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Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

27. 3. 2014 - 14:00

Skifliegen mit Ja, Panik

Ein Radiofeature über die Faszination Skifliegen, für sieben Tage on Demand:

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"Ich sollte eigentlich ganz allein auf der Welt sein, ich, Steiner, und sonst kein anderes lebendes Wesen - keine Sonne, keine Kultur, ich nackt auf einem Fels, kein Sturm, kein Schnee, keine Straßen, keine Banken, kein Geld, keine Zeit und kein Atem. Ich würde dann jedenfalls keine Angst mehr haben."
(Aus dem Abspann des Bildschnitzers Steiner. Werner Herzog zitiert Robert Walser und setzt den Namen "Steiner" ein.)

Ich weiß nicht mehr, wann ich meinen ersten Skisprung gesehen habe, es muss irgendwann Mitte der 1990er Jahre gewesen sein, als Andreas Goldberger mein junges Bubenherz hat höher schlagen lassen. Gebannt saß ich bei Oma in der Küche und schaute mit großen Augen diesen wilden Kerlen zu, wie sie sich mit Todesverachtung die Schanzen hinunterließen. Viele von den Springern waren damals nur eine Handvoll Jahre älter als ich. Unfassbar, dachte ich. Unfassbar, das denke ich auch heute noch.

Andreas Spechtl

Ich habe weder davor noch danach ein gesteigertes Interesse an Sport gehabt, weder im aktiven noch passiven Sinne. Alle vier Jahre ein EM- oder WM-Fußballspiel, und das auch eher aus Zufall, weil es sich halt nicht vermeiden lässt. Aber ansonsten ist sportlicher Wettkampf mit seinen Imperativen Disziplin und Konkurrenz meinem Wesen so ziemlich diametral entgegengesetzt. Warum also diese Faszination fürs Skispringen und Skifliegen?

Vielleicht weil Skifliegen eben keine Disziplin körperlicher Kräfte ist, sondern eher ein Zustand von Geisteserregung. Fluggefühl gehört dazu, Mut, das Hinauswachsen über die eigene Todesangst. Wider alle körperlichen Instinkte legen sich die Springer Kopf voraus nach über die Skier in die Abgründe hinein, und ihr ganzes Wesen ist so auf einen Punkt gebracht, dass sie taub sind und, bis auf die Stelle der Landung im Visier, auch blind. Und man darf nicht vergessen, dass es beim Skispringen auch sogenannte Haltungsnoten gibt. Es geht also nicht nur darum, möglichst weit zu springen, sondern das in möglichst perfekter Haltung, die natürlich Moden unterliegt, zu tun. Skispringen als eine Ästhetik von Weite.

Andreas Spechtl

Skiflug-WM in Harrachov

Die große Ekstase

Werner Herzog, der in jungen Jahren selbst Skispringer werden wollte, das aber nach dem lebensgefährlichen Sturz seines besten Freundes aufgab, begleitete im März 1974 den damals alles überragenden Springer Walter Steiner zu der Skiflugweltmeisterschaft nach Planica. Die Dokumentation über Steiner mit dem schönen Titel „Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner“ bezeichnet Herzog selbst als einen seiner wichtigsten Filme.

Wollte man versuchen, darzustellen, was Leben und Existenz ist und wo sie voneinander scheiden, dann könnte man vielleicht sagen: die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner. Der ist von Beruf, also im Zivilberuf, ein Holzbildhauer, aber in seinem ganzen Wesen, das ihn eigentlich ausmacht, ist er jemand, der fliegt.

Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner

Jemand, der Träume hat vom Fliegen, Träume von Ekstasen, der Fluggeräte erfindet, die es gar nicht geben kann, der in seiner ganzen Traumwelt nur noch jemand ist, der die Schwerkraft aufgehoben und die Erdenschwere verlassen hat - und der seine Tage in Todesangst und übersteigerten Ekstasen verbringt. Und da kann man sagen, man hat vielleicht kein Leben, sondern nur noch Existenz. Zumindest in diesem Film.

Ja, Panik

Skiflieger stehen psychisch so unter Druck wie Formel-1-Piloten, die über einen Hochgeschwindigkeitskurs rasen. Das Unterbewusstsein, so haben Forscher der Universität Innsbruck festgestellt, kann die Flut optischer Reize kaum noch verarbeiten, das Nervensystem wird überstrapaziert. Und die Springer geraten teilweise in einen katabolen Zustand, in dem sie sich nicht mehr regenerieren können. "Ich mache am Tag drei Sprünge", sagte Martin Schmitt einst, "und abends falle ich völlig kaputt ins Bett."

Andreas Spechtl

Ich persönlich habe wahnsinnige Angst vorm Fliegen, schon ein lächerlicher Kurzstreckenflug von Berlin nach Wien löst in mir Schweißanfälle aus. Regelmäßig verabschiede ich mich beim Einsteigen in ein Flugzeug innerlich von dieser Welt. Vielleicht liegt hier auch der Grund für meine Faszination: in einer Art frechen und fast trotzigen Todesverachtung, die dieses Leben gegen die Schwerkraft, dieses Leben gegen die Angst mit sich bringt.

Oder wie Toni Innauer in seiner Autobiographie über seinen Weltrekord von 1976 schreibt: „Ich kannte diese Dimension nicht. Was mit mir passierte, verwirrte mich. Ich wusste nur, dass ich zur Erde zurückwollte. [...] Ich wollte Höhe verlieren, um wieder runterzukommen. Ich stand mit beiden Beinen auf der Bremse und landete trotzdem erst bei 174 Meter, das war Weltrekord.“

Andreas Spechtl

Rudi Ortner

Radiofeature: "Skifliegen mit Ja, Panik"

Andreas Spechtl und Stefan Pabst von der Gruppe Ja, Panik haben für FM4 die Seiten gewechselt und sind als Reporter zur Skiflug-WM nach Harrachov gefahren. Auf den Tag genau 40 Jahre nach Werner Herzogs Skiflugdoku. Unterwegs zum ersten Skiflug ihres Lebens treffen sie auf Martin Koch, der am selben Tag seine Karriere beendet, Gregor Schlierenzauer, den erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten und auf die Skisprunglegende Ernst Vettori.

In 44 Radiominuten eröffnet sich ein wunderbarer Einblick in das Seelenleben von Athleten, das sich hinter der Ergebnisberichterstattung einer Randsportart verbirgt. Das Radiofeature wurde Donnerstag, den 27. März, in der FM4-Homebase (19-22h) ausgestrahlt und gibt es 7 Tage on Demand zum Nachhören.