Erstellt am: 22. 3. 2014 - 09:45 Uhr
Common Ground
Im letzten November eröffnete das Berliner Gorki Theater die neue Spielzeit mit einer neuen Intendantin, was in Berlin als Aufbruch in ein neues postmigrantisches Theaterzeitalter gefeiert wurde. Was postdramatisch und postmigrantisch bedeutet, konnte man letzte Woche bei der Premiere von "Common Ground" erfahren. Das Stück ist das Ergebnis einer Recherchereise von fünf Schauspielern, die sich exemplarisch mit ihrer Geschichte und den Folgen des Bruderkriegs im ehemaligen Jugoslawien auseinandersetzen.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen, geboren in Belgrad, Sarajewo, Novi Sad und Prijedor, kamen während der Jugoslawienkriege nach Deutschland und leben jetzt in Berlin. Zusammen mit der israelischen Regisseurin Yael Ronen reisten sie Anfang des Jahres nach Sarajewo, besuchten ehemalige Gefangenenlager und die Orte ihrer Kindheit, sprachen mit Experten, Augenzeugen – und vor allem sehr viel miteinander.
Esra Rotthoff
So sind individuelle Familienschicksale und politische Meinungsverschiedenheiten in das Stück eingeflossen. Zwei der Schauspielerinnen haben sich beim Casting zum Stück in Berlin kennengelernt und dann erfahren, dass beide nahe Prijedor aufgewachsen und ihre Familiengeschichten verbunden sind: Der eine Vater war dort Mitarbeiter eines Konzentrationslagers, der andere Gefangener. Also harter Stoff, der aber an diesem Theaterabend auch mit Tempo, Ironie und stellenweise sogar Witz bearbeitet wurde.
Der aktuelle Trend, dass sich Schauspieler ihre Kulissen mit variablen Bühnenelementen selbst bauen müssen, ist auch ins Gorki eingezogen. Unermüdlich werden multifunktionale Holzkisten zu Mauern, Brücken, Trennwänden und Sitzgelegenheiten gestapelt. Es beginnt recht knallig mit einer Schau auf die Neunziger Jahre im Zeitraffer, laut ertönen die Hits der Jahre, historische TV-Bilder werden auf die Holzkisten projiziert, dazu drängen sich die Schauspieler ums Mikorofon und rufen atemlos die Schlagzeilen des Jahrzehnts hinein:
Maxim Gorki Theater/Thomas Aurin
1992: Bill Clinton wird zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Basic Instinct kommt in die deutschen Kinos. Rostock Lichtenhagen. Neonazibrandanschlag in Mölln.
Und es war ja tatsächlich einiges geboten in den Neunzigern. Die "Operation Wüstensturm" beginnt im Irak, Steffi Graf gewinnt in Wimbledon, Massendemos gegen Milosevic in Belgrad, Kroatien und Slowenien erklären ihre Unabhängigkeit, Roter Stern Belgrad schlägt Bayern München im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister, der Bosnienkrieg bricht aus, Olympische Spiele in Barcelona, die Belagerung Sarajevos beginnt, Massaker in Srebrenica, Robbie Williams verlässt Take That.
Maxim Gorki Theater/Thomas Aurin
Immer schneller werden die Fakten in den Zuschauerraum geschleudert: Juni 1991 – Zerfall von Jugoslawien. 1992 – der Bosnienkrieg bricht aus. 1995 – Friedensvertrag von Dayton.
Dann folgt ein harter Schnitt, als die Schauspieler beginnen, ihre Recherchereise zu rekapitulieren und die persönlichen Geschichten zu Tage treten. Da brechen dann Wut- und Schuldgefühle in einem hochdramatischen komplexen Monolog aus dem Darsteller heraus, der schon vor Ausbruch der Jugoslawienkriege nach Deutschland kam, sich als westeuropäischer Durchschnitts-Teenager hier vergnügte, während die NATO im Kosovokrieg Serbien bombardierte: Ich weiß nicht, was ich studieren soll. Meine Familie wird zerbombt. Ich mache mir Sorgen um meine Haare. Meine Familie wird zerbombt.
Da ist es direkt aufmunternd, wenn der einzig "biodeutsche" Schauspieler eine Persiflage des stets um politische Korrektheit bemühten pingeligen Deutschen gibt: Da steigt keiner mehr durch. Euer Krieg war viel zu chaotisch und wirklich nicht gut organisiert. Bevor wir über Gefühle reden, sollten wir erst mal eine solide Wissensgrundlage schaffen.
Maxim Gorki Theater/Thomas Aurin
Die im doppelten Sinne "echte" Betroffenheit der Schauspieler wird - ins Theatralische übersetzt - für den Zuschauer manchmal geradezu unerträglich. So wichtig die Themen auch sind, man würde lieber einen Dokumentarfilm zum Thema sehen, statt den aufgeladenen Monologen über die Folgen der Kriegsverbrechen zu lauschen. Zudem ist der aus den Gesprächen der Schauspielern erarbeitete Text, dort wo er poetisch sein soll, nahe am Kitsch, auch deshalb erinnerte die Inszenierung stellenweise ein wenig ans Schülertheater.
Trotzdem wurde "Common Ground" von der Kritik gefeiert. Beim nicht enden wollenden Applaus sah man den Schauspielern an, was für eine emotionale Arbeit sie geleistet hatten und konnte sich, bei aller Kritik, auch an ihrer Euphorie und Erleichterung freuen.