Erstellt am: 22. 3. 2014 - 11:07 Uhr
Von Feen-Minderheiten und Maschinen: Die Seltsamen
Diogenes
Eines Nachts öffnet sich plötzlich das Portal zu einer Welt, aus der Feen, Gnome, Trolle, Kobolde und andere fremde Wesen ins viktorianische England dringen. Es beginnt ein Krieg zwischen Menschen- und Feenwelt, der später als der "heitere Krieg" in Erinnerung bleiben wird wegen der vielen grinsenden Schädel auf den Schlachtfeldern. Die Feenwesen rufen Vögel vom Himmel, um den Soldaten die Augen auszupicken, und bringen Wälder dazu, ihre Wurzeln aus der Erde zu ziehen und ihren Standort zu wechseln, sodass die Landkarten der Menschen nutzlos werden. Den Kanonen, dem Schießpulver und der Überzahl englischer Soldaten können die Feenwesen allerdings trotzdem nicht endlos standhalten.
Das Portal zu Feenwelt wird zerstört und die Wesen sind von nun in England gestrandet. Sie müssen sich an die Umstände und Gepflogenheiten der menschlichen Welt gewöhnen und leben fortan als diskriminierte ethnische Minderheit in Ghettos und Slums. Die Menschen haben entdeckt, dass Feenwesen vom Material Eisen und durch den Klang schlagender Glocken in ihrer Magie geschwächt werden, weshalb sie alle fünf Minuten die Glocken läuten lassen.
Düster und unberechenbar
Wenn man die Begriffe Feen und Fantasy hört, denkt man schnell an Kitsch und kleine Glitzerstaub versprühende Wesen, die kichernd durch die Luft flitzen. Die Feenwesen bei Bachmann allerdings sind düstere, unberechenbare und gespenstische Kreaturen mit großen, schwarzen Augen. Sofern diese Feen je von Kitsch behaftet waren, dann haben sie ihn wahrscheinlich mit kleinen, spitzen Zähnchen abgenagt, bis nur mehr ein blutiger Stumpf davon übriggeblieben ist.
Als Stefan Bachmann seinen Debutroman "Die Seltsamen" verfasste, war der Autor gerade 16 Jahre alt. Stefan Bachmann, der ursprünglich aus Colorado kommt, wurde bis zum Highschool-Abschluss von seiner Mutter zu Hause unterrichtet. Seit er elf ist, besucht er ein Konservatorium in der Schweiz. Dort studiert er bis heute Orgel und Komposition. Bei allem, was man über ihn erfährt, kommt einem schnell der Begriff "Wunderkind" in den Sinn.
CatherinetteRings
Viele versuchen sich in jungen Jahren darin, Geschichten zu schreiben, Gedichte zu verfassen, aber kaum jemand vollendet tatsächlich einen 300 Seiten umfassenden Roman. Stefan Bachmanns Inspiration sind Charles Dickens' Romane, C.S.Lewis' "Chroniken von Narnia" und Steampunk. Und vor allem Letzteres spürt man den ganzen Roman über.
Automaten, die wie Hunde aussahen, wie Krähen und Spinnen und sogar wie Menschen, die mit Knopfaugen aus den Schaufenstern der vornehmen Mechalchimisten an der Jermyn Street hinausstarrten. Automatische Pferde waren der letzte Schrei, dabei waren sie hässlich und laut, aus ihren Gelenken schoss Dampf ...
"Gib acht, dass dich niemand bemerkt, dann landest du auch nicht am Galgen"
Als "die Seltsamen" werden in dieser Welt Mischlinge zwischen Menschen und Feen bezeichnet. Sie sind die absoluten Außenseiter, da sie sowohl von den Menschen als auch von den Feen geächtet werden. Bartholomew Kettle ist so ein Mischling. Er lebt mit seiner Schwester Hettie, ebenfalls ein Mischling, und seiner menschlichen Mutter in einem armen Vorort, wo jeder versucht, bloß irgendwie über die Runden zu kommen. Die Mutter bröckelt Kerzenwachs in die ungesalzene Suppe, damit die Kinder denken, sie äßen Fleisch. Tagein tagaus werden Bartholomew und seine Schwester in ihrem ärmlichen Zuhause von ihrer Mutter versteckt. Die Kinder dürfen nicht unvermummt auf die Straße und nicht mit anderen Menschen sprechen.
Eines Tages beobachtet Bartholomew, wie der Mischlingsjunge von gegenüber von einer fein gekleideten Dame entführt wird. Diese Entführung ist Teil einer mysteriösen Mordserie an Mischlingskindern. Dabei wird er selbst von der Dame entdeckt und muss von nun an um sein Leben fürchten.
Dann ist da noch Mr. Jelliby, englischer Politiker, der eigentlich nur ein friedliches Leben mit seiner Frau in seinem gemütlichen zu Hause führen möchte. Er möchte von Morden an Mischlingskindern nichts hören, doch trotz dessen wird er in die Mordfälle verwickelt. Sowohl für ihn als auch für Bartholomew wird es im Laufe von "Die Seltsamen" lebenswichtig, die Mordserie aufzuklären.
In "Die Seltsamen" hat Stefan Bachmann eine fantasiereiche Welt erschaffen, in die man sich vielleicht erst einmal ein bisschen einlesen muss, um sie ganz zu begreifen. Hat man das allerdings geschafft, entwickelt sicher das Buch zu einem spannenden Roman, den man kaum noch aus der Hand legen möchte. An Fantasiereichtum steht Bachmann einem Terry Pratchett oder einer Diana Wynne Jones in nichts nach.
Das Ende der Geschichte bleibt offen, da im Herbst 2014 bereits die Fortsetzung bei Diogenes erscheinen wird. Man kann nur hoffen, dass der Jungautor es schafft, die Spannung aufrecht zu erhalten und dass er uns die weitläufige Welt, die er erschaffen hat, noch genauer erforschen lässt.