Erstellt am: 30. 3. 2014 - 16:38 Uhr
Lebt und arbeitet - andernorts
"Zeitgenössische Kunst (ver)lernen" ist das Motto des "Probebetriebs 01", der seit Freitagnachmittag im Grazer Forum Stadtpark vor sich geht. Graz ist reich an Orten für Kulturpräsentation, weniger gibt es zur Produktion und an der Kunstuniversität ist bei Bühnengestaltung Schluss. An der Ortweinschule gibt es Meisterklassen. Geboren in Graz, lebt und arbeitet - andernorts. Das liest man regelmäßig in Kurzbiografien von KünstlerInnen.
Nun haben sich neun Grazer Institutionen zusammengetan, von der Camera Austria über das Institut für zeitgenössische Kunst (IZK) an der TU Graz zum Kunstverein < rotor >, um eine zeitgenössische Kunstausbildung nicht allein am Papier zu konzipieren. Ausgangspunkt ist das Ziel, eine eigene Ausbildungsstätte für Bildende Kunst in Graz zu haben. "Das Ziel wäre, binnen drei Jahren sagen zu können, welche Art von Kunstausbildung hier eigentlich zeitgemäß wäre", sagt Anton Lederer von < rotor >.
Claudia Gerhäusser
Dieses Wochenende ist der "Offene Betrieb" gestartet. Erfüllt hat sich eine Vorstellung, die eine Kunstuniversität ausmacht: Es geht nicht allein um reine Ausbildung, sondern um einen Treffpunkt, um einen Ort des Austauschs und wohl auch des Sich-Messens. Mit der argentinischen Grupo Etcétera, der bildenden Künstlerin und Autorin Shuruq Harb aus Ramallah in der West Bank oder Manish Jain vom The People's Institute for Rethinking Education and Development in Indien war die Gästeliste international aufgestellt.
In den Workshops saßen sehr junge Kunstschaffende aus Graz neben Mitgliedern der Freien Klasse an der Akademie der bildenden Künste in Wien, neben John aus Ägypten und Reinhard Braun von der Camera Austria. Sitzen deshalb, weil ein Workshop mit einer Kennenlernrunde beginnt.
"What I am nervous about is: Do I have to contribute something?", sagt eine Workshop-Teilnehmerin ehrlich in die Runde. Einigen spannt langsam die Gesichtshaut unter einer beigen Textur. Manish Jain bot morgens Seife an, die aus Kuhscheiße gewonnen wird. Die meisten ließen sich die Textur mit ätherischen Ölen auftragen. Ein kleines Bindungsritual. Nur für einen Eröffnungsvortrag vorbeizuschauen und wieder abzureisen, das hatten die OrganisatorInnen des "Probebetrieb 01" ihren Gästen von vornherein ausgeschlagen.
Drei Tage Probebetrieb
Im Zentrum stand Kunst als soziale Praxis. "This workshop will be about the workshop", erklärt Federico Zukerfeld. Mit Loreto Garin Guzmán betreibt er die Künstlergruppe Etcétera, die als Kollektiv begann und nun als Duo besteht. Die beiden Argentinier engagierten sich sehr jung als "militants inside human right movements", wo sich assemblies, Versammlungen, als die bessere Demokratie erwiesen. So Zukerfeld. Ihr Ding ist der "International Errorism": Als George W. Bush 2005 einen Besuch in Buenos Aires ankündigte, traten AktivistInnen und KünstlerInnen auf den Plan. Allerdings ist ihnen bei der Vorbereitung ein Fehler passiert: jemand wollte "terrorism" googeln und tippte "errorism". Der Fehler wurde zum Programm, "Errorist Errors" als bewusst gemachte Fehler zur Taktik.
Radio FM4
Streetart und politische Analysen verbanden bereits die ersten Interventionen. Heute sind Loreto Garin Guzmán und Federico Zukerfeld gern geladene Gäste, wenn es um die Rolle der Kunst geht. "You have to do something political", sagt Zukerfeld, als er von einem großen Tanzfestival in Buenos Aires erzählt, und es ist nicht klar, ob er genervt davon ist oder es ernst meint. Bei diesem großen Tanzfestival jedenfalls knüpfte man sich die Sponsorenliste vor. Den Propagandaspruch "Brazil - a rich country means a country without poverty" verknappten sie in "Brazil - a rich country with poverty", wollten eine tatsächliche Politikerrede um die Fakten ergänzen und konkrete Energiekonzerne als Verwüster des Amazonas nennen. Doch jemand plauderte die Pläne aus. Schließlich entschieden sich die damaligen Workshop-TeilnehmerInnen gegen die Präsentation.
Doch was ist Kunst, was Aktivismus? Loreto Garin Guzmán und Federico Zukerfeld machen es sich leicht: Sie würden nicht differenzieren, behaupten sie. Shuruq Harb vermutet, es läge an einer Unsicherheit der bildenden Künstler, diese Entscheidung für wesentlich zu halten. Für die anstehende Präsentation des Workshops des "Probebetriebs 01" einigt man sich auf das Nachspielen des Workshop-Szenarios. Durch die theatralische Wiederholung wird Abstand und eventuell Einsicht gewonnen. Vorbild ist das Projekt "Infinite Assembly".
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"Hack the institutions"
Einen Grundsatzbeschluss für eine eigene Akademie für Bildende Kunst hat die steirische Landesregierung im Dezember 2007 gefasst. Zuständig für eine eigene Kunstakademie wäre allerdings der Bund.
Was sind die Inhalte und welcher Methoden bedarf es? Das fragt Marta Popivoda indes im Keller des Forum Stadtpark. Die serbische Künstlerin und Filmemacherin hat in Belgrad und Berlin studiert. Parallel dazu arbeitet Popivoda für das Kollektiv TkH - Walking Theory: Es geht um Selbstorganisation und Eigen-Ausbildung. Den Ansatz des Grazer "Probebetriebs 01", Kunst zu (ver)lernen, weiß sie aus eigener Erfahrung zu schätzen. "Sich nicht an den klassischen Rahmen von Kunstakademien zu orientieren, sondern andere Möglichkeiten zu erforschen und danach eine eigene Methodik zu fassen - das habe ich mit KollegInnen auch gemacht!"
Radio FM4
Theorien und Diskurs sind nicht zu vernachlässigen. Allein mit jenen Fragen, die Marta Popivoda in diesem, gezeigten Video-Interview der Künstlerin Rosa Barba stellt, wären die nächsten Stationen des "Offenen Betriebs" beschäftigt.
Doch wann ein "Probebetrieb 02" stattfinden wird, ist ungewiss. Verteilt über die nächsten drei Jahre soll das außerakademische Angebot in modularen Systemen eine Fortführung finden. Frühestens im Herbst, spätestens im Frühjahr 2015 soll es weitergehen.