Erstellt am: 30. 3. 2014 - 14:29 Uhr
Renaissance Man with a Bass in His Hand
„Thank you, thank you, thank you!“ lachte der kleine Mann mit dem langen Bart und den schlechten Zähnen und schlug mir krachend mit der Hand auf die Schulter. Ich war recht begeistert gewesen von Mike Watt und seinem Konzert in der Salzburger ARGEkultur.
Es war Ende der Neunziger Jahre, Kurt Cobain war schon ein paar Jahre tot, und Post-Punk hatte sich im Indie-Rock aufgelöst und suchte nach seiner Relevanz im Eklektizismus zwischen HipHop, TripHop und der Behauptung, man brauche nur seinen ass zu moven, dann würde das mind schon folgen. Diejenigen, die sich nicht in die Belanglosigkeit dieses Mainstreams oder in die Perpetuierung der eigenen Vergangenheit retten wollten, versuchten, den eigenen musikalischen Weg fortzusetzen, ohne vollends ins Obskurantentum abzudriften.
Mike Watt war einer von ihnen und er freute sich spürbar über mein Kompliment. „You showed me how a punk rocker can grow old without losing his dignity“, hatte ich ihm zugerufen, nachdem er mich gemeinsam mit Drummer Bob Lee, dem genialen Gitarristen Joe Baiza und vor allem mit seinem energetischen wie virtuosen Bassspiel schwer beeindruckt hatte.
Mike Watt
Ball-Hog or Tug-Boat?
Dass Mike Watt mit seinem Bass verheiratet sei wäre vielleicht etwas zu tief in die Metaphernkiste gegriffen. Gesichert ist, dass seine bisher einzige Ehe die mit Ex-Black Flag-Bassistin Kira Roessler war, mit der er nach wie vor in dem Bass-Duo Dos zusammen spielt. Dass sein bisher einziges Buch, das Fotos und Tagebuchnotizen enthält, On And Off Bass heißt. Und dass sich sein erstes Soloalbum Ball-Hog or Tug-Boat? – frei übersetzt: Wasserträger oder Zugpferd? – Mitte der Neunziger Jahre mit dem Bass und seiner Rolle im Bandgefüge beschäftigt. Ist er der Lückenfüller für den Selbstdarsteller an der Gitarre, oder gibt es in seiner Rolle als Zwitter aus Melodie- und Rhythmusinstrument die Richtung vor?
Mike Watt / Sony Music
Man darf Mike Watts Beschäftigung mit sich und seinem Instrument nicht als Selbstzweifel deuten, eher ist es so, dass hier ein Mann seine Lebensaufgabe gefunden hat. In der heißen Zeit von Ende der Siebziger Jahre, als die kalifornische Punkszene entstand, bis Mitte der Neunziger, als der Tod von Kurt Cobain den Endpunkt markierte in der Transformation dieser Szene von Hardcore über Post-Punk zu Alternative und Indie-Rock, hatte Mike Watt an zwei Stil prägenden Bands der Westküste mitgewirkt: die Minutemen waren Anfang/Mitte der Achtziger Jahre bis zum Unffaltod ihres genialen Gitarristen und Sängers D. Boon so etwas wie das Gegenstück zu Black Flag. Während die mit Greg Ginn und Henry Rollins den LA-Punk immer weiter in Richtung Härte trieben, brachten die Minutemen ihn in ihren einminütigen Miniaturen mit Freejazz- und Folk-Elementen zusammen. fIREHOSE, die Nachfolgeband, in der ein 21jähriger Minutemen-Fan den verstorbenen D. Boon ersetzte, mischten dem Zeitgeist entsprechend eine starke Prise Melodie und Song dazu und machten den Schritt vom Indie-Label SST zu Columbia.
