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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

21. 3. 2014 - 14:46

Bequem in der Konfliktzone

Österreichische Filme schweifen in die Ferne auf der Diagonale 2014. Wer und was einem da begegnet, ist von großem Schauwert.

Diagonale

Festival des österreichischen Films. Graz, 18.-23. März 2014

Tägliche Berichterstattung aus Graz im Diagonale Tagebuch auf fm4.orf.at und auf orf.at/diagonale

Sondersendung zum Filmfestival in einer FM4 Homebase Spezial, hier zum Nachhören: 7 Tage FM4

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Kann schon vorkommen, dass man in seinen Kinosessel versinkt. Während der vierten Vorstellung des Tages, wenn nur die grünen Notausgangsleuchten eingeschaltet sind und die Leinwand die Wälder um den Yukon-Fluss ausbreitet, kippen die Augenlider. Man vergisst zu trinken während eines ganz persönlichen Festivalmarathons. Die 0,5l-Flaschen sind abends noch halb voll. In "Earth's Golden Playground" wird zwar nicht vor der Kamera getrunken, doch man kann sich denken, dass man knietiefen Schnee, Schwarzbären neben der Fahrbahn und Geröllbuddeln auf Dauer nicht nüchtern übersteht.

Umgegrabener Landstrich in Kanada und ein stillstehender Bagger

Andreas Horvath

Wo Klondike und Yukon zusammenfließen, darf jede und jeder nach Gold buddeln. Erst muss man aber auf die Bibel schwören.

Manie, die sich überträgt

Müdigkeit, also die eigene, ist Andreas Horvaths Porträt von Goldgräbern und Naturzerstörung in "Earth's Golden Playground" sogar dienlich. Die Manie, mit der sein Hauptprotagonist einen Baum umhackt, geht über. Minutenlang kann man diesem Einsiedler in der Blockhütte mit Familienfotos und "Child Care"-Klarsichthüllen zusehen.

Goldkrümel bringen Reichtum - oder zumindest wiegt ein halber Joghurtbecher voll 13.000 Dollar. Genug, um Bagger und Arbeiter zu finanzieren, um hügelweise Erdmassen umzugraben. Luftaufnahmen zeigen die abgesuchten "Claims" - jene Stücke Land, wo Menschen nach Gold graben - wie Narben auf diesem Gebiet. "Earth's Golden Playground" ist das Porträt Manischer und ein Naturfilm ohne mahnenden Gestus. Eine filmische Reise in eine Welt, die einem vor Ort Fingerkuppen abfrieren und einen Selbstgespräche führen lässt.

Wenn der Polarfuchs das gierende Graben mit geradezu stoischer Gelassenheit quittiert, ist dieses Kino pure Entspannung für das Hirn. Nichts kommt einem da anderes in den Sinn. Schauen allein kann herrlich sein. Werten kann man später.

Der Tag am Meer

Ähnlich, aber noch einen starken Grad emotional aufwühlender verhält es sich mit "Das erste Meer" von Clara Trischler. In zwei palästinensischen Dörfern in der Westbank haben Kinder Vorstellungen von der Weite des Meeres, von der sie der Staat Israel trennt. Israelische Frauen jedoch holen Kinder über die Checkpoints, nach Israel und an die Strände von Tel Aviv. In konservativen Medien wird das Projekt als Terrororganisation geführt, auf palästinensischer Seite wechseln sich Misstrauen und wohlwollendes Verständnis ab.

Ein kleines Mädchen schreibt etwas in den sandigen Boden in der Westbank.

filmdelights

Wie Clara Trischler die Instrumentalisierung von Kindern für politische Agenden, eingetrichterten Nationalismus und das Ringen um ein Ende von Tränengasangriffen und willkürlichen Hausdurchsuchungen in diesem Kurzfilm begreifbar macht, zeugt von großem Talent. In your face, das ist nicht ihre Haltung. Das hätte ein Problemfilm werden können, stattdessen ist er Unterhaltung. Bereits in ihren FM4-Geschichten fielen die Perspektiven auf, und die kleine Geschichte der Fahrt von Müttern und Kindern ans Meer bringt den Nahostkonflikt auf den Punkt.

"Wenn du in der Wüste bist und jemand bietet dir zu trinken an", so formuliert ein palästinensischer Vater mit einer Metapher, warum er die Einladung der israelischen Frauen annimmt und seine Kinder in den Bus ans Meer einsteigen lässt. Zurück zuhause, erklären die Kleinen Israel für weit schöner, es hätte eine schönere Atmosphäre. Indes streift ein anderes palästinensisches Mädchen Parolen und Heimatlieder singend durch ihr Dorf, bis es vor Erschöpfung verstummt. Im Sommercamp für Kinder, die unter der Präsenz des israelischen Militärs leiden, wird der Schmerz zur Identitätsstiftung missbraucht. Auch der nächste Bus ans Meer wird ohne sie abfahren.

Muslimische Frauen aus der Westbank stehen am Strand und schauen auf das Meer von einem Strand in Tel Aviv aus

filmdelights

Drehbuchpreise verliehen

Sehr erfreulich ist, dass Clara Trischler unter jenen FilmemacherInnen ist, die heute Mittag den Thomas-Pluch-Preis für kurze oder mittellange Kinospielfilme erhalten haben.

