Erstellt am: 15. 3. 2014 - 15:29 Uhr
Wie geht es euch allen auf anderen Planeten?
Auf die unter Teenagern beliebte Kennenlernfrage “Und was hörst du so?” hört man vermutlich selten die Antwort: “Weltmusik”.
Ich kann es nur vermuten, weil ich selten mit Teenagern spreche und im Falle anscheinend auch nichts Besseres weiß als die Frage, “wie es denn so in der Schule sei”.
Ja, ich ertappte mich kürzlich tatsächlich dabei, einen Dreizehnjährigen mit diesem entsetzlichen Tanten-Evergreen zu konfrontieren.
Dabei wurde man das früher selbst häufig gefragt und wusste nie, was man entgegnen sollte. Manche Mütter fragten ihre armen Kinder gar jahrzehntelang Tag für Tag, wie es in der Schule gewesen sei und wunderten sich dann über adoleszente Rebellion in Form genervten Schweigens. Auch ich machte dann immer ein Gesicht wie ein Wiener Kellner aus dem Reiseführer. Jugendlich-genervt hätte ich wahrscheinlich auch dreingeblickt, wenn man mir eine CD mit Weltmusik geschenkt hätte.
marc carnal
"Weltmusik" - eine merkwürdige Vokabel. Gibt es Musik, die nicht von der Welt stammt? Auszuschließen ist es nicht. Auf jeden Fall ertönt Musik außerhalb der Welt. Zum Beispiel in Raumstationen, falls die Astronauten zwischendurch einen Boogie tanzen möchten.
Langweilig muss so ein Astronautenleben sein - den ganzen Tag schwebend Gesteinsproben nehmen, zwischendurch in Saugrohre urinieren, dann Gesteinsproben analysieren und Gesteinsprobenanalyse-Ergebnisse durch den Äther funken. Irgendwann ist Feierabend, aber man ist am Arbeitsplatz gefangen, Proteinreiches aus Tüten wird am Tisch festgeschnallt und schließlich heißt es, mit den Astronautenkollegen Zeit totzuschlagen. Weil es nach einiger Zeit wohl nicht mehr allzu atemberaubend ist, auf die prächtige Erde zu glotzen, ist Abwechslung willkommen. Also werden die Magnetschuhe aktiviert und man schwoft zu Weltmusik. Aber auch die Astronauten müssen hiesige Klänge nicht unbedingt abgrenzend bezeichnen, da sie wohl kaum im Besitz von Außerirdischenmusik sind. Nur Außerirdische kennen den exotischen Klang der Außerirdischenmusik.
marc carnal
Seit Jahrzehnten schweben die Voyager Golden Records durch die Luftleere. So benannte man jene Tracks, mit denen in den 70er-Jahren zwei Voyager-Sonden samt Grußbotschaften versehen wurden, um LG an ferne Zivilisationen zu senden.
Fänden die Extraterrestrischen diese Compilation, könnten sie mit ihren grünen Antenneschädeln zu den Gassenhauern von Mozart und Chuck Berry wippen und würden dann zurecht sagen: “Ah! Weltmusik!”
Die Grußbotschaften, die man ins All schoss, sind übrigens ausgesprochen witzlos. Womöglich haben die Aliens die Sonden schon längst entdeckt, nehmen von einer Eroberung der Erde jedoch Abstand, weil die Unterwerfung eines so einfallslosen Volks nicht lohnenswert scheint.
“Hallo an alle. Wir sind hier glücklich, und Ihr seid dort glücklich”, heißt es da auf Rajasthani. Die Tschechen glänzen mit “Liebe Freunde, wir wünschen euch das Beste.” und die Türken grüßen gar die “türkischsprechenden Freunde” im Weltraum. Die meistens senden einfach nur “Liebe Grüße und Alles Gute.”
Mit einer fernen Zivilisationen in Kontakt treten zu wollen und dann Tweets zu verschicken, die für jede Ansichtskarte zu öde wären, finde ich als Steuerzahler eine sehr schwache Darbietung. Auf Chichewa ist zu lesen: “Wie geht es euch allen auf anderen Planeten?” Diese Frage steht “Wie war’s denn in der Schule?” punkto Präzision in nichts nach.
