Erstellt am: 17. 3. 2014 - 17:35 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 17-03-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Aktionismus ist Leben; wer sich nicht wehrt, existiert nicht.
#politischerprotest #demokultur
Es war ein Nebensatz, den Inna Shevchenko auf eine spontane Frage des das Glück suchenden Michael Ostrowski letzte Woche rausstreute: die beiden fuhren, als die Femen-Aktivistin von der Beschaffenheit ihrer Aktionen sprach, am Wiener Ring just am Parlament vorbei, und Ostrowski wollte wissen, was sie hier tun würde, wenn die politische und gesellschaftliche Lage sie dazu zwingen würde, wie das in der Ukraine der Fall ist. Shevchenko musterte das an griechischen Tempel orientierte Parlaments-Gebäude, die davon stehende Pallas Athene und entschied sich innerhalb von zwei Sekunden für einen Flaggentausch. Die oben am Spitz wehende österreichische Fahne würde sie durch eine den jeweiligen Protest ausdrückende, symbolisch aussagekräftige Fahne ersetzen; entsprechende Kletterleitern wären schnell beschafft, die Aktion schnell gesetzt.
Meine erste Reaktion war großer Respekt vor dem professionellen Blick der Expertin, was technische Machbarkeit und das Wissen um Symbolwirkung betrifft - vor allem wegen der schnellen Reaktion von Shevchenko doppelt so eindrucksvoll.
Die zweite war ein fahler Nachgeschmack.
Denn das, was ein Gast im Vorbeifahren als Idee aus dem Ärmel schüttelt, ist genau das, was der heimischen Protestkultur abgeht, seit ich denken kann: eine kreative aufmerksamkeitserregende Idee, mit Mut zum Risiko. Bis auf ein paar Aktionen von vor mehr als 35 Jahren, als sich Greenpeace und der damals neu auf den Plan tretende NGO Global 2000 mit ein paar spektakulären Aktionen auf die Bewusstseins-Landkarte der Österreicher setzten, gab es da nämlich nichts.
Protest läuft hierzulande auf eine unangenehme Art routiniert ab - die geradezu folkloristische Inszenierung der WKR-Ball-Demo ist ein Fanal für die Unüberlegtheit von protestierender Performance. Das ist gerade in Wien, der Geburtsstätte des künstlerischen Aktionismus ein echtes Armutszeugnis.
Das große Argument für das große Nichts liegt auf der Hand: es geht uns zu gut. Die antidemokratische Durchdringung der Gesellschaft ist trotz struktureller Korruption gering, die Verletzung von Menschenrechten konzentrieren sich auf wenige Einzelfälle, die ökonomische Lage ist mehr als hervorragend - trotz des ausufernden Dauergejammers aller (Medien wie Institutionen und Menschen) ist die Lage der Österreicher in keinerlei Hinsicht bedrohlich. Von ukrainischen, russischen, griechischen, spanischen, slowakischen, ungarischen oder sonstigen Verhältnissen kann im siebtreichsten Land der Erde nicht einmal ansatzweise die Rede sein.
Insofern ist es wohl auch zu viel verlangt die Femen-Idee zu verfolgen. Eine Zivilgesellschaft, die sich einen von Politik und Finanzwirtschaft verursachten Banken-Ruin aufsozialisieren lässt, ohne einen Finger dagegen zu rühren und denkt dass es mit Gematschkere und FPÖ-Protestwählen getan ist, verdient es nicht ernst genommen zu werden.
Mädchen & Buben, Männer & Frauen driften arg auseinander
#konsumismus #feminismus
Ich mag ja diese Überraschungsdinger, die so gschmackig und bastelig sind. Gestern ist mir aber auch der Werbe-Nachsatz aufgefallen: "Auch in Rosa - speziell für Mädchen".
Jüngst beim Bahnfahren sagt die durchaus bewusst wirkende Mutter, über das fremde Kind, dessen Geschlecht noch nicht am Gesicht abzulesen war, sie hätte geglaubt er wäre ein Mädchen, weil er ja ein Hemdchen mit roten Mustern angehabt hätte.
Wenn der kleine Bruder des Patenkinds gern kocht und bäckt, dann gilt er in seinem Umfeld als seltsam.
Im Nachhinein erklären mir diese und andere Wahrnehmungen auch, warum vor zwei Wochen beim Faschingsfest die Mädchen als Prinzessin und die Buben als Superhelden oder Musketiere herumgelaufen sind. Nie waren die Geschlechter weiter auseinander als heute. Nie zuvor werden Produkte, die zuvor uniform hergestellt wurden, derart geschlechterspezifisch ausdifferenziert. Vor allem natürlich in Bereichen, wo es überflüssig ist und wo er sich finanziell auszahlt.
In letzter Zeit sehe ich nur in rosa überschwemmte und getränkte Mädchen. Das geht von den ganz Kleinen bis hin zum H&M, der dann eh alle, auch die jungen Erwachsenen versorgt. Es gibt Mädchen-Klamotten und Burschen-Gewand, es existiert nichts mehr was für beide Geschlechter zugänglich ist.
