Erstellt am: 2. 4. 2014 - 13:20 Uhr
Die drei größten Fehler der Gesamtbevölkerung
Ich oute mich. Nicht als schwul, nicht als Vanek-, Bachhelm- oder Wucher-Fan, auch nicht als Liberaler, Scherz oder gar “glücklich mit dem Trenker Haus”. Nein, all das bin ich nicht. Diese Outings spuckt der Suchmaschinen-Marktführer auf den ersten drei Seiten aus, wenn man outete sich als eintippt.
Ich dagegen oute mich als Freund der Statistik.
Die Lektüre von Tabellen über die Religionsbekenntnisse der Simmeringer Bevölkerung oder die Preisentwicklung im Tiefbau elektrisiert verständlicherweise nur eine Minderheit, die prozentual in etwa gleich groß ist wie die aus 29 Mitgliedern bestehende Simmeringer Buddhisten-Community. Warum ich dieser Interessensminderheit angehöre und mir so viele statistische B-Seiten und Hidden Tracks merke, ist mir selbst ein kleines Rätsel, aber ich weiß halt, dass Köln die meisten Städtepartnerschaften in Deutschland pflegt, Chinesen durchschnittlich 19,9 Minuten vögeln und in Wien 195 Ziegen leben.
marc carnal
Als sogenanntes “unnützes Wissen” möge mein Hirn-internes Zahlenarchiv aber nicht verkannt werden. Man stelle sich nur eine lasche Trinkrunde vor, in der kein ekstatischer Plausch entflammen will. Da frage ich plötzlich in den öden Kreis: “Was glaubt ihr eigentlich, wieviele Ziegen in Wien wohnen?” Der Sitznachbar merkt zurecht an, dass Ziegen nicht zum Wohnen, sondern zum Leben neigen, da schallt es gegenüber schon laut: “Eintausend!” Der nächste geht auf Risiko und sagt “Zehntausend.” Da will ein Hollodri punkten und sagt gar “Hunderttausend!” Jetzt wird es wild: Am Nebentisch steht ein besonders toller Hansdampf auf, tritt näher, klopft mit einer Zuckerwürfelzange auf ein Rotweinglas, erhebt seinen ausgesprochen langen Zeigefinger und sagt, eine routinierte Kunstpause abwartend: “EINE MILLION ZIEGEN.” Ein eisiges Schweigen breitet sich im gesamten Lokal aus. Man könnte nicht nur eine Stecknadel, nein, man könnte sogar eine Tannennadel fallen hören. Alle sehen gebannt zum Fragesteller. Ich erhebe mich ebenfalls, erwidere den Blick des tollkühnen Herrn vom Nebentisch, schweige einige Minuten, um den Kontrahenten zu zermürben und die Spannung ins Unermessliche zu steigern, und sage dann leise mit dem Brustton des Wissenden: “Einhundertfünfundneunzig. In Wien leben einhundertfünfundneunzig Ziegen.”
Den weiteren Verlauf des Abends kann man sich wohl leicht ausmalen.
Daym ist mein ganzes Herz
Der feine Herr Carnal hat die letzten Monate genutzt, um neue Aufsätze zu schreiben. Diese gedenkt er seinem geliebten "Publikum" (= Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen) mit seiner einschläfernden Raucherstimme am Donnerstag, dem 3. April, im schönsten Kaffeehaus von Wien vorzulesen.
Weil seine viertellustigen, durch das Synonymewörterbuch notdürftig gepimpten Schmuddeltextchen aber bekanntlich keinen ganzen Abend tragen, hat der FM4-Quotenkasperl musikalische Unterstützung engagiert, für die es gar nicht genug blumige Vokabeln gibt:
Karin Daym wird den trägen Auftritt von Herrn Carnal durch herzzerreißend schöne Songs veredeln, die sie mit Gitarre oder Kontrabass und ihrer atemberaubend warmen Stimme vorträgt.
Der Autor dieser Zeilen verspricht mit reinstem Gewissen, dass an diesem Abend niemand das Schmid Hansl verlassen wird, ohne sich in Frau Daym (oder zumindest ihre Lieder) verliebt zu haben.
