Erstellt am: 26. 3. 2014 - 11:00 Uhr
Lernen Sie Geschichte!
Artist Of The Week
Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek.
Getöse und Intimität: Kreisky beim FM4-Überraschungskonzert in Graz.
Diesen Anzugmännern ist alles erlaubt
Es zieht sich eine Linie von Kreisky zurück in die Untiefen der Rock-and-Roll-Geschichte. Eine schöne Linie, fast eine Gerade, eine Linie, die nahezu parallel zu den bekannten Linien verläuft, und es ist eine, die knapp daneben verläuft: einen Halbton, einen Schrei daneben, ein Tick zu viel krass vorgetragene Wahrheit, ein Tick zu sturer Verzicht auf Wohlfühlmelodien und gottgefällige Halbtonschritte, ein wenig zu viel Bildung, zu viel Kunst, zu viel Politik, zu viel Vision.
Kreisky / Wohnzimmer Records
Wohnzimmer Records
Das neue Kreisky-Album heißt "Blick auf die Alpen" und ist am 21. März bei Wohnzimmer Records erschienen.
Theorie
Sie beginnt beim sturen, grantigen, geistreichen und konsequenten Künstler Mayo Thompson aus dem reaktionären Texas. Politisch, renitent und traumwandlerisch in seiner Einbettung in eine Psychedelia der "anderen" Sixties, von der er nicht so recht wusste, wie sie war, lieferte die Psychedelia ihm einen Vorwand, völlig exzentrische Musik inmitten einer im Rückblick arrivierten historischen "Szene" zu machen, die ihn ebenso wenig verstand, wie er sie verstehen wollte.
In der wohl mittlerweile ältesten Indie-Band der Welt verfolgt Thompson seine Vision von einer Mischung von Theorie, Lebensnähe und Devianz, in der das eine nicht ohne das andere sein sollte. Und das so konsequent wie wohl niemand sonst, quer durch die verschiedensten Outfits innerhalb der verschiedensten Szenen und Zeiten - im gebrauchten Anzug.
Kunst
Sie geht weiter zum sturen, grantigen, geistreichen und konsequenten Künstler Don Van Vliet aus dem dümmlich-böse grinsenden Kalifornien. Politisch, renitent und traumwandlerisch in seiner Einbettung in eine widerständige Hippie-Szene der Sixties, die ihn ebenso wenig verstand, wie er sie verstehen wollte, giekste der von Visionen und Überwindungen geplagte und beseelte Unmusiker und Exzessliebhaber seinen überkompetenten Mitmusikern komplexe, nahezu unspielbare Symphonien vor. Noch heute scheint er mit nicht unhörbarer, aber eigentlich unliebbarer Musik (was eine große Leistung ist) in jedem Legendenpool an vorderster Stelle auf, unverstanden, rätselhaft und aus der Zeit gefallen - im bunten Anzug.
Kreisky live
- 3. April: Krems/Kino im Kesselhaus
- 4. April: Oslip/Cselleymühle
- 5. April: Linz/Posthof
- 12. April: Wiesenfeld/Zwettl/Willage
- 24. April: Wien/Arena
- 25. April: Steyr/Röda
Lärm
Sie geht weiter zu den sturen, grantigen, geistreichen und konsequenten Arbeiterkindern Peter Laughner und David Thomas aus dem grauslich stinkenden Cleveland. Politisch, renitent und traumwandlerisch in ihrer Einbettung in das Post-Hippie-Verständnis von Cool der 70er, in der Nachbarschaft von Iggy und Cheetah Crome, die diese ebenso wenig verstanden, wie sie von ihnen verstanden werden wollten, machten sie aus ihrer Liebe zu Lärm, Kunst und primitivem Rock 'n' Roll die schepperndsten und unerbittlichsten Gegenstücke zur Umarmungs-Wir-Gefühl-Jugendkultur der Zeit. Eine Kunst voll mit Zitaten der künstlerischen und politischen Avantgarde ihres gewalttätigen und selbstzerstörerischen Jahrhunderts, voll von Schmerz, Euphorie, Hysterie und Depression - im zerschlissenen Anzug.
Bosheit
Sie erreicht einen kleinen Höhepunkt im stursten, grantigsten, geistreichsten und konsequentesten Künstler der 80er Jahre, dem schmutzigen Arbeiterkind und Biersäufer Mark E. Smith aus dem düsteren Manchester - politisch, renitent und traumwandlerisch in seiner Einbettung in eine hochnäsige Post-Punk-Szene, die ihm an Hochnäsigkeit nicht das Wasser reichen konnte und die irgendwann jede seiner Unflätigkeiten gierig aufsog, sobald sie wie beiläufig von seinen Lippen tropfte.
