Erstellt am: 25. 3. 2014 - 10:10 Uhr
Frankreichs vielleicht interessanteste Band
- François & The Atlas Mountains im Netz
Ich kannte die französische Band François & The Atlas Mountains nicht wirklich, als sie vor ein paar Jahren beim Blue Bird Festival in Wien spielte. Flugs war deshalb vor ihrem Auftritt im Internet recherchiert: ein paar Lo-Fi-Homerecordings von François Marry und seiner Band gab es, auch komplette Alben, etwa eines auf dem Talitres-Plattenlabel aus dem südwestfranzösischen Bordeaux, das das erste Label war, das die US-Band The National in Europa veröffentlichte. Weiters hatte die Recherche ergeben, dass François Marry aus einem Ort namens Saintes stammt, zwischen La Rochelle und Cognac gelegen, in der französischen Provinz, die sich Charente Maritime nennt.

Domino
"Piano Ombre" von François & The Atlas Mountains ist bei Domino erschienen.
François ging im Alter von zwanzig Jahren nach England, um dort Kindern die französische Sprache beizubringen, aber vor allem, um Musik zu machen. Neben Afrobeat - seine Mutter wuchs in Kamerun auf - hatte es dem jungen François der britische Indiepop angetan. Ganze sieben Jahre lang lebte François Marry in Bristol, und auch ein wenig in Glasgow. Er freundete sich mit Bands wie Movietone, Camera Obscura oder King Creosote an. Irgendwann wurde dann das Londoner Plattenlabel Domino (Arctic Monkeys, The Kills, Franz Ferdinand etc.) auf den Franzosen aufmerksam und nahm den Multiinstrumentalisten und Songschreiber unter Vertrag.
Das letzte Album von François & The Atlas Mountains, "E Volo Love", war sein erstes für Domino. In Großbritannien war ihm die Musikpresse sogleich gewogen ("François sings in French and English, sometimes echoing Marc Bolan's warble, which adds yet another layer of offbeat beauty."), dennoch zog François Marry nach ein paar Jahren des UK-Lebens heim nach Frankreich, ließ sich in Bordeaux nieder, jener Stadt im Südwesten, die nicht weit weg ist von Saintes, und in der zwei seiner Mitmusiker bei den Atlas Mountains wohnten. Kürzlich zog die komplette Band - Francois, drei französische Musiker und ein Schotte - nach Brüssel. Im Norden zu leben ist für eine Band, die touren möchte, einfacher, sagte François letzten Herbst, als ich ihn in Bordeaux besuchte. Das neue Album, "Piano Ombre", ist aber noch in der alten Weinstadt am mächtigen Garonne-Fluß entstanden. Genauer gesagt, in Francois' kleiner Wohnung, die von einem Klavier und diversen weiteren Musikinstrumenten, sowie anderem Equipment, das Musiker so brauchen, dominiert wurde.

