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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

21. 3. 2014 - 06:00

Höchste Höhen, tiefste Tiefen und zurück

Ein Mann, ein Berg, eine Heldenstory? Bevor Kletter-Wunderkind David Lama seine Erstbegehung macht, muss er erstmals lernen, was Scheitern bedeutet. Ehrlich und ohne Drehbuch.

Es muss ca. 2008 gewesen sein, als ich David Lama zum ersten Mal in natura gesehen habe, in der Tivoli-Kletterhalle in Innsbruck. Die anderen Kletterer haben ihm Platz gemacht, als er mit seinem Trainer gekommen ist und zum Aufwärmen schon Routen geklettert ist, die die meisten in der Halle in ihrem ganzen Kletteleben nicht erreichen werden. Im Schwierigkeitsgrad 8a/8b hat er begonnen und ist auf einem Bein von Tritt zu Tritt gehüpft, das andere Bein war eingegipst. Nicht nur mir ist beim Zuschauen der Mund offen gestanden.

Teenie-Star

David Lama an einer Kletterwand

Red Bull Content Pool

David Lama war der David Alaba des Kletterns. Dieser Vergleich ist vielleicht etwas weit hergeholt, macht aber ganz gut deutlich welchen Hype David Lama als Teenager in der Kletterszene ausgelöst hat. Nachdem er zwei Mal Jugendweltmeister im Sportklettern wird, darf er mit 15 Jahren mit einer Ausnahmegenehmigung bei den Erwachsenen starten, wird Europameister im Vorstiegsklettern, ein Jahr später auch im Bouldern und feiert in beiden Disziplinen auch Weltcupsiege. Die Medien interessieren sich nicht nur für sein Talent oder sein Alter, auch Davids Herkunft als Sohn einer Tirolerin und eines nepalesischen Sherpa macht ihn interessant. Mit zahlreichen Artikeln, Interviews und Beiträgen machen sie den Teenager zum Star.

Mit 19 hat David Lama dann genug vom intensiven Training in staubigen Kletterhallen. Er will raus ins Freie, an die großen Felswände und es dauert gar nicht lange, bis er sich ein Projekt definiert. David Lama will die Kompressor-Route am Cerro Torre, einer majestätischen Granitnadel in Patagonien, klettern, und zwar frei, ohne technische Hilfsmittel. Das ist zuvor noch niemand anderem gelungen und wie sich herausstellt auch dem "Kletter-Wunderkind" David Lama zu Beginn noch zwei Nummern zu groß. Nicht nur, dass er den Cerro Torre nicht klettern kann, mit seinem Projekt zieht er sich auch den Zorn der ganzen Kletterszene zu. Lamas Ansehen fällt tief, bis er sich wieder aufrappeln kann.

Die Granitnadel des Cerro-Torre im Morgenlicht

Corey Rich/Red Bull Content Pool

Eine der schönsten Felsnadeln der Welt

Cerro Torre

David Lamas Projekt ist nicht nur ein Kletterprojekt, es sollte von Anfang an auch ein Filmprojekt sein, finanziert und gedreht von seinem Sponsor Red Bull. Diesen Freitag läuft nun "Cerro Torre. Nicht den Hauch einer Chance" in Österreichs Kinos an, doch der Film ist ganz anders geworden, als zuvor geplant. Dafür haben sich die Ereignisse zu sehr überschlagen, woran das Filmteam mit Schuld getragen hat.

Ein alter Kompressor hängt in einer Felswand

Lincoln Else/Red Bull Content Pool

Warum Kompressor-Route? Weil noch immer der Kompressor in der Wand hängt, mit dem bei der Erstbegegnung Bolts in die Wand getrieben wurden.

David Lamas erste Expedition nach Patagonien 2009 wird zum Desaster. Die Bedingungen sind nie ideal zum Klettern, die Wetterfenster zu kurz, und während David und sein damaliger Seilpartner nur die alten Haken aus den 1970ern verwenden wollten, bohrte das Filmteam Dutzende neue Haken in den Fels und bringt Fixseile an, um den Aufstieg der Kletterer parallel mitfilmen zu können. Das verstieß gegen jede Kletterethik und über den damals 19-jährigen David Lama ergoss sich ein weltweiter Shitstorm.