Auf Ball-Hog or Tug-Boat? kann man noch mehr über Mike Watt erfahren. Nicht nur, dass er in seiner Kindheit und Jugend begeisterter Ringer war (wie man am Cover sieht) sondern auch, welches Ansehen er damals wie heute in der Post-Punk bzw Indie-Rock-Szene genießt. Denn Mike Watt und sein Bass spielten alle Nummern mit Gastmusikern ein, und wer da alles im Studio aufkreuzte (und namentlich auf dem Album vermerkt ist) ist schon beachtlich: die gerade frisch verwitweten Dave Grohl, Krist Novoselic und Pat Smear (Nirvana), Adam Horovitz und Mike D von den Beastie Boys, Chris und Curt Kirkwood (Meat Puppets), Frank Black von den Pixies, Steve Shelley und Thurston Moore von Sonic Youth, Henry Rollins, J Mascis (Dinosaur jr), Mark Lanegan, Epic Soundtracks, Kathleen Hanna, Evan Dando von den Lemonheads, Flea von den Red Hot Chili Peppers. Ein Who is Who des Indierock Mitte der Neunziger. Und Mike Watt scheute sich nicht, einigen seiner Gäste spezielle Botschaften zu widmen: Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder musste in der pädagogischen Hymne Against the Seventies seinen eigenen 70s-Retro-Sound ideologisch einordnen: “The Kids of today should defend themselves against the 70s!/ It's not reality/Just someone else's sentimentality.“ Nichtsdestotrotz machten Vedder, Grohl und Pat Smear die Backing Band auf der Tour zum Album.
Mike Watt / Sony Music
Seine first opera, seine erste Oper, nennt Mike Watt mittlerweile das Album, und wenn man Oper etwas frei mit Konzeptalbum übersetzt, dann haut das hin. Das immer noch aktuelle Mike Watt Album Hyphenated-Man ist seine third opera und hat bereits ein paar Jahre auf dem Buckel. Thank You To Hieronymus Bosch steht ganz unten auf dem Cover von Hyphenated-man. Vorne rennt der Arrow-pierced-egg-man aus dem ersten Song, gezeichnet von Raymond Pettibon. Das Album ist eine Sammlung von hyphenated, also mit Bindestrich geschriebenen Männern, dem Beak-holding-letter-man, dem Head-and-Feet-Only-Man, dem Boot-Wearing-Fish-Man oder dem Wheel-Bound-Man, die sich alle in den Werken von Hieronymus Bosch finden, und in denen Mike Watt sein eigenes Spiegelbild konstruiert: ein Spiegelbild aus 30 Miniaturen, die zusammen gesetzt einen middle-aged punk zeigen.
Middle-aged Rennaissance Punk
Madame Macario
Mike Watt & his Missingmen live:
So, 30.3. Arena Wien
+ Film "We Jam Econo"
Mo, 31.3. Kapu Linz
Di, 1.4. pmk Innsbruck
Mi, 2.4. Kraftfeld Winterthur
Mike Watt bezeichnet sich selbst als Renaissance Man, als Renaissancemensch, vielleicht als Hinweis auf eine Seelenverwandtschaft zu Bosch und Dante, dessen Göttliche Komödie ihn auf seinem zweiten Album als Inspirationsquelle diente, vielleicht aber auch als Koketterie eines Mannes, der mit Mitte 50 auf die musikalische Phase seiner Jugend zurückblickt – nicht nur, weil er seit einigen Jahren für die wiedervereinigten Stooges den Bass bedient. Für den Minutemen Tribute Film We Jam Econo musste sich Watt 2004 erstmals seit D. Boons Unfall wieder mit seiner ersten Band beschäftigen – was er bis dahin immer vermieden hatte, so sehr hatte ihn der Tod seines Freundes mitgenommen.
„So I was listening to the Minutemen and I was like, 'Wow, I want to do something like this again. I like this.'“ erzählt Mike Watt in einem Interview. „I mean, we got it from Wire, these little songs, you know. But I thought, well, I owe it to D. Boon and George (Hurley) not to rip off my old band and shit. So, I tried to do something else with it, and make it into an opera.“ Und so ist die Band The Missingmen natürlich auch ein Tribut an die Minutemen. Gitarrist Tom Watson und Drummer Raul Morales sind beide stark von den Minutemen beeinflusst.
Mike Watt ist ein Musikberserker. Neben den Stooges, den kurzzeitig wiedervereinigten fIREHOSE und den Missingmen tourt er noch mit den Secondmen, mit denen er sein Dante-inspiriertes Album The Secondman's Middle Stand eingespielt hatte, mit seiner Ex-Frau Kira Roessler spielt er in Dos, mit seiner Band Spielgusher und mit Keyboarder und Produzent Money Mark und dem Jazz-Gitarristen Nels Cline in diversen Formationen. Daneben macht er noch eine regelmäßige Internet-Radio-Show, die Watt From Pedro Show und dokumentiert seine Tätigkeiten sehr ausführlich auf seiner Website The Hootpage.
Dieser Tage ist der viel Beschäftigte Mike Watt mit seinen Missingmen auf Tour in und um Österreich. Zu bestaunen ist ein würdevoll gealterter Punkrocker.