Er bestand stets darauf, dass alles gleich klingen müsse, alles tausendfach wiederholt werden müsse. Und zwar weil sich das Beklagte oder Nervige ja nicht verändern und alle Message in einem unverständlich hingeklotzten Slang versteckt werden müsse, umgeben von immer gleichen ebenso sturen Beats und gedroschenen Gitarren - im speckigen Anzug.
Intellekt
Sie erreicht einen kleinen Grad der Perfektion und Übersicht im gar nicht so sturen und grantigen, dennoch geistreichen Intellektuellen Ian Svenonius. Politisch, renitent und traumwandlerisch in seiner Einbettung in eine ohnehin mit allen Obgenannten in Innigkeit liierten Hardcore Post-Punk-Szene der 90er, erinnerte er in brüllenden Anklagepredigten und mit der dauernden Forderung nach Politisierung und Diskurs an die Verwertbarkeit und Halbherzigkeit ihrer Lebensführungskritik. Er entlarvte die Dummheit des Versuchs, ein gutes Leben im Schlechten zu führen und erinnerte auch - inmitten von Tätowierungen und schwitzigen Entäußerungen - an die Kraft, die von Ironie, von Zynismus und Eleganz ausgehen kann, wenn sie von Bewusstheit getragen ist - im gestärkten Anzug.
Ein "Misheard Lyric" in "Pipelines" hat mir schon alles über Kreisky gesagt: "Deine Holistik ist grenzenlos."
Die dünne Linie
- "The Red Krayola"
- "Captain Beefheart"
- "Pere Ubu"
- "The Fall"
- "The Make Up"
- "Weird War"
Kreisky
Ob jetzt all das auf Kreisky zutrifft (wie ich glaube) oder ob das nur eine schreiberische Sehnsuchtsprojektion ist (was eine Leistung für eine Band wäre) - was kümmert's mich, "der ich doch den Stockschnupfen habe". Vielleicht agiert die Band ja wirklich traumwandlerisch und hat mit niemandem was zu tun und gegen niemanden was einzuwenden (was nicht sein kann). Schon die vorangegangenen Eckpunkte von Kreisky waren zu perfekt, Overtüren zu dem Höhepunkt, den diese Band im gegenwärtigen Österreich darstellt, das brachiale Vorprojekt MORD, zu dem man sich jeden der Obgenannten jederzeit hätte vorstellen können.
Die Prankster-Witzbolde von Gelee Royale, die dem Klischee der Kunststudentenband Hohn lachten und vor denen sich Andreas Dorau verneigen müsste. Und - über allem - das gesellschaftlich beispiellos durchdringende situationistische Projekt (ich weiß, sie hören es nicht so gerne, vor allem er nicht) Austrofred, das in jeder seiner Facetten die sympathischste, vielleicht sturste, geistreichste und konsequenteste Kunstfigur und die beste Satire auf Österreich und seine Medien und Szenen der letzten 40 Jahre darstellt.
Die Sturen und Guten
Kreisky haben dieser Gesellschaft der Sturen und Guten, der alleine Wandelnden und Unbeirrbaren noch die Selbstironie dazu gegeben, ohne die man all das wohl heutzutage nicht mehr machen kann, die aber bei ihnen nie vorangestellt oder benutzt wird, sondern, wie sie zeigen, auch einer Band eigen sein kann, die "den Bass wie einen Baseballschläger" ("Scheiße, Schauspieler") hält.
Wohl haben Kreisky das alles schon oft gehört, vor allem das Grantige, Sture, Zynische, wo sie doch so offene, liebeswerte Zeitgenossen sind. Vielleicht sind ihnen aber auch die Vergleiche mit dem losgelassenen Mittelklasse-Junkie, der Albini bei Big Black und (nur Mittelklasse) Shellac war, oder dem dümmlichen Macho David Yow ("The Spoon Thing") genauso unangenehm wie mir. Wohl haben sie noch Slovenly, Paper Chase, Can oder Bowie gehört - Franz Adrian Wenzl kennt ja sogar Styx und Eela Craig und ist einer der ungewöhnlichsten Musikliebhaber und DJs, den ich kenne - stur, geistreich und konsequent auch in seinem Fantum.
Aber ich brauche mir nur das Video zu "Pipelines" anzusehen, mit all den Kunst und Kitschverweisen und den mühelosen Mäandern im Referenzwald, oder ein paar Zeilen aus "Scheiße, Schauspieler" zu memorieren, um mich hier historisch im Recht zu fühlen. Und ihnen einzuräumen, dass sie sich mit gutem Recht nach dem internationalsten Politiker der zweiten Hälfte des Jahrhunderts benennen dürfen, dem Einzigen, der Österreich überragt hat.