Erstellt am: 27. 3. 2014 - 14:58 Uhr
Der Facebook-Mann hat meinen Lutscher gestohlen
Es war kein gewöhnlicher Sturm der Entrüstung. Manche User waren über den überraschenden Verkauf des Startup-Unternehmens Oculus an Facebook so erzürnt, dass sie Mark Zuckerberg mit dem Umbringen bedrohten. Der Großteil des Hasses aber richtete sich gegen eine Person, die bisher durch sympathische Interviews und große Visionen aufgefallen ist: Palmer Luckey, jenen Mann, der 2012 in seiner Garage den ersten Prototypen der Virtual-Reality-Brille Oculus Rift gebaut hat. Das teilweise mit Gaffertape zusammengeklebte Headset, bestehend aus einer Skibrille, einem Tablet-Bildschirm, zwei Vergrößerungslinsen und den Lagesensoren eines Smartphones, überzeugte einige der wichtigsten Innovatoren der Videospiele-Industrie davon, dass die Zeit reif ist für Virtual Reality und führte zu einer Crowdsourcing-Kampagne auf Kickstarter.
©OculusVR
Emotionale Investition
Die überaus erfolgreiche Spendensammlung im Jahr 2012 ist nun auch die Hauptursache für den „Shitstorm“ seitens mancher User. Denn die Vision, die sie seit über einem Jahr unterstützten, war nicht nur der Traum von Virtual Reality, sondern auch der Traum vom kleinen Unternehmen, das die Welt verändert. Umso mehr fühlen sich viele dieser User jetzt verraten und verkauft – es ist die emotionale Investition, aus der sich die empörte Reaktion speist.
Manche verwechseln allerdings auch schlicht das Konzept des Crowdfunding mit dem der finanziellen Investition: „I did not chip in ten grand to seed a first investment round to build value for a Facebook acquisition”, schreibt Minecraft-Erfinder Notch in seinem Blog. Tut mir leid, Notch, aber du hast genau das getan. Du hast nicht investiert, du hast gespendet und die angekündigte Belohnung für deine Spende erhalten - ein Entwicklerkit des Oculus Rift und eine Reise ins Hauptquartier der Firma in den USA. Du wolltest die Umsetzung des alten Traums von Virtueller Realität ermöglichen – und genau das ist dir und all den anderen Unterstützern auch gelungen.
Erstens, weil Oculus mit dem Verkauf an Facebook nun endlich über die Ressourcen verfügt, Hardware-Komponenten wie Bildschirm und Lagesensoren für das Rift selbst zu entwickeln, anstatt die Überbleibsel der Smartphone-Industrie zu nutzen. Das ist notwendig, wenn das Rift tatsächlich ein Mainstream-Phänomen werden soll, also Millionen anstatt einiger zigtausend Stück verkaufen soll.
Zweitens, weil Oculus nun die Ressourcen hat, die Entwickler von Software für das Rift finanziell zu unterstützen.
Drittens, weil die Verwirklichung eines "Metaversums" - einer virtuellen 3D-Umgebung, wie sie in Neal Stephensons „Snow Crash“ oder Ernest Clines „Ready Player One“ beschrieben werden – gerade durch den Zusammenschluss von Oculus und Facebook näher gerückt ist. Dazu muss man sich ansehen, welche Schlüsselpersonen in beiden Firmen sitzen.
Die Schlüsselpersonen
Bei Facebook gibt es einen Herren namens Cory Ondrejka, vielen auch bekannt als Cory Linden. Er hat Anfang der nuller Jahre zusammen mit Philip Rosedale die virtuelle Welt Second Life gegründet und war bis 2007 deren Cheftechniker. Programmiert hat Ondrejka unter anderem die Werkzeuge, mit denen User in Second Life ihre eigenen Objekte konstruieren und ihre eigene Software erstellen können - was letztlich auch der Grund ist, warum diese virtuelle Welt weiterexistiert und für zahlreiche interessante Kunstprojekte genützt wird.