"Der Depp mit der Bohrmaschine"

Von einem Moment zum anderen wurde David Lama vom Helden zum Buh-Mann. Er musste sich von den alteingesessenen Alpinisten wie Reinhold Messner vorwerfen lassen, dass ihn Red Bull instrumentalisiere, und das war noch einer der milderen Vorwürfe. All diese Anschuldigungen und Vorwürfe sind in den Film miteingeflossen, der dadurch überaus selbst- und medienkritisch geworden ist.

David Lama sieht ein, dass er einen Fehler gemacht hat, sieht die Kritik als gerechtfertigt an und nimmt die Rolle als "Depp mit der Bohrmaschine" hin. Im FM4-Interview sagt er, er hat lernen müssen, dass es im Alpinklettern nicht nur darum geht, was man macht, sondern vor allem wie man etwas macht, um den Stil. Sein Projekt aufgeben wollte er damals allerdings nicht, er wollte es besser machen.

David Lama im FM4-Interview

David Lama spricht über die Dreharbeiten, über den Shitstorm, der über ihn hereingebrochen ist, wie er mit seinen Kritikern umgegangen ist und welche neuen Projekte er plant.

David Lama - komplettes Interview
David Lama

Radio FM4 / Simon Welebil

David Lama im FM4-Studio

Neue Regeln

David Lama wechselt für seine zweite Expedition 2011 den Seilpartner und hat mit Peter Ortner nun einen wirklich guten Alpinisten an seiner Seite. Auch für das Filmteam besteht David nun auf gravierende Änderungen: Es werden keine neuen Haken mehr gebohrt, auch die Filmer müssen sich über die Normalhaken aus den 1970ern raufziehen. Zur Mitte des zweistündigen Filmes stehen Lama und Ortner schließlich am Gipfel des Cerro Torre, die Sonne geht hinter ihnen unter und sie scheinen glücklich. Hier hätte der Film zu Ende sein können, aber es bleibt ein Schönheitsfehler. Ganz frei sind sie die Route noch immer nicht geklettert, weshalb sie es ein Jahr später noch einmal versuchen wollen.

Hier gibt's eine kompakte Zusammenfassung der Alpingeschichte um den Cerro Torre.

2012 wird dann nochmals alles anders als geplant. "Das hätte sich der beste Drehbuchautor der Welt nicht besser einfallen lassen können", sagt Lama. Eine andere Seilschaft verursacht einen Skandal, weil sie selbst die alten Haken aus der Wand schlägt, um dem Berg, wie sie sagen "seinen Respekt zurückzugeben". David kümmert sich nicht großartig darum, aber das Filmteam kann sie dadurch nicht mehr beim Klettern begleiten. Die Alternative stellt das Filmteam noch mehr in den Mittelpunkt.

Kletterer David Lama hängt am Seil in einer Felswand. Unter ihm vor allem Gletscher

Lincoln Else/Red Bull Content Pool

David Lama vor der letzten Seillänge der Kompressorroute

Film über Klettern und über das Filmen

Dass David Lama und Peter Ortner ihr Projekt durchgezogen haben ist kein Spoiler, das konnte man in zahlreichen Blogs und Artikeln lesen. Was dabei rausgekommen ist, ist nicht nur kletterisch eine besondere Leistung, auch der Film verdient hohe Anerkennung. Selten wurden die eigenen Fehler so offensiv behandelt, selten wurden die Probleme und Herausforderungen beim Filmen so deutlich dargestellt. Nicht nur Lama und Ortner sind die Protagonisten von "Cerro Torre" auch die Kameramänner und Bergführer nehmen einen großen Teil des Films ein.

"Der Cerro Torre hat mich sicher geprägt", sagt David Lama. Wie er sich persönlich und menschlich ihn diesen vier Jahren des Projekts weiterentwickelt hat, kann man im Kino nun mit atemberaubenden Bildern erleben.

Angekommen

Heutzutage hat sich David mit der Alpinistenszene versöhnt. Bei der wichtigsten Ehrung im Alpinismus, dem Piolet d`or haben Lama und Ortner sogar eine besondere Auszeichnung erhalten. Dadurch, dass Lama die Kritik der Alpinisten angenommen hat, kann er sich heute wieder mit ihnen an einen Tisch setzen und ein Bier trinken.