Mathieu Demy
François & The Atlas Mountains sind François Marry, Amaury Ranger, Pierre Loustaunau und Gerard Black.
"Piano Ombre" ist aber das erste Album von François & The Atlas Mountains, das insgesamt in einem professionellen Aufnahmestudio entstanden ist: im Berduquet Studio in der Entre-Deux-Mers-Gegend bei Bordeaux, die wohl eine der schönsten von ganz Frankreich ist. Zwischen Weinreben und alten Schlössern hat François Marry mit seinen Atlas Mountains den Longplayer eingespielt. Einen Producer konnte sich die Band nun endlich auch leisten: den Briten Ash Workman. Er ist etwa bekannt für seine Arbeit mit der englischen Band Metronomy. Im FM4-Interview sagt François Marry, dass er Großbritannien durchaus etwas vermisst, und er durch Ash Workman dem Album eine klitzekleine "Britishness" geben wollte. Außerdem ist Ash Workman sehr auf den Rhythmus von Songs konzentriert, was François wichtig war. Abmischen ließ er "Piano Ombre" in London und war dabei auch höchstpersönlich anwesend, um seinen sonic adventures den allerlezten Schliff zu geben.
Die meisten der Songs auf "Piano Ombre" singt François in französischer Sprache. "Wohl weil ich die meiste Zeit in Frankreich war, als die Platte entstanden ist", sagt er. Vom harten (Künstler?-)Leben singt er etwa ("La Vie Dure"), das eigentlich inspiriert ist von einer Aussage des früheren französischen Präsidenten Sarkozy, seinem Slogan, mehr zu arbeiten, um mehr Geld zu verdienen. "It doesn´t matter if you don´t understand what he´s saying", schreibt das britische Musikmagazin "Q" über das neue Francois-Album, "becaus the songs are mesmerising. 'Piano Ombre' is a beautiful off-kilter record to lose yourself in."
François singt von einem Mädchen mit seidenen Haaren (das Debussy-beeinflusste "La Fille Aux Cheveux De Soie") oder von der Wahrheit ("La Vérité"), aber auch vom "Way To The Forest" oder dem "Summer Of A Heart", und in "Fancy Foresight" heißt es, "Feeling so neuf, feeling so new. Wearing rags, yet feeling so good." Nun ja, Fetzen hatte er keine am Leib, als ich François das letzte Mal sah, aber nachdenklich war er, besonnen, bescheiden - als er schließlich in seiner Küche verriet, dass ihn Damon Albarn zu seinem "Africa Express"-Projekt eingeladen hat, aber auch fokussiert und konstant einen Weg verfolgend erschien Francois.
François & The Atlas Mountains auf Radio FM4: am Dienstag, 25.3.2014, in der FM4 Homebase ab 19 Uhr und nachher für 7 Tage on demand.
Das Album "Piano Ombre" ist das Ergebnis von all dem, was François Marry ist. Auch wenn viele seiner Songs bisher mit eingängigem Charme verführten und das weiterhin tun, so bedien(t)en sie nie französiche Musikklischees. Der eine oder andere Song lässt sich zwar mit einem Gläschen Bordeauxwein fast easy-listenig-haft genießen, man muss aber keineswegs tiefer ins Glas blicken, um die künstlerische Tiefe des François Marry zu erspähen. Von überfluteten Ebenen ("plain inondable") war in seinen Songs etwa die Rede, ein klaustrophobisches Bild bei aller Leichtigkeit, die den Songs von François & The Atlas Mountains anhaftet.
Eine gewisse Dunkelheit hat er auch diesmal wieder hereingelassen, ganz offen. Vielleicht waren es ja die alten, rußgeschwärzten Häuser seines Viertels in Bordeaux, die ihn beeinflussten, jene von St. Michel, die noch nicht von Sandstrahl weißgewaschen sind, wie die an der Esplanade der Stadt, die sich in den letzten zehn Jahren herausgeputzt hat.
"Aujourd´hui tu pleures, les ombres t´inondent. Tu pleures des pleurs sans nombre."
Heute weinst du, singt François im Album-Titelsong "Piano Ombre": "Die Dunkelheit überflutet dich, du weinst unzählige Tränen". Dieses Piano-Stück ist ein perfekter Gegensatz zum fast schon frivol-fröhlichen "Fancy Foresight", in dem François bekennt: "In my dreams I'm rocking the scene", aber um sich gleich darauf zu fragen, "Are you into me?" Ja, Francois, wir lieben dich, jetzt glaub' es endlich, will man ihm beinahe zurufen.
Weitere Alben von François & The Atlas Mountains:
"Plaine Inondable" (2009, Talitres) oder "E Volo Love" (2012, Domino)

Domino
"Piano Ombre" ist schon jetzt ein Album des Jahres. Mit diesem Titel, "piano ombre", macht François Marry ein Wortspiel: "Shadow Piano", sagt er, könnte man den Titel straight ins Englische übersetzen, oder auch als "calm down shadow", nämlich mit "piano" als Begriff aus der Musik, mit der Bedeutung "leise", im Gegensatz zu "forte". Also ingesamt will François eine Art Depression fortjagen mit seinem tiefsinnig-vertrackten Albumtitel.
Einen "forte"-François erleben wir gleich beim Album-Opener mit dem Titel "Bois": von Holz und Feuer singt François Marry, bevor er zur etwas spröden Erkenntnis kommt, dass es glücklicherweise die Musik gibt, wenn einen die Liebe enttäuscht. ("Heureusement qu'il y a la musique magique l'amour a décu.") Afrikanische Perkussionsinstrumente kommen zum Einsatz, Keyboards und Synthesizer, ein Saxofon, dazu weinen Streichinstrumente, und François Marrys Piano und seine Trompete - die Legende besagt, er hat sie auf einem Flohmarkt in Bristol gefunden - sind natürlich auch mit dabei. Jetzt möchten wir François & The Atlas Mountains nur noch auf Tour erleben.