Face Inspection“ - ist bei Big Mountain Contests der Schlüssel zum Erfolg und setzt beeindruckende mentale Fähigkeiten und viel alpine Erfahrung voraus. Nur wer in der Lage ist, sich einen 600 Meter hohen zerklüfteten Berghang wie ein Gesicht (Face) einzuprägen, sich jeden Couloir, jedes Cliff, jeden Geländeübergang, jeden Absprungwinkel und jeden Landebereich genau einzuprägen, kann am Wettkampftag im Renntempo durchs Felslabyrinth fetzen.

hiken

D.Carlier/FWT

Das Befahren des jeweiligen Bergs ist ein Monat vor dem Contest verboten. Damit die RiderInnen trotzdem einen genauen Eindruck von der Schneebeschaffenheit im Contest-Face bekommen, dürfen sie vor dem Contest gemeinsam raufhiken und können so einige der Schlüsselstellen auch von der Seite und von oben inspizieren. Diese Begehung ist ein intimes Ritual – Fans und Medienvertreter müssen hier von unten bzw. weit weg zusehen. Dementsprechend ausm Häusl vor Freude und Überraschung bin ich, als ich heuer als einziger der internationalen Journalistenhorde früh morgens mit den Ridern zur Face Inspection auf den Gipfel hiken darf:

Aufstieg

D.Carlier/FWT

interview mit heitz

D.Carlier/FWT

Interview mit Jérémie Heitz (SUI)
fabio

Fabio Studer

Fabio Studer (AUT) fühlt sich wohler, wenn die Ski angeschnallt sind...

Hin- und hergerissen zwischen professioneller Neugier und taktvoller Zurückhaltung hole ich das Mikro nur raus, wenn ich das Gefühl habe, nicht zu stören und beobachte ansonsten einfach nur diskret. Die Rider selbst sind bei der Face Inspection sehr konzentriert und überaus kollegial. Zwischendurch nehmen sie sich gegenseitig auf die Schaufel, um die Spannung zu lockern. Zu Konkurrenten werden sie erst am Wettkampftag - bei der Vorbereitung hat niemand hier Geheimnisse. Sie reden sehr offen über ihre Lines und ihre Einschätzungen der Schlüsselstellen.

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Samuel Anthamatten

Samuel Anthamatten/FWT

Samuel Anthamatten (SUI) am Gipfel des Bec

Veteranen wie Aurelien Ducroz (FRA), Steve Klassen (USA), Stefan Häusl (AUT) oder Xavier de le Rue (FRA) teilen wie große Brüder ihre jahrelangen Erfahrungen mit den jungen Talenten wie Loic Collomb-Patton (FRA), Jérémie Heitz (SUI) oder Fabio Studer (AUT). Warum dieser Altruismus? Niemand will, dass sich der andere verletzt. Gerade hier am Bec des Rosses ist der Respekt vor der naturgegebenen Herausforderung immens. Die meisten hier erklären im Interview, dass ihnen – analog zum Kitzbühelsieg in der Welt der alpinen Rennläufer – ein Triumph beim Xtreme Verbier mindestens soviel bedeutet wie der Gesamtsieg der FWT. Sogar ein Xavier de le Rue, der uns alle immer wieder mit so nie gesehenen und auch nicht für möglich gehaltenen Lines in Staunen versetzt (siehe seine aktuellen Filme Mission Steep und Mission Antarctica), nimmt hier sogar das Wort in den Mund, das für Spitzensportler auf seinem Niveau wie ein Tabu erscheint:

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And the winner is...

Die heurige Saison der Freeride World Tour war für die Organisatoren und die AthletInnen wie eine Achterbahnfahrt. Mehrfach mussten die Wettkampfhänge gewechselt werden: Von Fieberbrunn nach Kappl und von der Big Mountain Location in Kirkwood (CA) zu einem „Juniors Face“ mitten im Skigebiet. Revelstoke mußte abgesagt werden, weil der gesamte Wettkampfhang als Lawine „abgerissen“ ist. Aber beim Freeriden muss man sich eben an die Natur anpassen. Trotz des schwierigen Winters konnte die FWT fünf Events erfolgreich durchführen und die Rider sind an ihre Grenzen gegangen und haben ein völlig neues Niveau erreicht. Die Fahrer mit der größten Konstanz stehen nach dem Finale in Verbier ganz oben.