Bei Oculus wiederum arbeitet ein Herr namens John Carmack, Pionier der 3D-Grafikengine und Erfinder des Videospiele-Genres First-Person-Shooter (Wolfenstein 3D, Doom). Carmack hat in den letzten beiden Tagen spärliche, aber sehr aufschlussreiche Kurznachrichten auf Twitter abgesetzt. Eine davon war diese:
Facebook und Oculus teilen die Vision einer Virtual Reality, die immersive Spiele, aber auch Simulationen, Konferenzen, Architekturwerkzeuge und medizinische Anwendungen ermöglicht. Oculus hat die VR-Technologie, Facebook hat die Serverkapazität und Milliarden von Usern. Berechtigt sind also die Befürchtungen, dass Facebook das Rift als weitere Möglichkeit sieht, Userdaten zu sammeln und Werbung zu verkaufen. Hingegen halte ich die vielfach geäußerte Angst, dass Facebook das kleine Startup-Unternehmen Oculus umformen oder gar zerschlagen wird, für unberechtigt. Erstens, weil Facebook alle bisher aquirierten Unternehmen unbehelligt weiterarbeiten ließ: Instagram funktioniert nach wie vor ohne erzwungenem Facebook-Login, Whatsapp hat noch immer keine Werbung. Zweitens, weil Facebook keinerlei Erfahrung mit der Herstellung von Hardware hat und gut beraten ist, das bewährte Oculus-Team arbeiten zu lassen. Hingegen hätte ein Verkauf von Oculus an Samsung, Microsoft oder Google ganz andere Konsequenzen gehabt. Dort hätte sich das Team wohl von Anfang an in die jeweilige Technikabteilung integrieren müssen, die Vision der Rift-Erfinder wäre schnell verlorengegangen. Eine Gefahr, die ich gerade beim Eigentümer Facebook kaum sehe - und ich glaube, dass Palmer Luckey und sein Team sich genau deshalb für diesen Partner entschieden haben.
Facebook ist nicht gleich Facebook
Viele User, die den Deal zwischen Oculus und Facebook als Katastrophe betrachten, begehen auch den Fehler, nicht zwischen Facebook als Social-Networking-Plattform und Facebook als Firma zu unterscheiden. Als Firma betreibt Facebook mehrere wichtige Open-Source-Projekte, darunter HipHop für PHP, Fair Scheduler in Apache und das Open Compute Project. Ob eine zukünftige VR-Umgebung, die von legendären Personen wie John Carmack und Corey Ondrejka entwickelt wird, offene Plattform oder geschlossenes System (mit nerviger Werbung) wird, bleibt also abzuwarten. Selbst wenn letzterer Fall eintreten sollte, wird das Oculus Rift wohl trotzdem weiter geeignet sein, jeglichen PC- (oder Smartphone-)Inhalt darin darzustellen.
Es besteht die realistische Hoffnung, dass Oculus Rift als Gaming-Device durch die jetzt vorhandenen finanziellen Resourcen besser als je zuvor wird - nicht nur hinsichtlich der Hardware, sondern auch, weil Facebook die Möglichkeit hat, eine digitale Distributionsplattform für VR-Spiele zu errichten. Spieleentwickler wissen das - weshalb sich auch die Behauptung, sie würden gerade in Massen von der Entwicklung für Oculus Rift Abstand nehmen, als unhaltbar erweist. Außer dem vielzitierten Minecraft-Erfinder Notch hat meines Wissens noch kein ernstzunehmender Gamedeveloper das Ende eines Projektes angekündigt. Die positiven Rückmeldungen in den einschlägigen Developer-Foren und Blogs werden hingegen immer mehr. Hier schreibt z.B. "Gears of War"-Erfinder Cliff Bleszinski, warum er den Deal für eine gute Sache hält.
©OculusVR
Spannend wird die Reaktion des Computerspiele-Riesen Valve auf all das. Die Firma betreibt mit Steam die bei weitem größte digitale Vertriebsplattform für PC-Games. Der Zusammenschluss von Oculus und Facebook hat das Potential, das zukünftige Onlinegeschäft von Valve hinsichtlich VR-Games massiv zu beeinträchtigen. Man munkelt daher, dass Valve ein eigenes kommerzielles VR-Headset produzieren wird - einen enstprechenden Prototypen hat der Konzern bereits vor Wochen präsentiert. Letztlich heißt das aber: Der Verkauf von Oculus an Facebook belebt die Virtual-Reality-Bewegung insgesamt. Das ist eine gute Sache. In einschlägigen Webforen wie dem Subreddit /r/oculus scheint zwei Tage nach Bekanntwerden des Deals langsam wieder Vernunft einzukehren. Ich jedenfalls freue mich auf Version 2 des Oculus-Rift-Entwicklerkits, die mir der Postbote im Juli bringen wird. Wenn es soweit ist, schreibe ich hier wieder darüber. Zu meinem Erfahrungsbericht mit dem Development Kit 1 geht es hier.