Wenn die Menschheit dereinst nicht nur Klingonen durch fade Schallplatten angelockt, sondern auch andere Planeten besiedelt hat, wird der Begriff Weltmusik jedenfalls eine Renaissance erfahren. Dann gibt es nämlich auch Mars- oder Venusmusik. Ob FM4 dann noch existiert und auf welchem Planeten die progressivsten Beats produziert werden, steht in jenen Sternen, deren Zukunftsmusik dereinst wohl erst recht nicht mehr gekauft wird, und wenn, dann wohl nicht mehr im, sondern höchstens am Saturn. Und wenn nicht im Cosmos, dann jedenfalls im Kosmos, denn es war immer schon so und wird immer so sein, dass man sich Musik im Kosmos kauft.
marc carnal
Um die Leserschaft zu erfreuen, folgt eine kleine Unterbrechung in Form eines heiteren Dialogs:
"Ich weiß nicht, wie ich mir die Reihenfolge der Planeten in unserem Sonnensystem merken soll."
"Das ist doch leicht: Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere Neun Planeten."
"Das ist lieb von deinem Vater - könnte er sie mir vielleicht auch mal erklären?"
"Klar, komm einfach nächsten Sonntag vorbei."
Mein Vater erklärte mir nie unsere neun Planeten, gab mir aber immerhin regelmäßig Taschengeld - Er ist Eidgenosse und nannte es "Sackgeld". Als liebes Teenagerfröschchen gab ich mein ganzes Sackgeld für CDs aus. Anfangs kannte ich keine lohnenswerte Musik, wollte aber aus Imagegründen die gleichen Tonträger wie meine Mitschüler besitzen. Da sich zur aufkeimenden Geschmackssicherheit noch keine Lust an der Abgrenzung gesellte, stand ich regelmäßig mit fragwürdigen Singleauskopplungen an der Kassa und schämte mich dabei immer ein bisschen.
Auch wenn es den Nostalgiker schmerzt, ist die Verlagerung des Musikerwerbs ins Internet zumindest in dieser Hinsicht segensreich. Wo einst das Plattenregal ein geschmackliches Zeugnis ablegte, sind die musikalischen Vorlieben heute auf Festplatten, iPods und spotify-Playlists verborgen. Die unvermeidbaren Glotzer, die beim ersten Besuch immer minutenlang die CDs bestaunten, um sich ein strenges Urteil über den Geschmack des Besuchten zu bilden, fragen heute nicht sofort, ob sie den mp3-Player durchklicken dürfen.
Vielleicht trägt die Anonymisierung des Hörens ein bisschen zur Zerstörung des Mythos bei, der Musikgeschmack würde besonders viel über den Geschmacksbesitzer aussagen. Wenn sich einer gerne zum Einschlafen flauschigen Kuschelrock reinzieht, dann schläft er eben gerne mit erregenden Gedanken ein, ist deswegen aber kein Kretin. Und wenn ein anderer sich zuweilen mit Ballermannhits in Erregung bringt, kann er in stilleren Momenten trotzdem ein weiser und erfrischender Geselle sein. Selbst Weltmusik sollen sich die ganzen Sozialarbeiterinnen, Lebensberater und Yoga-Affen reinziehen, bis sie taub sind, denn ganz ohne Klischees macht es ja auch keinen Spaß. Selbst Volksmusik, die gute, alte, österreichische Volksmusik, die andernorts wiederum als World Music feilgeboten wird, macht Spaß, wenn man die reflexartige, verkrampfte Ablehnung erst einmal überwunden hat.
So entlasse ich Sie mit der Vorstellung, dass zur Eröffnung der ersten Marssiedlung die Trachtenmusikkapelle Filzmoos, dirigiert vom greisen Felix Baumgartner, in der Mehrzweckhalle des roten Planeten eine flotte Weltmusi aufspuit, bevor der Marsbürgermeister feierliche Begrüßungsworte spricht, und verbleibe mit einem herzlichen