Erstellt am: 15. 3. 2014 - 15:15 Uhr
Meisterdieb mit Stützrädern
Eidos/Square Enix
Es ist spannend, ein Dieb zu sein. Mit angehaltenem Atem lauere ich im Schatten eines Mauervorsprungs, warte ab, bis die ahnungslose Wache an mir vorbeigetrottet ist. Im Vorbeigehen nehme ich dem Tölpel auch gleich die Geldbörse ab, bevor ich blitzschnell hinter ihm zur nächsten Gasse husche. Rauf aufs Vordach, über die Balustrade aufs Dach und voran, zu einem Fenster, das ich in Sekundenschnelle ausheble. Schon bin ich drin im Herrenhaus, lösche mit spitzen Fingern die Kerzen und nehme alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist: goldenes Besteck, wertvolle Gemälde, Goldmünzen, Becher.
Der Meisterdieb Garrett ist zurück. Zehn Jahre nach "Thief: Deadly Shadows" hat Eidos Montreal den legendären Schleicher wieder auf die Bildschirme geholt, der 1998 in "Thief: The Dark Project" zum ersten Mal das Genre des Stealth-FPS perfekt einführte. Das bedeutet: Statt direkter Konfrontation sind Schleichen und Verstecken angesagt, Lauern, Abwarten, Flucht. Der legendäre Name "Thief" ruft noch heute bei Spielefreunden anerkennendes Kopfnicken hervor - die Nachtatmosphäre der namenlosen pseudogotischen Fantasy-Metropole, die Bewegungsfreiheit und auch die düstere Geschichte vor allem der ersten beiden Teile sind unvergessen.
Kann es gutgehen, eine derartige Legende zu "modernisieren"?
Fluch der Legende
Deprimierten Freunden der Originalspiele sei übrigens die ausgezeichnete Gratis-Mod "The Dark Mod" ans Herz gelegt.
Wer sich als Spieleentwickler einen großen Namen wie "Thief" auf die Fahnen heften darf, hat einen Vorteil, der zugleich ein Nachteil ist: eine oft langjährig treue, am Projekt interessierte globale Fangemeinde. Diese Fangemeinde gibt dem Spiel sofort Aufmerksamkeit, steht aber dafür Änderungen prinzipiell ablehnend gegenüber. Man muss angesichts schwindelerregender AAA-Entwicklungskosten aber neue Kunden dazugewinnen - und das tut man, so der klassisch zu kurz gedachte Ansatz, durch das Aufpropfen gerade populärer Spielelemente und vor allem: Vereinfachung. Es spricht gegen das aktuelle "Thief", dass sich diese Gedankengänge der Entwickler derart schmerzhaft im Spiel abzeichnen.
Die gute Nachricht zuerst: Ja, auch im "modernisierten" "Thief" stellt sich die altbekannte "diebische" Freude ein, wenn man es schafft, unbemerkt hinter dem Rücken ahnungsloser Wachen zu agieren, cleverer zu sein als die - zugegeben noch immer nicht besonders cleveren - Computergegner und wie ein Schatten unbemerkt zu bleiben. Es ist der Kern jedes Stealth-Spiels, diese nervenkitzelnde Erinnerung ans Versteckenspielen aus Kindheitstagen - das Atem-Anhalten, die Aufregung, entdeckt zu werden, der Spaß, seine Verfolger in die Irre zu führen.
Eidos/Square Enix
Apfeltasche dazu?
Im Kern bietet "Thief" dieses Stealth-Erlebnis im Überfluss: In über 20 Stunden Spielzeit schleichen wir durch Story- und Nebenmissionen ebenso wie durch die nicht besonders große, aber dafür verwirrend verwinkelte namenlose nächtliche Stadt. Leider beginnt hier bereits das "aber": Die in unverständlich hässlichen Cutscenes erzählte Hintergrundstory ist wirr und ein Ärgernis, die Figuren sind unsympathische Klischees, die in den Originalspielen offenen Leveldesigns jetzt linear und eng. Die AI der Gegner ist im letzten Jahrzehnt kein Fitzelchen besser geworden. Sound und Tonabmischung funktionieren an vielen Stellen gar nicht - wie dieses spezielle technische Desaster die Qualitätskontrolle passieren konnte, ist eines der Geheimnisse der langen und problematischen Entwicklungszeit.
Zudem pflastert "Thief" in der Standard-Ansicht den Bildschirm mit allem zu, was das Spielerleben "erleichtert": Ein Marker zeigt uns schnöde das Missionsziel, bei benutzbaren Elementen ploppen einem Tastaturprompts ins Gesicht und erkletterbare Wände sind auch ganz ohne die alles nochmals offensichtlicher machende "Fokus"-Fähigkeit deppensicher markiert. Zumindest lässt sich all dieser immersionszerstörende Unfug per Option wegschalten - wer sich dazu entscheidet, hat von Vornherein mehr Spaß an "Thief".
Eidos/Square Enix
Auf Stützrädern am Dach
Was sich aber leider auch per Optionsmenü nicht beheben lässt, ist die haarsträubende Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Ein Springen ist ausschließlich an dafür vorgesehenen Stellen möglich, die Seilpfeile, in den Vorgängern Garant für experimentelles Erklettern der Umgebung, können nur an vorgesehenen Stellen verwendet werden und selbst auf dem steilsten Dach ist kaum Vorsicht vonnöten - aus Versehen herunterfallen kann man nämlich nicht. Diese Bewegungseinschränkung mag Orientierung und Leveldesign vereinfachen, das Freiheitsgefühl, sich seinen eigenen Weg über Dächer, Mauern und Balkone zu bahnen, wird dadurch aber krass eingeschränkt. Eigentlich unfassbar, war doch genau diese Bewegungsfreiheit im großen Konkurrenten, dem bereits vor eineinhalb Jahren erschienenen "Dishonored", ein vielgelobtes Plus.
"Thief" ist für Windows, PS3, PS4, XBox One und Xbox360 erschienen. Der englischen Synchronisation ist der Vorzug zu geben.
Es ist traurig: Die mit sichtbar viel Liebe gestaltete Welt, das traditionell solide Stealth-Gameplay und so manche fantasievolle Nebenmission bleiben, wie Garrett selbst, viel zu oft im Schatten der beschriebenen Probleme. "Thief" will alles für alle bieten - ein würdiges Erbe für die altgedienten Fans, und einen zugänglichen Einstieg für das angepeilte neue Publikum, das angeblich mehr Komfort und weniger Entscheidungsfreiheit gewohnt ist.
Weniger wäre mehr gewesen. "Thief" bietet für beide Gruppen nur sanft enttäuschendes Mittelmaß. Schade.