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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

20. 3. 2014 - 11:58

Politisch engagiert

Skateboards, Blumenkränze und Kettensägen, die nicht zur Hand sind. Vermisster Pathos und Herausforderungen politisch engagierter Regisseure. Der erste Tag auf der Diagonale.

Diagonale

Festival des österreichischen Films. Graz, 18.-23. März 2014

Tägliche Berichterstattung aus Graz im Diagonale Tagebuch auf fm4.orf.at und auf orf.at/diagonale

Sondersendung zum Filmfestival in einer FM4 Homebase Spezial, hier zum Nachhören: 7 Tage FM4

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Der erste reguläre Tag auf der Diagonale 2014 endet wider Planung nicht auf einer Party. In der Postgarage feiern RegisseurInnen der Kurzspielfilmprogramme, von denen geschärmt wird, und im Kunsthaus legen Mirjam Unger und Gerald Votava bei der Diagonale Nightline auf. Indes ist es auch im KIZ Royal Kino Mitternacht und eine Besucherin bietet Inna Shevchenko von Femen an, gemeinsam mit ihr Kreuze in Graz umzusägen: "If you have your chainsaw with you". Halleluja. Geht man ins Kino für Widerstand?

Wenige Minuten zuvor diskutierten die Exil-Ukrainerin Shevchenko und ein Exil-Ukrainer im Publikum über die aktuelle Regierung ihres Geburtslandes. Denn im Rahmen der Graz-Premiere von "Everday Rebellion" gab es ein Publikumsgespräch mit Arman und Arash T. Riahi und zwei ihrer ProtagonistInnen. Doch das Publikum reagierte mit Applaus recht verhalten, und schon die erste Frage einer Besucherin konfrontierte die mediale Femen-Frontfrau mit Kritik. Kurzfassung: ihrerseits alles entkräftet. "Those who sit at home and in front of the TV, fail", erklärt die 23-jährige Inna Shevchenko blumenbekränzt auf eine Frage, wie sie mit Desillusion umgehe.

Drei Frauen der Gruppe Femen protestieren vor der ägyptischen Botschaft in Stockholm

Golden Girls Filmproduction

Wie schön darf politisches Kino sein?

Politischer Film hat seit dem Werkstattgespräch mit Filmemacher Gerald Igor Hauzenberger zu Mittag meine Aufmerksamkeit. Was bedeutet es, heute politische Filme zu machen oder ein politisch engagierter Filmemacher zu sein?

Hauzenberger arbeitet an einem Film über die Asylwerber, die in der Wiener Votivkirche Schutz suchten und protestierten. Ob es eine Doku wird oder ins Fiktive gehen wird, kann Hauzenberger zum momentanen Zeitpunkt nicht sagen. Spannend ist seine Auseinandersetzung nicht allein mit dem Thema der Refugees-Protestbewegung, sondern darüberhinaus mit politischem Film oder Film von politisch engagierten FilmemacherInnen. Wie er bereits mit seiner Doku "Der Prozess" eindrücklich bewiesen hat, geht es Hauzenberger um systemische Sachen. Ihn interessieren Prozesse, und selbstverständlich zitiert er Foucault.

Gerald Igor Hauzenberger im Gespräch über sein aktuelles Filmprojekt

Radio FM4

"Politischer Film ist immer schwierig, weil jede Ästhetisierung mit Stirnrunzeln quittiert wird", sagt Hauzenberger und bezieht sich auf Fördergeber. Eher in Bildern denn in Argumenten wolle er erzählen. Die Votivkirche als "der filmischste Ort" ist eine Herausforderung, aufgeladen mit Symbolik. Schlagwort Beichte, Schlagwort Schutzraum. Schnittnotizen werden gezeigt und es wird klar, wie groß die Herausforderung ist, eine Ästhetik zu treffen.

Ist Fluchthilfe ein Verbrechen? - von Claus Pirschner

"Tagelang wurde die Orgel gestimmt, damit man die Refugees rausbringt", erinnert Hauzenberger. Sozusagen als Schläfer in der Votivkirche hat Hauzenberger begonnen, sich dem Thema und den Refugees zu nähern, und hat den zu Beginn über sechzig Menschen gedreht.

