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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

29. 3. 2014 - 22:12

Jaywalking. Alle tun es.

Bei Rot über die Straße gehen ist in den Augen der New Yorker keine strafwürdige Tat sondern gelebte Stadtkultur. Der neue Bürgermeister versucht das „Jaywalking“ nun mit harten Strafen zu unterbinden, kann aber selbst nicht die Finger davon lassen.

Woran man einen Touristen von einem New Yorker unterscheiden kann? Springt die Verkehrsampel auf Rot, bleibt der Tourist stehen. Der Stadtbewohner hingegen stürzt sich in das sich vor ihm ausbreitende Verkehrschaos und wedelt zielsicher durch radelnde Delivery Men, hupende Yello Cabs und rasende Feuerwehr-Trucks auf die andere Straßenseite – oft ohne den Kopf vom Display des Smartphones (jung) oder der Zeitung (alt) zu heben. Jaywalking heißt diese Kulturtechnik des New York Citizens. Jeder/jede/jedes hat es schon einmal getan und macht es immer wieder. Ich kenne jedenfalls niemanden aus meinem Bekanntenkreis, der es nicht tut. Und immer wieder tut. Und selbstverständlich tut. Jaywalking ist so New York wie Hot Dogs von Nathans oder die korrekte Aussprache der Houston Street, die man keinesfalls mit dem Texanischen im Mund begehen sollte. Es scheint, als hätte die berühmt-berüchtigte Hektik der Stadt das Jaywalking erfunden und die wegschauenden Cops wären "partners in crime".

Jaywalking NYC

Christian Lehner

Der Fünf-Minuten-Blitztest auf der Bedford Ave, BK

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But the times they are a changing. Der neue Bürgermeister Bill de Blasio und der ebenfalls frisch berufene Polizeichef Bill Bratton wollen Schluss machen mit dem Massenvergehen. Das Kavaliersdelikt wird seit gut zwei Monaten nicht mehr als solches behandelt. In groß angelegten Planquadraten, die lokale Medien als „ticket blitz“ bezeichnen, werden Jaywalkers mit Strafen in der Höhe von bis zu 250 Dollar belegt. Grund dafür sei die hohe Zahl an Verkehrstoten, wie Pratton anlässlich der Präsentation von Vision Zero verkündete. Das aus Schweden adaptierte Verkehrskonzept geht davon aus, dass jeder tödliche Unfall vermeidbar ist. Langfristiges Ziel sei daher die Reduzierung der fatalen Crashes auf Null, so Pratton. Verkehrssünder werden in Zukunft härter bestraft. Flankierend dazu verspricht der Bürgermeister den Ausbau von Fahrradwegen, Fußgängerzonen und die Senkung des Tempolimits von 30 auf 25 Meilen pro Stunde.

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Alle tun es.

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Interessensgruppen wie Transportation Alternatives frohlockten ob der neuen Kampagne. De Blasios Vorgänger, Michael Bloomberg, galt zwar als Visionär in Sachen nachhaltige Verkehrsplanung (Citi-Bike-Programm , Ausbau von Radwegen, Fußgängerzonen rund um den Times Square). Entscheidende Maßnahmen zur Eindämmung des Kraftfahrzeugverkehrs blieb der langjährige Mayor jedoch schuldig. U.a. auch deshalb, weil die Stadt immer noch hauptsächlich über die Straße versorgt wird und jede Einschränkung des motorisierten Verkehrs als potentielle Bedrohung des Wirtschaftsstandortes NYC gilt.

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Und sie tun es wie selbstverständlich.

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Der neue Police Commissioner drüfte das ähnlich sehen, denn anstatt Fahrzeuglenker ins Visier zu nehmen, konzentriert sich das NYPD bei ihren Strafzettelaktionen auf Fußgänger. Die Zahl der Abmahnungen von Jaywalkers stieg um satte 800% gegenüber dem Untersuchungszeitraum des Vorjahres. Pratton argumentiert das Vorgehen gegen die schwächsten Verkehrsteilnehmer im Großstadtchaos mit einer Zahl, die er aber nicht belegen kann. 70% der Unfälle gingen auf das Verschulden durch Fußgänger zurück, so der NYPD-Chef. Diese Statistik scheint jedoch weder in den Daten des NYPD oder der stadteigenen Verkehrsbehörde, dem Department of Transportation auf. Im Gegenteil. Jahrelange Untersuchungen verschiedener Behörden und sogenannter advocacy groups zeigen, dass im Schnitt bloß sieben Prozent der Unfälle von Fußgängern verursacht werden, jedoch beinahe 80% auf das Fehlverhalten von Autofahrern zurückgehen.

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Nun sind die Lokalmedien außer sich. Sogar ein 84-jähriger Opi wurde vom NYPD gebusted und in Handschellen abgeführt. Das Jaywalking will sich jedenfalls niemand verbieten lassen. Das ergab ein kleiner Umfrage-„blitz“ meinerseits auf der Bedford Avenue in Brooklyn. Kein einziger der gut 30 Befragten befürwortete das härtere Vorgehen der Polizei. Selbst der Stadtchef will sich nicht an seine eigene Order halten und das ist gut dokumentiert. In New York gibt’s nämlich einen neuen Volkssport: den Bürgermeister beim Jaywalking filmen.