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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

31. 3. 2014 - 14:11

Flimmern: Krieg zwischen Flughafen und Autobahn

Krieg zwischen Flughafen und Autobahn in Rio de Janeiro und Crazy Hair in Nord Korea.

Flimmern - der assoziative FM4 Wochenrückblick

Diese Wochende hat das brasilianische Militär in Rio den Wohnbezirk Complexo da Maré besetzt. Complexo da Maré besteht aus 16 Favelas, die sich seit der Eröffnung der Verkehrsader Avenida Brasil in den 1940er Jahren zu bilden begannen und heute zu einem Siedlungsgebiet zusammengewachsen sind.

katarina balgavy

Der Complexo da Maré liegt zwischen dem Flughafen, der Autobahn und der glamurösen Südzone von Rio. Jetzt wird die WM kommen und dann die Olympiade, und mit beiden Ereignissen werden Millionen zusätzliche Touristen für die von ihrem eigenen Glanz, Ruhm und Krieg ermüdete Stadt erhofft.

Infrastrukturelle Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung von Maré und einen damit verbundenen Rückgang des Einflusses der Drogenkartelle gab es im Vorfeld der Großereignisse keine.

nb

Die Spezialeinheit BOPE räumt mit Totenkopf verzierten Baufahrzeugen die Barrikaden weg.

Eine Lärmschutzwand wurde gebaut, die die Sicht auf die Favela nimmt, wenn man vom Flughafen zum Stadion oder in die Südzone fährt. So muss man die hässliche Armut nicht mehr sehen.

katarina balgavy

Das ist auch Leben in Maré hinter der Wand, wenn das Militär nicht gerade einmarschiert.

Als Vorhut der FIFA und der Touristenströme marschierte dieses Wochenende das Militär in eine zivile Wohngegend ein. Sechs, in anderen Berichten heißt es zehn, in nochmal anderen 118 Personen wurden verhaftet. 130.000 Bewohnerinnen bekamen eine 15 minütigen militärische Invasion, Belagerung, die voraussichtlich bis nach der WM dauern wird, der offiziellen Diktion nach wurden sie "befriedet". Im Fernsehen heißt es, die militärische Besetzung des Gebiets wäre für die Bewohnerinnen ein wichtiger Schritt Richtung "Cidadania", also "Staatsbürgerschaft", gewesen.
Die Bewohnerinnen müssen diesmal nicht nur zwischen den gepanzerten, mit Totenköpfen verzierten Fahrzeugen der Sondereinheiten ihr Leben überleben, sondern auch zwischen 14 Panzern und unter vier kreisenden Kampfhelikoptern.

katarina balgavy

Das ist geschehen, wie der Sekretär der Nationalen Sicherheit von Rio de Janeiro erklärt, damit die brasilianische Bevölkerung vor der Drogenkriminalität geschützt werde.

Wer schützt die Bewohner von Maré und anderer Favelas vor der Polizei, gegen die es immer wieder Korruptionsvorwürfe gibt, vor dem Militär, vor den Drogenkartellen und vor der Stadtregierung, die Favelas zwangsräumen lässt wenn sie der WM und den Olympischen Spielen von 2016 dienlichen Bauvorhaben, wie Parkplätzen, im Weg sind?

Hair is a very important issue that shows the people's cultural standards and mental and moral state

War mir immer schon klar, weil ich mit einer Anekdote meiner Mutter aufgewachsen bin, die mit Grausen sich an den Lehrer erinnerte, der sie in den 60er Jahren in der Mittelschule gezüchtigt hat, weil sie doch sehr langes Haar für einen Burschen habe. Aber nicht nur senile Alt-Nazis im Kärnten der 60er Jahre, auch Nordkoreas Diktator hat klar definierte Frisurvorstellungen.
Die BBC hat eine Meldung von Radio Free Asia aufgegriffen, laut der sich in Nordkorea alle männlichen Bewohner die Frisur von Staatschef Kim Jong-Un schneiden lassen sollen. Kurz darauf wurde relativiert, dass es nur für Studenten verpflichtend sei „ihr Haar in einer Form zu bändigen dass es mit dem sozialistischen Lebens- Stil korreliert“.
 
