Erstellt am: 20. 3. 2014 - 16:30 Uhr
Jeden Tag Rebellion
Unsere Gegenwart ist unerträglich. In Mitteleuropa wird das erst realisiert. Mitteleuropa wird im neuen Film der Riahi-Brüder weitgehend übersprungen. Unsere globale Gegenwart hat mit einem unvollkommenen Frühling zu tun. Erträglich wird sie dort, wo dieser Frühling tagtäglich mit Leben gefüllt wird. Mit gewaltfreiem, erfindungsreichem Leben, das - so suggeriert der Film "Everyday Rebellion" - als Lebensform Protestform ist. Schönheit, Anmut, Würde und verletzlicher Kampf.
"Everyday Rebellion" ist eine hochsuggestive, hochemotionalisierende filmische Weltreise mit Zwischenstopps in New York, Madrid, Kiew, Kopenhagen, Teheran, Amman, Warschau, Paris, Stockholm.
Wer diese Reise gerne mit Skepsis und Distanz im Gepäck antreten würde, wird in der Eingangsszene entwaffnet: In New York erzählt eine Aktivistin durchs human microphone, dass sie als Kind mit ihren frisch eingewanderten Eltern gelernt hat, im Müll Essbares zu finden. Später wollte sie "big and impressive" werden, studierte so, dass sie heute 100.000 US-Dollar Schulden hat und sich davor fürchtet, wieder zum Essen aus dem Müll zurückkehren zu müssen. Sie wünscht sich, dass Geschichten wie ihre Gehör finden, damit Obdachlose, vom Müll lebende Menschen, genauso entstigmatisiert werden wie Menschen, die in Angst vor so einem Schicksal leben. Tränen rollen über ihre Wangen. Und über die ihrer ZuhörerInnen.
Meine Skepsis über die theatral-kommunikative Form des human microphone wird in diesem Moment der Berührung aufgeschoben. Eine flüsternde Stimme teilt Einsichten aus dem spanischen Manifest der Plataforma ¡Democracia Real YA! mit und schon sind wir in Madrid bei einer durch Zahlungsausfall bedingten Zwangsräumung. Die systemische Krise des Kapitalismus wird anschaulich und angreifbar in den Widerstandsakten gegen ihre Zwangsgewalt.
Gewalt und ihre Überwindung durch Mut, Erfindungen, Widerspruch und Verantwortung sind Leitmotive in "Everyday Rebellion". Eine Präzisierung erfährt der Begriff "Gewalt" im Kontrast zum vielfältigen Repertoire der "gewaltlosen direkten Aktion": Eine Femen-Aktivistin sägt in Kiew mit einer Motorsäge ein riesiges auf einem Hügel verankertes Holzkreuz um. Von da an begleiten wir sie auf ihrer Flucht. Ist das Umsägen eines Holzkreuzes Gewalt? Die Aktivistin wird seit diesem Tag mit Todesdrohungen belästigt und hat mittlerweile in Paris Asyl erhalten. Ist das Kreuz Gewalt in Symbolform?
http://www.everydayrebellion.net
Immer wieder kehrt der Film nach Kopenhagen zurück, zu einer Konferenz über gewaltlosen Aktivismus. Die Politikwissenschafterin Erica Chenoweth erläutert die Effektivität gewaltloser Aktionen im Vergleich zu gewalttätigem Protest und wir kehren über Madrid und Kairo ins Geburtsland der beiden Regiesseure Arash und Arman T. Riahi: in den Iran der erstickten grünen Revolution von 2009.
Wo Dissens nicht nur das eigene Leben gefährden kann, wo ein Gewaltregime zur Folter von Familienangehörigen greift, um politische Gegner zu eliminieren, sind Wachheit, Solidarität und Erfindungsreichtum überlebensnotwendig. Irans Transformationsbewegung hatte keine Führungspersönlichkeiten, keine Strategie, beides wäre vom Regime zur Repression benutzt worden, es ging nur um eines: um Kommunikation.
Zeichen
Die tägliche Rebellion findet auf semiotischer Ebene statt: Denkverbote durchbrechen, bleierne Normalitäten in Frage stellen, Angstfiguren dechiffrieren. Low risk tactics, die schwer kriminalisiert werden können, eröffnen einen Raum, in dem lustvoll "Nein" zu einer zerstörerischen politischen Gegenwart gesagt werden kann. Klappernde Pfannen, Lichthupen, Graffiti - beginnen Umstürze zwangsläufig damit?
http://www.everydayrebellion.net
Zwischendurch wirkt "Everyday Rebellion" wie ein Revolutions-Manual. Wenn Yes Men Grundsätzliches zu Kommunikationsguerrilla sagen oder wenn Srđa Popović von der serbischen Organisation Otpor! aus dem Nähkästchen plaudert, entfaltet sich das Problematische am Film: Hier haben wir einen agitatorischen Film, der über Agitationsmethoden informiert. Dabei wird z.B. Graffiti wenig differenziert als Easy-to-use-Methode vorgestellt. Die Fallstricke zwischen taktischen Kodierungen, Culture jamming und dem Einspannen nützlicher Idioten für versteckte politische Ziele (ich denke an Kony 2012) bleiben unausgeleuchtet.
Arash T. Riahi hat vor zwei Jahren Clips der zwielichtigen Kunst-hat-Recht-Kampagne für "geistiges Eigentum" produziert, die in einem kleinen Remix-Spoofing von Kampagnen-Gegnern schön ad absurdum geführt wurden. Wenn schon ein Manual, dann gleich ein richtiges.
"Everyday Rebellion" ist dann doch kein Manual. In Syrien wurde aus der Revolution ein Bürgerkrieg. In dieser Katastrophe stecken wir immer noch fest. Wir begleiten AktivistInnen aus der ehemaligen syrischen Bewegung, die in jordanischen UNHCR-Camps Spielzeug für syrische Flüchtlingskinder besorgen. Es sollen keine Spritzpistolen sein, wird versucht dem uneinsichtigen Spielzeughändler klar zu machen. "Wir wollen mit dieser Kultur brechen." Was gibt es zu spielen inmitten der Kriegstrauma?
Nachbarschaftsversammlungen, kollektiver Schuldenstreik, Trainingseinheiten für zivilen Ungehorsam. Der Film wirft kaleidoskopische Schlaglichter auf erfindungsreiche Auswege aus dem gesellschaftlichen Bankrott.
Beim internationalen Iran Tribunal in Den Haag hören wir einem gealterten Söldner zu, der vor rund 30 Jahren einen Dissidenten erschießen "musste". Die Last seiner Schuld als Mörder drückt ihn seither. Beim Tribunal gesteht er das bitterlich weinend. Und die anwesenden Angehörigen seiner Opfer teilen in dieser außergewöhnlichen Szene seinen Schmerz: Verzeihen als Befreiung aus der Gewaltspirale. Von brandaktuellem Protest als Lebensform spannt "Everyday Rebellion" den Bogen zu zeitlos existenziellen Fragen. Im Finale ist mir noch einmal schwindlig geworden - auch wenn es sich hier um einen Propagandafilm handelt, es ist ein guter Propagandafilm. Die Diktatur der Angepassten wäre ohne ihn noch unerträglicher.