Café Schmid Hansl
Eintritt: frei
3.4., 20 Uhr
Selten kommen einhundert Prozent in Statistiken vor. Kaum etwas tritt zur Gänze auf oder widerfährt jedem. Kaum etwas! Hiermit fertige ich eine Statistik namens “Die Fehler der Gesamtbevölkerung” an. Sie listet jene Fehler auf, die exakt von 99,6 Prozent, also aufgerundet 100 Prozent aller Menschen regelmäßig begangen werden. Berücksichtigt werden nur jene Fehler, die eindeutig zum eigenen Nachteil gereichen, aber trotzdem mit beeindruckender Konsequenz wiederholt werden:
1. Sitzen bleiben: Nicht genügend
Sobald sich die Anschnallgebots-Leuchten über den Häuptern von Flugzeugpassagieren lösen, schnellen diese wie Springteufel von ihren Sitzen auf und krallen sich ganz fickerig ihr Handgepäck, mit dem sie dann minutenlang in orthopädisch heikler Körperhaltung ungeduldig herumstehen, bis endlich die Türen aufgehen. Es wäre eindeutig bequemer, sitzenzubleiben. Zeit spart das gierige Aufstehen ebenfalls nicht, am Gepäcksförderband steht man sich ohnehin die Haxen in den Rumpf.
marc carnal
2. "Zweite Kassa bitte" - Leben in der Zwei-Kassen-Gesellschaft
Kassenförderbänder haben ein überschaubares Leistungsspektrum. Sie befördern die Waren der hungrigen Kundschaft in Richtung Barcode-Scanner. Noch nie sah ich eine derartig arbeitsunwillige Kassenkraft, die den geheimen “Zurück”-Fußhebel bedient hätte, um die Produkte von sich weg zu befördern. Allzu viel Spielraum für Fehler seitens der Kundschaft gibt es an Supermarktkassen also nicht. Dass Flaschen allerdings häufig bei Aktivierung des Bands nach hinten rollen, wenn man sie nicht parallel zur Fahrtrichtung, sondern im rechten Winkel dazu drapiert, haben unzählige Kassenbenützer trotz sichtbarer Lebenserfahrung noch nicht verstanden. Hinweisschilder wären hier angebracht.
3. Would you take a picture?
Es gibt keinen Grund, Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. Als man noch schwere Bildbände aus Bibliotheken nach Hause schleppen musste, um dem Bekanntenkreis das Kolosseum zu zeigen, gab es diesen Grund sehr wohl. Doch heute findet man im Internet Fotos vom Eiffelturm, die besser sind als die eigenen Aufnahmen. Mit deren Hilfe kann man sich immer wieder an das erhebende Gefühl erinnern, seiner ansichtig geworden zu sein.
Wer sich selbst im Vordergrund mit populären Gebäuden im Hintergrund ablichten lässt, macht das womöglich als Beweis dafür, tatsächlich in der die Sehenswürdigkeit beherbergenden Stadt gewesen zu sein. Wer Urlaubsreisen beglaubigen lassen möchte, hebe sich die Hotelquittung auf und verschwende keinen sinnlosen Speicherplatz.
Weder die reinen Häuserfotos noch jene, die zusätzlich vor Kirchen lächelnde Touristen zeigen, wird man sich jemals wieder mit Interesse ansehen. Aus dieser wiederholten Erfahrung könnte die Bevölkerung langsam lernen, trotzdem knipst sie weiter.
"Das ist aber eine sehr dürftige Liste, Herr Kommerzialrat!",
tönt es da nicht nur vereinzelt.
Aber ich bin doch überhaupt kein Kommerzialrat! Obwohl man mir kaum widersprechen wird, wenn ich sage, dass Kommerzialrat ein viel geilerer Titel als Bachelor ist. Ansonsten ist der Einwand aber berechtigt.
Es würde dicke Bücher mit seidener Papierstärke füllen, sämtliche Verfehlungen der Gesamtbevölkerung lückenlos zu dokumentieren. Sie glaubt an Astrologie, fuchtelt mit dem Salzstreuer über siedendem Wasser herum, ärgert sich regelmäßig, von Anrufen aus dem Schlaf gerissen zu werden, anstatt die Mobiltelefone ebenfalls ruhen zu lassen oder wundert sich stets, dass Möbel mit Gegenständen drauf ganz anders aussehen als eine Woche zuvor im Möbelhaus. Sie speist und schnäuzt im öffentlichen Nahverkehr, nimmt auf religiöse Gefühle Rücksicht und kommt regelmäßig mit Magenbeschwerden und verbrannter Zunge zu spät zu Verabredungen.
Der Grund für den letzten Punkt ist, dass häufig vergessen wird, dass man zur Zubereitungszeit eines Gerichts auch noch jene Minuten addieren muss, die man für den Verzehr braucht, wenn man in Eile ist. Zumindest geht es mir ständig so: "In zwölf Minuten muss ich gehen, die Pizza braucht zwölf Minuten, das geht sich aus", denke ich. Doch essen muss man sie ja auch noch! Also schlingt man ein brühheißes Mahl hinunter und eilt dann mit Käse im Bart zum Date. Wer behauptet, ihm sein das unbekannt, ist dreist.
Dreist bin auch ich, einen Aufsatz derartig schal ausklingen zu lassen, doch ich bin eben dreist und obendrein im Grunde meiner Pumpe ein großer Fan der Gesamtbevölkerung, der pauschale Kritik ebenso ablehnt wie zermürbende Textenden, also schließe ich mit einem aufmunternden