Der Thomas-Pluch-Hauptpreis ist der wichtigste Drehbuchbreis dieses Landes, mit 12.000 Euro dotiert und wird diesmal halbiert, da ex aequo, an Götz Spielmann für "Oktober November" sowie Agnes Pluch und Nikolaus Leytner für "Die Auslöschung" überwiesen.

Animalische Zwischenschnitte

Der diesjährige Diagonale-Trailer von Experimentalfilmerin Michaela Grill zeigt nur Tiere. Im Kurzfilm "Schwitzen" frisst eine Schlange ein Küken und einen Hasen. Zwei beste Freundinnen sehen sich das als YouTube-Video an. Die Kamerafrau und Regisseurin Elfi Mikesch würde das nicht goutieren. Schon am ersten Festivaltag kommen wir auf Tiere im Film zu sprechen.

Eine Auslage eines Grazer Geschäfts mit einer Papiercollage mit Tieren anlässlich der Diagonale

Radio FM4

In Grazer Schaufenstern sagen sich Esel und Eule gute Nacht.

Konkret drehte Mikesch für ihren neuen Spielfilm "Fieber" mit Skorpionen. Die kann man auch nicht einfach totklatschen, wenn eine Einstellung gedreht ist. Zumindest wollte das Elfi Mikesch nicht. Also hat sich jemand von der Produktion durch Luxemburger Tierhandlungen gefragt und ist auf einen Skorpiontrainer gestoßen. Dieser kam mit zwei Skorpionen: einer ein "schneller Läufer, der andere ein ruhigerer Typ". Wesentlich war: Die Skorpione dürfen keinen Stress kriegen, sonst würde es unangenehm. Es hat dann alles gut geklappt, doch der Respekt vor den Spinnentieren am Set kam jenem vor Filmbären gleich. Wie heftig ein Transportanhänger schwankt, wenn ein Bär nach einer Nacht Anreise aus Rumänen an ein Filmset im Wienerwald seinen Widerwillen ausdrückt, lässt einen selbst auf Distanz gehen. Obwohl das Tier noch gar nicht an seiner Leine ans Set geführt wurde.

Komödie, Liebesfilm oder doch Horror?

Am 28. März 2014 startet Johanna Moders Werk regulär in den österreichischen Kinos.

Ob in Johanna Moders Komödie "High Performance - Mandarinen lügen nicht" mit Manuel Rubey und Marcel Mohab als konträrem Brüderpaar auch Tiere zu sehen sind, weiß ich leider noch nicht. Höchstwahrscheinlich ist das komplett irrelevant. Geworfen wird mit Mandarinen. Wie in einer Therapiegruppe. Johanna Moder hat einen klugen Humor und das ganze Ensemble des Theater im Bahnhof auf ihrer Seite.

Manuel Rubey hält Marcel Mohab fest

Thimfilm

Dem Publikum beim Max-Ophüls-Festival gefiel das Langspielfilmdebüt der gebürtigen Grazerin Moder am Besten. Die FAZ klärt in einer Kritik auf, dass sich hinter dem als Komödie beworbenen Film "hinter der Maske des Liebesfilms der eigentliche Horrorfilm" verbirgt.
Denn in "High Performance" setzt ein Karrierejunkie seinen kunstverliebten Bruder auf eine Kollegin an. Lebensentwürfe und Arbeitswelten spielen Hauptrollen.

Um beides geht es auch in "Kick Out Your Boss", im neuen Film von Elisabeth Scharang, der wie "High Performance" am Donnerstag Premiere hatte. Da bin ich allerdings befangen, weil ich mitarbeiten durfte. Verschweigen mag ich "Kick Out Your Boss" aber nicht, denn da geht's um sehr viel.

Ans Herz gelegt wurde mir "Sitzfleisch" von Lisa Weber: Mit ihren Großeltern reiste die Regisseurin in den Norden. Ein Schlagabtausch folgt auf den nächsten. Und ist gute Unterhaltung. Bei der Premiere wollte der Opa sein Bild geraderücken, er sei nicht so schlimm wie im Film. Das Publikum fand sein Granteln weniger schlimm als vertraut bis amüsant.

Freitag Abend: Schnitzelbeat-Party!

Serviert werden "Beat, R'n'B, Schlager und Garagenrocker voller Sex, Suff und Swing aus Österreichs 50er, 60er und 70ern". Die Herren Kuratoren der vom Spezialprogramm Austrian Pulp, Markus Keuschnigg, Paul Poet, Thomas Ballhausen, waren im Vorjahr die einzigen, die Menschen zum Tanzen brachten. Somit stehen die Aussichten auf Bewegung gut und der von mir hoch geschätzte Kollege Christian Fuchs hat sich auch angekündigt. DJ-Ringerl, wie beim Ping-Pong-Spielen, wäre wieder eine heiße Sache. Im Kunsthaus in Graz ab 22 Uhr bei freiem Eintritt.