Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Berlin is over!"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

15. 3. 2014 - 13:02

Berlin is over!

Amerikanische Qualitätsmedien haben gesprochen: Berlin, das war einmal. Auch das werden wir verkraften.

In Berlin notiert man Wärmerekorde und ein erster Frühlingszauber liegt über der Stadt – aber was nützt das schon, wenn uns gleichzeitig ein mediales Erdbeben erschüttert? Von überall her, das heißt aus Nordamerika, schallt es herüber: Berlin is over! Und alle beten es nach: Berlin ist am Ende. Berlin, das war einmal!

Furchtbare Nachrichten und niederschmetternde Analysen über den aktuellen Hipnessgrad unserer schönen Stadt mussten wir in den letzten Wochen verkraften. Vor allem amerikanische Qualitätsmedien wie die gitarrenorientierte Männerzeitschrift „Rolling Stone“ und der New Yorker Klatsch-und-Tratsch-Fachblog „Gawker“ holten weit aus und versetzten Berlin den Todesstoß.

Berlin Alexanderplatz

CC-BY: Chris Grabert

Und dann hatte auch noch die New York Times einen Reporter zu geheimen Recherchen ins Berghain entsandt. Er fand dort zum eigenen Entsetzen sein Spiegelbild, nämlich Bohemiens aus Brooklyn vor und überschrieb den Text über das Ende der Technoszene mit der Zeile „Brooklyn on the Spree“.

Aber eigentlich hätten wir vorbereitet sein müssen! Denn bei einem Ranking namens „Youthfulcities“ lag Berlin bereits letztes Jahr hinter Toronto, aber noch vor New York, London, Paris und 20 anderen Städten. Und vor vier Jahren bereits aktualisierte die britische Fachzeitschrift „DJ Mag“ ihre jährliche Liste der „100 besten Clubs der Welt“. Da stand das Berliner „Berghain“ nicht mehr auf Platz eins, sondern nur noch auf Platz acht.

Zu hohe Mieten, zu viele Touristen, beklagen die Hipnesslistenmacher. Das ist uns Alteingesessenen zwar nicht völlig neu und betrifft uns auch eher als die Besucher, aber wir haben es uns angewöhnt, nicht zu klagen. Denn Touristenfeindlichkeit sei ja letztendlich auch nur kleinkariert und fremdenfeindlich, klärte uns das bürgerliche und linksliberale Feuilleton auf. Und wer das Pech hat, in einer ballermannisierten Zone Berlins zu wohnen, von Touristifizierung, Mietsteigerungen, Gentrifizierung und Verdrängung betroffen zu sein, wurde angehalten, die eigenen Wohnprobleme eher als Teil eines großen Ganzen zu sehen. Städte verändern sich eben! Berlin wird erwachsen! Es kann nicht jeder in der Innenstadt wohnen!

Touristen in Berlin

Christiane Rösinger

Wir wagen nicht, uns auszumalen, wie das Leben im unhippen Berlin sein könnte. Keine überlauten „This is so awesome!!!“ Schreie mehr in den Cafés, im Imbiss keine nörgeligen Tiraden über die Berliner Servicewüste, in der sich Dönerverkäufer erdreisten, kein Englisch zu sprechen! Schluss mit dem liebgewordenen Slalomlauf durch die Heerscharen von erlebnishungrigen Süd- Mittel- und Nordeuropäern, die das Laufbier als Stütze brauchen, weil sie sich ohne nicht mehr fortbewegen können. Gibt es einen traurigeren Anblick als leere Hostels? Wie werden wir ohne den vertrauten Klang der Rollkoffer auf dem Berliner Pflaster leben können?

die kanstanienallee in berlin

Roesinger

Auf den Seiten von Gawker wurden die User schon mal aufgefordert, die nächste coolste Stadt der Welt zu nominieren. Budapest, Prag und Wien wurden ins Spiel gebracht. Das soll uns alles Recht sein, wir werden es überleben.

Berlin hat schon so viel verkraftet: Faschismus, Bombenkrieg, Blockade, Vier-Mächte-Status, Teilung, Mauerbau, Mauerfall - mit einiger Anstrengung und dem berühmten Durchhaltewillen der Berliner wird es Berlin auch noch geben, wenn es nicht mehr hip und in, sondern total over ist.