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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

13. 3. 2014 - 16:00

Saša Stanišić verzaubert wieder

Es ist die Nacht, in der so vieles passiert in einem unheimlichen Dorf in der Uckermark. "Vor dem Fest" ist der Roman, der lange nachwirkt und auf den man lange gewartet hat.

Wir befinden uns in Fürstenfelde, einem fiktiven Dorf in der Uckermark, im Norden der ehemaligen DDR. Idyllisch zwischen zwei Seen liegt Fürstenfelde, und doch schwebt etwas Unheimliches, Bedrohliches, Düsteres über dem Ort. Soviel steht fest: das Dörfchen hatte schon mal bessere Tage. "Damals ging's uns noch gut. Die Leute kamen extra her, um sich extra hier niederzulassen. Kannst du dir das vorstellen? Dass jemand extra herkommt, um was aufzumachen?"

Fürstenfelde hat keine Tankstelle mehr und nicht mal mehr ein Gasthaus. In Ullis Garage wird billiges Bier ausgeschenkt, die Männer waschen üblicherweise die Gläser selbst aus. "Ein Getränk miteinander trinken an einem Ort, der dazu geeignet ist, das zählt im Leben mehr, als woher man kommt."
Auf die Frage wie es einem geht antwortet man mit "Muss ja."

sasa stanisic porträt

Katja Sämann

Saša Stanišić wurde 1978 in Bosnien-Herzegowina geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Sein ausgezeichnetes Debüt "Wie der Soldat das Grammofon repariert", das 2006 erschien, wurde in 30 Sprachen übersetzt.

Die wenigen Bewohner sind eigenwillig, aber nicht ungut. Etwa der junge Lada, der schon des Öfteren sein Auto im See versenkt hat. "Lada möchte bei 'Wetten, dass?' mit dieser Wette auftreten: Er könnte an der Bauart einer Straßenlaterne erkennen, wo genau er wie hart zutreten muss, damit sie mit einem Tritt ausgeht."

Oder der ehemalige Offizier Wilfried Schramm. In dessen Haushalt "finden sich im Schnitt mehr Gründe gegen das Leben als gegen das Rauchen."

Oder die 90jährige Frau Kranz, die das ganze Dorf in ihren Gemälden festhält. Die Bilder haben dann so schöne Titel wie: "Sparkasse im Sonnenuntergang" oder "Der Neonazi schläft".
Es gibt in Fürstenfelde übrigens eineinhalb Nazis: "den Rico eben und seine Freundin Luise. Luise ist ein Halbnazi, weil sie den ganzen Scheiß nur Rico zuliebe macht."

Die Dorfarchivarin heißt bezeichnenderweise Johanna Schwermuth. Sie kennt die Dorfgeschichte wie keine andere und sie ist es auch, die unter diesem Wissen nicht nur leidet, sondern geradezu verrückt wird.

Fürstenfelde hieß früher "Düvelsbad" - weil sich der Sage nach der Teufel in dem See alle 13 Jahre wäscht.

Cover "Vor dem Fest" von Sasa Stanisic

Luchterhand

Saša Stanišić: Vor dem Fest. Luchterhand 2014

Saša Stanišić beschreibt abwechselnd vom trostlosen Dorfalltag und von dessen Vergangenheit – in die er eine enorme Sagen- und Geschichtenwelt webt. Das alles sprachlich großartig – humorvoll in der Gegenwart, antiquiert eigen, wenn er von der Dorfgeschichte erzählt.

In diesem Kaff sagen sich nicht nur Fuchs und Henne gute Nacht. Beide scheinen in der Dorfgeschichte seit dem Mittelalter immer wieder auf. Ebenso wie zwei dubiose Männer, ein langer und ein kleiner Dicker. In der Vergangenheit nennen sie sich Kunert und Hinnerk, in der Gegenwart Q und Henry.

Auch Geister und Tote halten sich nicht an die für sie vorgesehene Ruhe. Ebenso wenig wie die Glocken, die nicht nur zur Messe läuten.
"Schall und Rauch" heißt nicht nur der Chor der Feuerwehr - Brände ziehen sich durch die Geschichte des Dorfes. "Fürstenfeld ist kein schlechtes Pflaster für den Feuerbrand."

* die Füchsin - für alle mit dem Jägerlatein nicht so Vertrauten.
Nicht der einzige Begriff, der in dieser ausgefuchsten Sprache vielleicht nachgeschlagen werden muss ...

Saša Stanišić schafft es selbst das Nichts als bedeutend zu definieren: Die Fähe* schmeckt ihre Umgebung: "Nichts zu schmecken verlangt die größte Wachsamkeit. Im Nichts könnte alles sich verstecken."
und irgendwann wird das eigentliche Nichts definiert: "Dass etwas existiert und funktioniert, aber für niemanden einen Nutzen hat. Gegenstände, Geräte, ein ganzer Ort."

Seit Generationen wird beim Annenfest ein großer Scheiterhaufen in Fürstenfeld verbrannt. Und in dieser aufregenden Nacht vor dem Fest passieren äußerst merkwürdige Dinge, die wie dieser Roman noch lange nachwirken.

"Vor dem Fest" von Saša Stanišić ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Zusatz - er hat ihn auch gewonnen! Wir gratulieren herzlich!