Zugegeben: ich bin von den gesellschaftlichen Androgynitäts-Schüben doppelgeprägt. Als Bowie, T.Rex und Co gesellschaftliche Role Models wurden, war ich leicht beeinflussbarer Prä-Teenager. Als in den 80ern die zweite Welle der bewusst vorgenommenen Verwechselbarkeit der Geschlechter, der Austauschbarkeit der Moden, der Übereinkunft einer gesellschaftspolitischen Intersexualität über uns hereinbrach war ich ein leicht beeinflussbarer junger Popkultur-Reporter. Ich habe in dieser Grundhaltung (deren erste Ausprägung in den 20er-Jahren für erste Irritationen sorgte) eine anzustrebenden Regel gesehen, eine wichtige Krücke für die Gleichstellung und Gleichbehandlung: die Minimierung des Unterschieds durch die Betonung der Gemeinsamkeiten.
Inzwischen hat sich die Metrosexualität gegen sich selbst gerichtet und existiert nur noch als Arnautovic-gewordene Parodie ihrer selbst, ist homophober als der common sense vor der Ausgangsposition. Androgynität gilt wieder als verdächtig, als Flucht aus der allgegenwärtigen Entweder-Oder, der Fluch-oder-Segen-Entscheidung, der man sich zu stellen hat.
Die Jungen und vor allem die ganz Jungen haben überhaupt keine Chance mehr auf die Entdeckung ihres Wesens, können die Gradualität ihrer Sexualität nicht mehr finden, also auch nicht mehr bestimmen. Man zwingt und zwängt sie in ein billiges, hoch konsumkonformes Schwarz-Weiß-Denken/Handeln.
Dass es daraus kein Entkommen gibt, hat auch mit der Konsum-Ergebenheit einer Generation zu tun, die glaubt, dass sie diesen Mechanismen entkommen ist. Es sind die um die 30-jährigen Frauen, die für sich selber ein bereits selbstverständliches Gleichwertigkeits-Gefühl entwickelt haben und glauben, dass es reicht, diese Werte weiterzugeben.
Die Wucht einer Gesellschaft, die die Kids wieder in älteste Muster zurückerzieht, ihnen wieder die alten, klassischen Rollenverteilungen und die Rollen von Schwäche und Nachteiligkeit zuweisen, wird diese Entwicklungen aber innerhalb von einer Generation wieder in die feministische Steinzeit zurückbomben. Im hochkatholischen Österreich, wo dieses Rollenverständnis von Kirche und konservativen Parteien favorisiert wird und wo ungleiche Bezahlung und ungleichgewichtige Karriere-Chancen europäisch sowieso nachhinken, wird das niemand aufhalten können.
Solange der Rückfall eine rosa Schleife (extra für Mädchen!) hat, macht das auch sicher nix.
Das Rabattmarkerl und seine Angstnehmer-Wirkung
#konsumismus #mittelstandsangst
Ich kann mich noch dunkel an die Ausläufer der Rabattmarke erinnern: die Oma hat so etwas gesammelt. Nicht weil sie sich die entsprechenden Produkte nicht leisten konnte (sie war eine Superselbstständige, ihr eigenes Geld verdienende Oma, die jedem, der ihr was wollte, den Mittelfinger zeigte), sondern weil sie es als Teil der Kriegsgeneration gewohnt war mit Lebensmittelmarken umzugehen.
In den 70ern, als diese Assoziation zunehmend wegfiel und die ökonomische Lage derlei nicht erforderte, versickerte dieses Modell.
Jetzt ist das Rabattmarkerl wieder da: als Diminutiv, es hat ein -erl hintendran, damit es nicht nach Armut und Krieg klingt. Das muss so sein, es ist ja für den Mittelstand erfunden worden, treibende Kraft ist eine Handelskette die sich nicht an Sozialhilfeempfänger wendet.
Die Mittelschicht, also all jene, die bei ihrem Einkauf zwar auf die Preise schauen, sich ihren Bedarf aber problemlos erfüllen können, lebt mittlerweile auch in Österreich in einer selbsthypnotisierenden Abstiegs-Angst. Ob zurecht oder auf Basis virtueller Befürchtungen soll jetzt hier nicht Thema sein: die Angst ist jedenfalls real und greifbar. Und das Rabattmarkerl ist eine Beruhigungs-Reaktion. Es signalisiert Sicherheit, gibt eine Reserve an. Mehr als die für die unteren Einkommensschichten tatsächlich relevanten Billigpreis-Linien, die das Börserl schonen, hat das Markerl nur einen psychologischen Effekt. Es dient als Schmähtandler, als Einstiegshilfe in ein Wohltätigkeits-System, das den Abgestürzten Stütze bieten soll; es soll dem wirtschaftlichen Abstieg ein freundliches Gesicht geben.
Wenn der Abstieg ausbleiben sollte (weil sich Österreich im deutschen Fahrwasser EU-technisch auf Kosten anderer Mitglieder eh supersauber durchmogelt und querfinanziert) ist es auch nicht schlimm: man hat dann schon eine gewisse gesellschaftliche Demut produziert, dem Gefühl abgewirtschaftet zu haben, Vorschub geleistet und so eine industrie-/konsumkonforme Identität geschaffen, die noch anfälliger für populistische Katastrophen-Szenarios ist, als das bereits jetzt der Fall wäre. Denn das Geschäft mit der Angst ist machtpolitischer Kernbereich.