Südkoreanische Medien schrieben von einer an Paranoia grenzenden Indoktrinationspolitk Kim Jong Uns, die das Ziel habe, alle Männer gleich aussehen zu lassen und auch über Widerstand der Bevölkerung wurde berichtet: Die Korea Times zitierte kritische Stimmen aus dem Volke, dass die Frisur nicht mit jeder Kopfform kompatibel sei und ein jetzt in China lebender Nordkoreaner wurde zitiert, dass die Frisur bis Mitte der 2000er als chinesischer Schmugglerschnitt verschrieen war.
18 Frisuren für Frauen, zehn für Männer, das ist auf jeden Fall mehr Auswahl, als wenn man in Berlin Mitte spazieren geht

Anfang dieses Jahres wurde vom Nordkoreanischen Fernsehen zum wiederholten Male eine Kampagne gegen langes, verwahrlostes Haar gestartet. Was, so vermutet die BBC, auch damit zu tun hat, dass Kim Jong Uns Vorgänger Kim Jong-Il, der Nordkorea 17 Jahre regiert hat, gerne hochtoupiertes Haar trug, um größer zu erscheinen.

Der Shoah Regisseur Claude Lanzmann hat in den 1950 Jahren Nordkorea bereist und was er darüber in seiner Autobiographie "Der patagonische Hase" schreibt, ist derart spannend, dass ich seit der Lektüre regelmäßige Besucherin der Website des nordkoreanischen Reisedienstes bin. Ich möchte euch aus diesem Anlass ein paar meiner Lieblings-Formulierungen der Seite unter die Augen reiben:

"Erleben Sie von Mitte August bis Mitte Oktober das Arirang Festival - Massengymnastik im Stadion 1. Mai, Eröffnungsfeiern zu Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften wirken dagegen wie lokale Kleinkunst." So etwas über die Olympischen Spiele zu lesen gefällt mir und einigen Bewohnerinnen des Complexo da Maré sicher sehr.

Auch nicht schlecht :

In Erinnerung bleiben auch die adretten Politessen, die zackig den wenigen Verkehr regeln, sowie die Fußgänger, die ordnungsgemäß in unterirdischen Unterführungen die Straßenseite wechseln, die koreanische Musik, die in den gepflegten Parks und Grünanlagen ertönt - überall spürt man eine große Ordnung und Sauberkeit sowie ein vermutlich stressfreies Leben.

Fasziniert von solchen Beschreibungen waren die US Rapper Pacman und Peso die als Touristen nach Nord Korea gereist sind, um ein DIY Musik Video vor den Monumentalbauten zu drehen, dass in den ersten drei Tagen über 100.000 mal geklickt wurde.

Zur Strafe für den Erfolg wurde eine Kollegin von der BBC, Typ strenge Oberlehrerin, der ich zutraue wegen ungebührlicher Frisuren die Contenance zu verlieren, zu den jungen MCs nach Hause geschickt.
Frau Journalistin stellte den ziemlich stoned wirkenden Figuren knallharte Fragen, wie man es moralisch vertreten kann, ein Land, in dem es Straflager gibt, in denen Menschen lebenslang für die Verbrechen ihrer Väter sitzen, anders als furchtbar darzustellen. Sie hat nicht unrecht, so was darf nicht akzeptiert, vergessen oder verharmlost werden, aber hat die gute Frau, die diese Frage stellt schon jemals was von Guantanamo gehört?
Ich fände es nicht uninteressant wenn sie eine Interviewserie starten würde: Wie kann man ein Land, das Straflager hat, in denen verschleppte Bürger anderer Nationen Jahrzehnte lang ohne Anklage festgehalten und gefoltert werden, darstellen, ohne dass ein falsches, verhamlosendes Bild erzeugt wird?

Das es keine gute und karriereförderliche Idee ist, Nordkorea zu besuchen, musste tränenreich auch Dennis Rodman erkennen.
Vielleicht würde nicht nur Dennis Rodman, sondern auch der Wu Tang Clan auf theoretischer Ebene ganz gut mit Kim Jong Un auskommen, bei einer Erörterung der Größe, Erhabenheit und Relevanz des Selbst.

Wu-Tang producers Cilvaringz and The RZA present the first ever private music album.

Der Clan hat die letzten zwei Jahre an einem Album gearbeitet, von dem nur eine Kopie existiert, die nun in einer silbernen Schachtel von nobler marokkanischer Fabrikation mit Wu-Logo drauf und Popmythologie drumherum als Kunstobjekt auf Tour gehen soll. Ein einmaliges Sammlerstück, das der RZA mit dem Zepter eines ägyptischen Königs verglichen wissen möchte.
Der RZA verriet, dass der Clan diesen Plan ersonnen habe, um uns über den Wert von Musik als Kunstform nachdenken zu lassen und uns diese Worte anstatt das Ding einfach zu verschenken mit auf den Weg geben:

"Industrial production and digital reproduction have failed. The intrinsic value of music has been reduced to zero.
Contemporary art is worth millions by virtue of its exclusivity. This album is a piece of contemporary art.
The debate starts here…"