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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

20. 3. 2014 - 16:56

Eine große sächsische Predigt

Es geht auch anders, will Russell Brand mit seiner Comedy-Welttournee "Messiah Complex" aufzeigen. Das Es geht auch sonst überall hin. Gestern und heute zum Beispiel ins Gartenbau.

Eine einflussreiche Bloggerin schneidet vor der Reproduktion eines Fotos von einer vielbeachteten Gala-Premiere den Bildausschnitt so zurecht, dass dem Publikum der Blick auf den Ehering des Produzenten vorenthalten bleibt, und Mitgliedszahlen in pränatalen Fortbildungskursen schnellen in die Höhe. Der Vorstandschef einer Bank, deren Portfolio auch Beteiligungen an einem Softdrink-Konzern enthält, wird von der Regierung zum Leiter einer Kommission für Bürokratieabbau ernannt, und 15 Monate später wird eine abgeschwächte Neufassung der Trinkwasserverordnung verabschiedet.

Der Weltskiverband kündigt spontan eine einwöchige Sommer-Weltmeisterschaft an, und die führende Rundfunkanstalt eines Landes hat mit einem Schlag schon wieder kein Budget mehr dafür übrig, ein Redaktionsteam zum diesjährigen Bilderbergtreffen zu entsenden. Zur expliziten, selbstironischen Versinnbildlichung dieser Phänomene in der Show eines Häretikers wie Russell Brand mag mensch stehen, wie mensch will, aber die Hyperrealität dieser Globalkultur hat ihre bedeutungsstiftenden Anker schon vor langer Zeit gelichtet.

Die Itar-Tass

Mit dem Elan von fast 40 Jahren an einschlägigen Erfahrungen, und in einer Zeit, in der es für die Nachfahr_Innen der Babyboomer-Generation immer öfter nur ein entweder/oder zwischen einer bedürfnisgerechten Betreuungslösung für ihre Eltern und einem Modikum an sozialer Emanzipation gibt, proklamiert Brand: "Drogensucht ist eine Gesundheitsfrage, und kein kriminelles Delikt!", und einer Gefährtin aus einer Gruppe neben mir sitzender junger irischen Damen entfährt unverständlicherweise ein unvermitteltes "bollocks". Unverständlich, weil es sich ja hier genau umgekehrt verhält, dass nämlich die Suchtprävention im Visier einer schleichenden Privatisierung liegt, während die "bollocks" immer mehr verstaatlicht werden.

besteht

Das Spektakel schreibt die Geschichtsbücher, und private Sicherheitsdienste, Jugendkontomargenerrechner_Innen und freiberufliche Klickfarm-Trolle sind sein aktuell favorisiertes, ehernes Regulativ, eine Subjektbildung via, so Brand, die Anpreisung der "unbeschreiblichen Genugtuung einer Rasur", eine Duldungsstarre, die "stinkt wie der rechtschaffene Schweiß von Che Guevara". Foxconn spannt still weiter seine "Netze", und FOX macht den Hühnerdieb zum "Jäger". Hier kriegt alles sein Fett weg, was nicht ohnehin schon "fett" genug ist, um noch einen spitzzukriegen. Die boutiquesoziologische Sturm-und-Drang Prosa mutet an wie Sauerrahm: Gut und geschmacksverstärkend, wenn sie sich möglichst eng an das jeweils ausgewählte Objekt des Kulturpessimismus schmiegt.

auf einer Gegendarstellung

Am Ende ist Werner Faymann als Viagra-Verkäufer geoutet, ein deistisches Verständnis ursächlicher Produktionszusammenhänge kann dem totalen Verdruss immerhin noch einen temporären Riegel vorschieben, und die aktuelle mediale Glaubwürdigkeitskrise ist ebenso unbeengt von irgendeinem Textilzwang wie der Vortragende. Und wer diesen kennt, weiß, dass er es genauso am liebsten hat.

Kartenpreise von 63€ bis 88€, though. Glücklich, wer da den Erlagschein zugunsten von Attac ohnehin schon versehentlich verlegt hat.