Der Tagessieg bei den Snowboarderinnen geht an FWT-Titelverteidigerin Elodie Mouthon (FRA), die am Bec des Rosses einen rasanten Run mit drei Airs zeigt. Shannan Yates (USA) stürzte. Aufgrund ihrer starken Ergebnisse zu Saisonbeginn war ihr der FWT-Titel dennoch nicht mehr zu nehmen.

shannan

D.Carlier/FWT

Shannan Yates (USA)

In der Kategorie Snowboard Herren holt sich heuer Emilien Badoux (SUI) den Weltmeistertitel. Sieger am Bec des Rosses wird der FWT-Weltmeister des Vorjahres Ralph Backstrom (USA). Backstrom steht in der ersten Hälfte seines Runs einen hohen Cliffdrop und zeigt in der Folge eine schnelle, flüssige Fahrt mit einem weiteren hohen Air.

Podium

P.Field/FWT

Jonathan Charlet (FRA), Ralph Backstrom (USA), Sascha Hamm (GB)

Bei den Skifahrerinnen ist das Finale an Spannung kaum zu überbieten: Lorraine Huber (AUT), Nadine Wallner (AUT) und Matilda Rappaport (SWE) liegen vor dem Finale so knapp beisammen, dass alle drei Weltmeisterin werden können. Startnummer 1 hat Nadine Wallner, die 2013 im unbekümmerten Alter von 23 - in ihrem allerersten Jahr bei der FWT! - gleich World Champion wurde. Sie attackiert schon aus dem Start raus das erste beeindruckende Cliff und stompt auch das folgende Double.

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nadine

D.Carlier/FWT

Nadine Wallner (AUT) - Freeride World Tour Siegerin

Mit Startnummer 2 kommt die erfahrene Wettkämpferin Lorraine Huber, die nun endlich am Höhepunkt ihrer Form zu sein scheint und noch nie so schön gefahren ist wie in der heurigen Saison. Ein Sicherheitsrun ist nicht möglich bei dem knappen Stand vor dem Finale, also springt auch sie gleich aus dem Start heraus den ersten Felsen und... stürzt! Der Gesamtsieg ist dahin, Nadine Wallner gewinnt zum zweiten Mal die FWT und Lorraine Huber wird Vizeweltmeisterin vor Pia Nic Gundersen (NOR), die sich mit einem unglaublich hohen Cliffdrop und einer aggressiven, flüssigen Line den Tagessieg holt.

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lori

Alex Kaiser

Lorraine Huber (AUT)

Genau wie bei den Ski-Damen wurde auch bei den Ski-Herren das Starterfeld total aufgemischt durch neue Talente, die sich durch die FWT-Qualifier Events in die World Tour reingekämpft haben und so wie Nadine Wallner 2013 wird auch bei den Herren 2014 ein Newcomer in seiner ersten Saison World Champion: Loïc Collomb-Patton (FRA). Der scheint dank seiner Jugend völlig sorglos und total schmerzbefreit und stompt über Cliffs, die schon für einen straighten Sprung grenzwertig sind, mal locker einen 360er! Wie das möglich ist, erklärt er mir völlig tiefenentspannt in einer Rauchpause (!!) am Plateau des Bec:

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loic

D.Carlier/FWT

Loïc Collomb-Patton (FRA) wirbelt ordentlich viel Staub auf...

In der Kategorie Ski-Herren gewinnt der Schwede Reine Barkered wieder mit seiner Siegerline von 2012: Er beginnt mit einem massiven Drop über das bereits nach ihm benannte Cliff hinein in den Dogleg-Couloir und beeindruckt die Judges mit einem weiteren weiten Sprung, sauberen Landungen und schnellen Turns. Zweiter wurde FWT-Newcomer Ian Borgeson (USA), der bei seinem ersten Auftritt am Bec des Rosses mit einem gewaltigen 360 in den Dogleg beeindruckte. Dritter wurde Loïc Collomb-Patton (FRA), der ebenfalls einen 360 stand und nach seiner ersten Saison auf der FWT zum Gesamtsieger gekürt wurde. Fabio Studer (AUT) und Stefan Häusl (AUT) stürzten, dürfen sich aber damit trösten, dass sie für die nächste Saison der FWT qualifiziert sind. Samuel Anthamatten (SUI) kriegt für seine furchterregende Showeinlage am Hollywood Cliff zwar keine Punkte, aber das goldene Tomahawk für übermenschliche Fähigkeiten im Radschlagen. Wer das sieht, kann nachvollziehen, wie zäh und durchtrainiert diese RiderInnen sind, und wird einsehen, dass wir mit unseren normal ausgestatteten Körpern ähnliches nicht zuhause ausprobieren sollten.

loic

D.Carlier/FWT

Nein, das ist kein Sturz, sondern die volle Absicht des FWT-Champions.

Wer's noch genauer wissen will, hier die Links zu den Resultaten des Xtreme Verbier, dem finalen Ranking der Freeride World Tour und den Videos aller Runs.