Erstellt am: 19. 3. 2014 - 14:03 Uhr
Die heilige Familie
"Es gibt nur einer, der dich liebt – Jesus Christus". Diese Botschaft, die auf einem riesigen weißen Poster, an einer Kirchenwand beim Westbahnhof stand, war das Erste, was ich von Wien gesehen habe. Ich war gerade mit meinen zwei Koffern aus dem Bus ausgestiegen und nahm das als gutes Omen. Ich brauchte jemand, der mich liebt. Ich kannte niemanden in der Stadt und der Name und das Werk von Jesus waren mir bekannt.
Francisco Gonzalez - flickr.com/franciscojgonzalez
In den sieben Jahren, in denen ich nun in Wien lebe, habe ich mich oft an Jesus erinnert. Ganz besonders daran, dass ich als Jesus arbeiten musste. Ich machte damals Werbung für das "Jesus Christ Superstar Musical" und trug ein zwei Meter hohes Kreuz auf meinem Rücken. Die Menschen lachten mich aus, schrien mich an und fotografierten mich. Das war mir unangenehm, aber innerlich sagte ich mir, dass Er mich liebt. Deshalb musste ich still halten und mein Kreuz tragen.
Ich erzählte diese Geschichte meiner Oma in Bulgarien. "Oh! Das ist aber eine bemerkenswerte Übereinstimmung! Ich war mal die heilige Maria!", erwiderte sie. Aus Langeweile hatte sie beschlossen, sich als Model in der Kunstakademie zu bewerben. "Ich sitze dort ja sowieso den ganzen Tag und schaue auf einen Punkt ohne was zu machen. Es wäre eigentlich viel besser, wenn ich beim Sitzen Geld verdienen könnte!", sagte sie sich. Schon bei ihrem ersten Besuch in der Kunstakademie musste sie eine Robe anziehen. Danach setzte sie sich auf einem Stuhl. Zu ihren Füßen legte sich ein anderes Model, ein nackter Mann. Meine Oma fragte, was die Komposition zu bedeuten habe. "Die heilige Maria trauert um ihren Sohn", wurde geantwortet.
Maria als Maria
Meine Oma heißt auch Maria und hat alles als ein Zeichen Gottes angenommen. Schon an ihrem ersten Arbeitstag in der Akademie sollte sie ihre Namensvetterin darstellen. Sie nahm ihre Rolle so ernst, dass ihr die Leute von der Akademie ein paar Mal sagten, dass sie keine Gesichter machen und nur sitzen soll. So endete ihre Karriere als Model. Mir ist nicht ganz klar, ob sie gefeuert wurde oder ob sie selber entschieden hat nicht mehr hinzugehen. "Stell dir vor, wenn ich das nächste mal Maria Magdalena sein sollte!", sagte meine Oma und lachte.
Sie hat es leicht! Sie kann ja jederzeit kündigen. Aber ich muss weitermachen. In den Jahren in Wien habe ich sieben Wohnungen und 33 Mitbewohner gewechselt. Unter ihnen gab es Lügner und Pharisäer, Propheten und gewöhnliche Verrückte, Sünder und Heilige. Jeder mit seiner Welt, mit seinen Leiden und Problemen. Ich erzähle das meiner Oma.
Meine Oma reitet ganz auf der biblischen Welle. "Die sieben hungrigen Jahren sind schon vergangen, es folgen die sieben fruchtbaren!", sagte sie zu mir. Aber in der Bibel ist es umgekehrt, versuche ich zu erklären: Zuerst sind die guten Jahren und danach die schlechten. Meine Oma beruhigt mich: "Das war zur Zeit von Joseph und der Pharaonen, jetzt ist die Welt ganz verkehrt!" - Ich vertschüsse mich anschließend von meiner Oma und ihrem Optimismus. Jetzt bin ich wieder in Wien. Ich gehe an der Kirche vorbei. Das Plakat hängt dort immer noch. Das beruhigt mich.