Erstellt am: 19. 3. 2014 - 10:00 Uhr
Der Garten des Blinden
Laut einer Zeitung war ein Ziegelstein aus dem in Schutt und Asche gelegten Haus von Mullah Omar in die Vereinigten Staaten geflogen worden, eine Kriegstrophäe für das Weiße Haus. Und einer anderen Zeitung zufolge wurde einem paramilitäriscen Offizier des CIA von seinem Vorgesetzten in Langley, Virginia gesagt: "Ich will, dass Sie mir Bin Ladens Kopf in einer Kiste mit Trockeneis bringen. Ich will ihn dem Präsidenten zeigen. Das habe ich ihm versprochen."
Autorenporträts und Leseempfehlungen
Der Terror des 11. September 2001 ist uns allen im Gedächtnis geblieben. Den Terror danach, der bis heute in Pakistan und Afghanistan andauert, haben die meisten in Europa allerdings nur bruchstückhaft mitbekommen. Genau da setzt Nadeem Aslam mit "Der Garten des Blinden" an, wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center.
Oh brother, where art thou?
Jeo, ein pakistanischer Arzt, und sein Adoptivbruder Mikal schließen sich einer Wohltätigkeitsorganisation an und machen sich auf den Weg nach Afghanistan. Die Familie würde sich zu viele Sorgen machen und so verschweigen sie ihr Vorhaben. Sie wollen dort hin, wo sie glauben gebraucht zu werden: an vorderster Front, dort wo die Vereinigten Staaten Bomben fallen lassen, dort wo hauptsächlich Zivilisten getroffen werden.
Mikal schaut auf seine Armbanduhr. In jeder halben Stunde im Hauptquartier der Wohltätigkeitsorganisation, in der er seinen Namen eintrug, hat er dreizehn Mal das Wort "Tod" gehört, und seither spürt er, wie das Unbekannte näher und näher rückt.
Zu Hause bleiben Vater Rohan und Jeos Frau Naheed, die in ihm zwar einen guten Ehemann sieht, aber eigentlich Mikal liebt. Eine verzwickte Liebesgeschichte also, mitten in den Wirren des Krieges, mitten in Zeiten unvorhersehbaren Terrors. Erst als die beiden Brüder lange Zeit nicht mehr nach hause kommen, sehen die Zurückgebliebenen ein, dass sie sie womöglich nie wieder sehen werden.
Christian Pausch
"Der Garten des Blinden" macht sehr eindrucksvoll deutlich, dass es für die Menschen in Pakistan unmöglich ist unpolitisch zu sein. Nicht nur die beiden Brüder im Krieg, sondern auch alle anderen Figuren im Buch werden unweigerlich in die internationalen Auseinandersetzungen involviert. Das Buch zeigt auch, dass das nicht erst seit dem 11. September so ist, sondern Pakistan nur eine kurze Zeitspanne ohne westliche Besatzung bestehen durfte.
DVA
Orientalische Metaphorik
Die "kraftvolle, überschäumende Metaphorik orientalischer Literatur" in Nadeem Aslams Werken, wie es die FAZ nennt, kann auch auf die Nerven gehen. Dennoch ist die Metaphern-Vielfalt bei Nadeem Aslam einfacher zu verkraften, als bei vielen anderen Autoren_Autorinnen. Besser als die vielen Metaphern funktionieren allerdings die von Aslam gezogenen Vergleiche, wenn es darum geht Unvorstellbares begreiflich zu machen:
Sorgsam trennt er mehrere Seiten aus dem Buch; in diesem Licht sehen Afghanistans Berge, Hügel und endlos sich verzweigenden Felsschluchten wie zerknülltes Papier aus, weshalb wohl kurz der Wunsch in ihm aufflammt, sie glatt streichen zu wollen. Laserstrahlgeführte Bomben fallen auf die Blätter in seiner Hand, aus dem Arabischen Meer herbefohlene Raketen, abgefeuert von amerikanischen Kriegsschiffen, die so lang sind, wie das Empire State Building hoch ist.
Die realistischen Schilderungen der Kriegssituation in Afghanistan stehen in Aslams Roman immer im Gegensatz zu den vermeintlich kleinen Problemen der Zurückgebliebenen. Wieviel zählt die Liebe zu einer einzelnen Person noch, wenn man ringsum unzählige Tote beklagen muss?