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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

12. 4. 2014 - 13:11

A Matter Of Survival

Die Britin Jenni Fagan und ihr intensiver Debutroman jetzt auch in deutscher Übersetzung.

"Der Wachturm ist noch unheimlicher, wenn es dunkel ist. Keiner der Mitarbeiter ist in der Nähe, also habe ich das Deckenlicht ausgemacht und meinen Stuhl so gedreht, dass ich den Wachturm im Rücken habe. (...) Ich gucke einen Dokumentarfilm aus Japan."

Aus "The Panopticon" von der in Schottland geborenen und in London lebenden britischen Autorin Jenni Fagan wird in der deutschen Übersetzung "Das Mädchen mit dem Haifischherz". Am Buch-Cover dieser Übersetzung: bunte Pillen, ein knallroter Lippenstift, blaue Blümchen, ein Miniatur-Eiffelturm als Halskette und ein Mädchen mit blutbespritzter Schuluniform, eingerahmt von einem Haifischgebiss. Emo, Goth, oder wie immer man dazu sagen will, das ist ja anhaltend en vogue. Eine düstere Geschichte wird von diesem Buchdeckel wohl angekündigt.

Buchcover Jenni Fagan The Panopticon

Hogarth

das englischsprachige Original "The Panopticon"

Überwachen und Strafen

Das englischsprachige Original gab sich da optisch geheimnisvoller, hintergründiger, und vom Titel her, "Panopticon", konnte man auch nicht sofort ableiten, worum es denn genau gehen könnte. Ein "panopticon" ist ein Gefängnis, dessen Konzept Ende des 18. Jahrhundersts vom britischen Philosophen Jeremy Bentham entworfen worden war. Gefängnisse, aber etwa auch Fabriken, sollten so gebaut sein, dass es möglich ist, die Menschen dort von einer einzigen Person überwachen zu lassen. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm. Später hat der französische Philosoph Michel Foucault in Anlehnung daran seinen "Panoptismus"-Begriff entwickelt.

"Das Eichhörnchen war nicht tot. Die Autos hupten wie bescheuert, als ich es hochnahm, zum grünen Tor rüberging und mich mit dem Eichhörnchen im Schoß hinsetzte. (...) Ich habe es richtig schön warm eingepackt und bin dann mit ihm in den Wald gegangen."

Buch-Cover Das Mädchen mit dem Haifischherz Jenni Fagan (Roman)

Kunstmann

"Das Mädchen mit dem Haifischherz" ist übersetzt von Noemi von Alemann im März 2014 bei Kunstmann erschienen.

Das Mädchen mit dem Haifischherz ist eine gewisse Anais Hendricks, 15 Jahre alt und in einer Besserungsanstalt lebend, nachdem sie eine Polizistin ins Koma gebracht haben soll. Anais, ein tierliebendes Waisenkind, ist durch das Netz gefallen, das gesellschaftliche Netz. Nein, es hat gar nie eines gegeben, das sie aufgefangen hätte. Auch die Besserungsanstalt nicht, obwohl die anderen jungen Menschen dort zur Ersatzfamilie der jungen Frau werden. Ein Hoffnungsschimmer für Anais, der stärker ist als das System, aus dem "es scheinbar kein Entkommen gibt. Es sei denn du hast ein Haifischherz"?

A Matter Of Survival

Jenni Fagan, Autorin, Großbritannien

Phil Wilkinson

Jenni Fagan

Jenni Fagan schreibt in "Das Mädchen mit dem Haifischherz" über VerliererInnen, vor allem über die Frauen unter ihnen. Aber auch Männer sind Underdogs in Fagans dichter Ich-Erzählung, die bei ihrem Erscheinen vor zwei Jahren in Großbritannien als "smart, witty und wise" beschrieben und insgesamt begeistert aufgenommen wurde. Ein "junges" Buch, das von Themen unserer Zeit (soziale Kälte, Armut, Krebs etc.) in einer erwachsenen Sprache schreibt, was in der deutschen Übersetzung dann nicht immer so gut rüberkommt, etwa wenn es ständig "Fräulein" heißt, wo im englischsprachigen Original "Miss" steht. Letztere Anrede wird in Großbritannien ja wirklich im Alltag verwendet, während "Fräulein" im Deutschen kaum, und wenn, dann anders als "Miss" verwendet wird. Wem es möglich ist, dem/der sei die englischsprachige Originalausgabe von "Das Mädchen mit dem Haifischherz" empfohlen.

"'Kennst du Frida Kahlo?', frage ich sie.
'Nö - ist das eine aus 'nem Heim?'
'Nein, das war eine Malerin.'
'Kenn ich nicht. Warum?'
'Du siehst aus wie sie.'"

Jenny Fagan erhielt für "The Panopticon" einen britischen Literaturpreis, und ihr Debutroman soll demnächst verfilmt werden, mit Ken Loach als Producer. Er wird ja gern als "Sozialarbeiter" unter den britischen Regisseuren bezeichnet.

Auf nach Paris?

Passender Soundtrack zum Buch:
"She Will" - Savages
"Shark" - Throwing Muses
"Miss World" - Hole
"Nuit 17 á 52" - Christine & The Queens

Am Ende erfindet sich das "Mädchen mit dem Haifischherz" einfach neu; Anais wird zu "Frances Jones aus Paris", will Französisch lernen und sich ein Zimmer irgendwo in einer Seitengasse in Paris mieten. Ach deshalb der Miniatur-Eiffelturm am Buchcover.
Ende gut, alles gut? Who knows, aber zumindest leben die Träume: "Es leben die Träumer. Es lebe der Traum. Ich - beginne heute." Yes. Fast schon ein Lebensratgeber ist dieser englische Emo-Novel; das erspart Zeitschriften wie "Freundin" oder "Vital". Nein, Spaß beiseite, der quasi Therapeuten-Ton nervt manchmal ein wenig, aber der kommt in der deutschen Übersetzung stärker raus, als er im englischen Original zu spüren ist.

"Alles, was ich besitze, ist ein Lippenstift, den ich heute morgen gestohlen habe.(...) Paris - das ist es. (...) Ich bin einfach nur ein Mädchen mit einem Haifischherz. Ich würde dir nicht auffallen, wenn ich an dir vorbeilaufe. Das war's, ich bin auf dem Weg raus."