Im Pausenraum der Gesellschaft. Unterwegs mit dem afghanischen Asylwerber Zaker - von Daniel Grabner

Derzeit sind es noch 23 Personen - die anderen sind geflüchtet, untergetaucht oder wurden abgeschoben. Fühlt sich Hauzenberger solidarisch mit den Refugees, die man juristisch korrekt nicht als Flüchtlinge bezeichnen kann, weil ihr Status jener Asylwerbender ist? "Mich interessieren die Menschen als Menschen. Auf der anderen Seite: Ich möchte keinen Film machen, der ein Klingelbeutel der Solidarität wird."

Zeugenschaft mit der Kamera

Über seine Rolle zu den Refugees sagt Gerald Igor Hauzenberger, dass er im Zuge der Dreharbeiten wichtig wurde als jemand, der Zeugenschaft bietet. Letzten Montag besuchte Hauzenberger erst eine Gerichtsverhandlung. Tonaufnahmen vom Dreh würden allerdings als Beweise nicht zugelassen.

Dazu bewogen, das Thema überhaupt aufzugreifen, habe ihn die Einstellung der Refugees: nicht nur für sich, sondern für die nächste Generation Flüchtlinge würden sie kämpfen und in Hungerstreik treten. Es geht um Selbstermächtigung. Doch was soll so ein Film leisten? Hat Hauzenberger den Anspruch journalistischer Redlichkeit? Was das Projekt anginge, ja. Doku könne nicht mehr leisten, was man leisten wolle. Darum ist eine Website im Aufbau.

Skateboard lehnt an Kinosessel

Radio FM4

"Es heißt ja, das Kino ist tot", begrüßt Arash T. Riahi in einem voll besetzten Kinosaal, "danke, dass Sie uns glauben machen. Wir werden immer ans Kino glauben." Und Saalregie Georg Grigoriadis fügt hinzu: "Es lebe das Kino". Grigoriadis ist auch der, der einen bittet, die Mobiltelefone auszuschalten. Also ganz, Flugmodus wäre schummeln. "Um die Nachbarn nicht zu behelligen."

Kino-Foyer mit Filmplakat zu "Sitzfleisch" und eilenden Besucherinnen

Radio FM4

Film ab. "Everyday Rebellion" ist als ganzes Projekt mit Film, Webplattform und geplanten Applikationen ein politisches Projekt, sagt Arman T. Riahi, der mit seinem Bruder Arash Regie führte. Protestbewegungen rund um den Erdball haben die Beiden besucht und Methoden des gewaltfreien Widerstands erkundet. Wie weit der eigene Aktivismus geht, ist damit schnell geklärt. Was die Ästhetik angeht, hätte ich doch Pathos erwartet. Um die Euphorie eines Widerstands ein Stückchen zu spüren, wenn Dinge aufgehen. Doch dafür kennen die Filmemacher ihre Schauplätze zu gut.

1.400 Stunden Videomaterial ist in der Doku "Everyday Rebellion" auf 110 Minuten Spielzeit destilliert. Dass seine Filme Gebrauchsgegenstände werden, die von NGOS verwendet und in Schulen gezeigt werden, das will Arash T. Riahi. Spezielle Vorführungen vor PolitikerInnen erachtet sein Bruder für sinnlos.

Graz-Premiere von "Everyday Rebellion" mit Inna Shevchenko von Femen

Radio FM4

"We're not expecting those who we're fighting with to love us", sagt Inna Shevchenko.

Das große Ganze in der Nachbarschaft entdecken

"In unserer kleinen und nächsten Umgebung können wir die ganze Welt finden", sagt Arash T. Riahi. Somit darf ein weiterer Film nicht übersehen werden, wenn es um gegenwärtiges durchdachtes und politisch engagiertes Kino geht. Sebastian Brameshubers Doku "Und in der Mitte, da sind wir" hat morgen bei der Diagonale Österreich-Premiere und dreht sich um Jugendliche in Ebensee zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Kindheit und Arbeitssuche.