Erstellt am: 24. 3. 2014 - 14:13 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 24-03-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Siehe dazu auch Krisenherd Venezuela. Nur ein Jahr nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Hugo Chávez steckt das Land in einer Krise fest - ein aktuelles Feature von Hanna Silbermayr.
Bilderstrecke vom Turm hier im Guardian.
#serien #venezuela #slumming
Als Popmusik noch das Leitmedium der Gegen/Sub/Jugend/Popkultur war, hätte John Lennon oder Bob Dylan den Turm besucht und dazu noch einen Song geschrieben. Mittlerweile obliegt dieser Job den Autoren der epischen TV-Serien: Die bauen die echten Mythen aus der realen Welt in ihre fiktionale Kunst ein und geben lokalen Errungenschaften so globale Größe.
Die Welt hatte den Turm so im Herbst des Vorjahres entdeckt und staunend zur Kenntnis genommen. In Teilzeit-Beachtung zurückgeworfene Tröpfe wie ich entdecken derlei dann, wenn die deutschsprachige Erstausstrahlung ansteht; was gestern Abend der Fall war
Tower of David heißt die Folge (Nummer 3 aus Staffel 3), sie spielt - bis auf ein paar Szenen von Carrie aus der Klapse, in der sie ihre CIA-Freunde wieder einmal gesteckt haben - entirely in Caracas/Venezuela. Brody, der weltweit gesuchte (Nicht-)Attentäter ist dort aufgetaucht und wird versteckt: im Torre de David, einer die Stadt überragende monströse Ruine der Immobilienspekulation einer Weltgegend, in der Schwarz/Drogengeld gern in Hochhäuser gesteckt wird.
Diesen Turm und seine aktuelle Konstitution konnten die Autoren nicht erfinden - den gibt es wirklich. Und da er in dieser Folge die Hauptrolle (und Damien Lewis und alle anderen ohne Mühe an die Wand) spielt, prasselte nach der Ausstrahlung letzten Herbst massives Medien-Interesse der westlichen Welt auf ihn und die Lage der Menschen in Caracas ein.
Vom New Yorker bis hin zum Daily Telegraph spüren die Reporter dem in knappen 45 Minuten TV-Serien-Präsenz entstandenen Mythos nach.
Und erzählen in Kombination mit den filmischen Bildern eine der aufregendsten Geschichten unserer Tage.
Der im Auftrag des Oligarchen David Brillembourg gebaute Turm wurde nach dessen Tod und der einsetzenden Finanzkrise nicht fertiggestellt, erst 2007 wagten sich Squatter daran den Turm zu besetzen, da er selbst in seinem partiellen Rohbau-Zustand doch deutlich mehr Sicherheit und Lebensqualität bot als die Slums in Caracas. Mittlerweile sind die ersten 28 Stockwerke von über 3000 Menschen bewohnt (wiewohl alles über die Stufen transportiert werden muss), Kanalisation reicht nur bis Stockwerk 5, Elektrizität gibt es vereinzelt.
Die Community ist vergleichsweise basisdemokratisch organisiert: Es gibt (geringe) Mitgliedbeiträge, Arbeitsleistungen, Stockwerk-Vertrauensleute und ein Plenum, dem ein lokaler Gang-Jefe (Alexander Daza, alias El Niño) vorsitzt, der es versteht die offiziellen Autoritäten draußen zu halten.
Das düstere Bild, das in "Homeland" (aus der Sicht des Brody-Charakters durchaus nachvollziehbar) entworfen wird, entspricht wohl eher nicht der Realität. Die Infrastruktur des Torre, mit Wohneinheiten, Lebensmittelversorgern, Handwerkern und kleinen Geschäften funktioniert, die Aufnahme-Kriterien für Neue (no drugs, no crime, guter Leumund, Mitwirken bei Community-Arbeiten, und drei Monate Probezeit) funktioniert und lässt den Tower of David trotz aller immer akuten Probleme wie eine Insel inmitten eines Meers von Verbrechen erscheinen.
Der unbestimmte Schauer, den die Situation dieses höchsten Slums der Welt uns über den Rücken jagt, hat nichts Sozialromantisches, sondern speist sich wohl aus der Tatsache, dass Menschen auch in den übelsten Situationen und schlimmsten Gegenden es immer wieder schaffen aus dem Nichts soziale Gemeinschaften zu errichten, die das allerwichtigste sicherstellen: Überleben; in Gemeinschaftlichkeit.
Hier noch eine selbsterklärende Kurz-Reportage von Vocativ.
Vocativ ist eine Reportage-Plattform neuen Stils, die Beschreibung like Vice, with a lot more data trifft es.