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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 3. 2014 - 18:30

Qualität nach Betriebsanleitung

Familienkrise, Krimi-Thrill: Die Show "The Red Road" macht wenig neu, aber vieles sehr gut.

Es darf wieder die Belastbarkeit der Nerven überprüft werden. Einatmen, ausatmen, die langen Momente zwischen den einzelnen Sekunden zählen. Vergangenes Jahr schon hat der Sundance Channel mit seiner ersten Eigenproduktion vorgemacht, wie schmerzhaft und wie schmerzhaft schön die aus der Musik bekannte Idee des Slowcore wohl in Serienform gegossen aussehen könnte: Die Show "Rectify" zeigte 2013 wie ein zum Tode Verurteilter nach Jahren auf Death Row aufgrund eines formalen Detailfehlers im Prozedere – vielleicht nur vorübergehend – wieder frei kommt und Gesellschaft und er selbst sechs blendend zähe Episoden lang miteinander wechselseitig nicht mehr gar so toll kompatibel sind. Schuld oder Unschuld der Hauptfigur blieben bislang geklärt.

The Red Road

Sundance Channel

The Red Road

Die vor Kurzem angelaufene, zweite Eigenproduktion des Sundance Channels folgt dem aktuellen Trend der Geschwindigkeitsminimierung und fügt sich in seiner langatmigen Erzählweise und ästhetischen Grundausleuchtung in den Farben Kaltblau, Blassbraun und Grau auch sonst bestens ins Muster populärer Showformate der letzten ein, zwei Jahre.

Man merkt der von Aaron Guzikowski ("Contraband", "Prisoners") erdachten Show den kreativen Kraftakt am Reißbrett an, der "The Red Road" überdeutlich in der Nähe von Serien wie "Top Of The Lake", "The Killing", "Broadchurch" oder eben "Rectify" verankert. Genauso folgt "The Red Road" mit seinen nur sechs schlanken Folgen (immerhin für Season 1) der gerade ebenso sehr populären Tendenz, ein paar zusammenhängende Stunden Fernsehen eher als langen Film denn als Serie zu begreifen.

Die Idee der "Red Road" ist ein aus verschiedenen Traditionen der Native Americans Nordamerikas überliefertes Konzept und meint im ursprünglichen Sinne eine Art Lebensphilosophie, den richtigen und guten spirituellen Pfad. In der Show "The Red Road" geht diesen Pfad natürlich keiner. Alle sind hier, in den dunklen Wäldern und in den kalten Büros einer Kleinstadt New Jerseys, am Straucheln oder haben sich gleich mit aller Kraft der dunklen Seite verschrieben.

Konstantes unangenehmes Grundrauschen liefern der Show die Spannung zwischen den Angehörigen des Stammes der Lanape - den Nachkommen der rechtmäßigen Bewohner des Gebiets - und dem Rest der vornehmlich weißen Bevölkerung und die damit verbundenen Streitigkeiten um Anerkennung und Territorium. Dieser Konflikt ist in "The Red Road" bislang (nach drei ausgestrahlten Episoden) aber leider bloßes Bühnenbild. Konstruiert und ausgedacht, ja, aber doch sehr geschickt übt sich "The Red Road" lieber in der gut erprobten Verwebung von Charakterstudie, Depressions-Psychogramm, mörderischem Thriller-Kitzel und prächtiger Landschaftsaufnahme.

The Red Road

Sundance Channel

Über weite Strecken handelt "The Red Road" von Szenen einer Ehe. Im Zentrum stehen Cop Harold Jensen (Martin Henderson) und seine Familie. Verstimmung und Frustration sind groß: Eine seiner beiden Töchter befindet sich in einer unerwünschten Beziehung mit einem Lanape-Burschen – hier sind also schnell ein gutes, altes Romeo-und-Julia-Motiv und ein gar nicht allzu unterschwelliger Rassismus in der Luft etabliert. Ehefrau Jean (die großartige Julienne Nicholson, bekannt aus "Masters Of Sex" und "Boardwalk Empire") kämpft währenddessen ewig schon mit dem Alkohol bzw. den Entzugserscheinungen. Möglicherweise ist sie schizophren. Wie in einer unangenehmen Zeitlupe fließt die Show vor sich hin. Beziehungskrise, lange wortkarge Konfrontationen, dann wieder Hysterie und Geschrei, die üblichen Probleme zwischen Eltern und Kindern werden zu gigantischen Dramen.

Die zermürbende Familiengeschichte koppelt und verknotet "The Red Road" sehr gewieft auf mehreren Levels mit einen Kriminalfall um einen – na gut, ein, zweimal geht noch - verschwundenen Teenager, einer folgenschweren Vertuschung, Drogengeschäften und einer wiederaufgewärmten High-School-Rivalität. Der Gegenspieler von Cop Harold, ehemaliger Football-Hero und kerniger Gutmeiner, ist hier auf allen Ebenen der vom imposanten Jason Momoa dargestellte Halb-Lenape Phillip Kopus: Ein stets süffisant mit sich selbst zufriedener Gangster mit guten Verbindungen und höchster Autorität. Ein kaltblütiger Brutalo ohne Moral, dafür aber von der Eleganz einer besonders großen Katze. Aus dieser Dynamik alleine entsteht schon Prickeln. Und: In der Kleinstadt schlummern, wie so oft, Geheimnisse. Dunkle und erschütternde Ereignisse liegen in der Vergangenheit begraben. Die Folgen sind heute noch zu spüren, wohin die Show möchte, ist dabei erfreulicherweise noch unklar.

Bedenklich an "The Red Road" ist der Umstand, dass bislang fast alle auftretenden Native Americans als reuelose Verbrecher oder immerhin leicht zu beeinflussende Idioten gezeichnet sind. Der Rest des Personals kommt ebenfalls nicht gut weg – eine Verschiebung diesbezüglich muss in den verbleibenden Folgen dennoch passieren, sonst hat "The Red Road" ein ernsthaftes Problem. Man kann bei einer sonst so schlau und immer ein bisschen zu genau nach Kursbuch gebauten Show aber mit Zuversicht darauf hoffen.

Gewalt, Alkohol, Rassismus, Mord und Geschäftchen mit Tabletten. Ein verzweifelter Cop, der versucht sein Leben nur irgendwie unter Kontrolle zu bekommen und dabei hinfällt. "The Red Road" verpflanzt altbekannte Bilder in neues Setting und macht das meistens sehr gut. Jetzt brauchen nur noch ein paar Wahnsinnige mit wirren und konfusen Ideen im Kopf hingehen und ein paar neue, andere, kaputte Shows drehen, die von dem betulichen Siegel "Qualität" vielleicht nicht immer allzu viel wissen wollen.