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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 3. 2014 - 17:43

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 11-03-14.

Die ÖVP schaufelt seit Jahren an ihrem Grab, und: sie ist nicht unverzichtbar. Den Mitbewerbern fehlt der Glaube, der ÖVP die Einsicht.

Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

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Und schon wieder wird Matthias Hartmann ungerecht behandelt: er kriegt die Fristlose.

#machtpolitik

1

Die ÖVP zerfällt zunehmend in ihre Einzelteile: laufende Wahlniederlagen, zuletzt in Salzburg, Besetzungs-Chaos, Obmann-Debatte, schon wieder Neuausrichtung in Kärnten, Familien&Werte-Richtungsstreit, mehr Obmann-Debatten, Marginalisierung im urbanen Raum, EU-Wahlkrämpfe, Dauer-Obmann-Debatte...

Das wäre nicht so schlimm, würden all diese Themen Positionierungs-Debatten oder anderen Erkenntnisgewinn nach sich ziehen; wenn man das Gefühl hätte, dass eine ideologisch gefestigte Einheit zwar gegen den Zeitgeist anrennt, aber an einem gemeinsamen Strang zieht. Tut die ÖVP wie so oft aber nicht.

Brandstetter (Minister für Justiz/ÖVP), Kurz (Minister für Äußeres, Integration/ÖVP) und Mikl-Leitner (Ministerin für Inneres/ÖVP) während der ersten Nationalratssitzung der neuen Regierung

APA/ROBERT JAEGER

Und nachdem die letzte schwarze Hoffnung, Sebastian Kurz, derzeit mehr als gesamtösterreichisches Aushängeschild durch die Zeitgeschichte tourt und sich deutlich jenseits der kleingeistigen heimatlichen Querelen befindet, fällt auch das letzte fresh face weg.

2

Der Volkspartei droht bei der EU-Wahl der Fall ins Bodenlose: von Platz 1 auf Platz 3, womöglich sogar noch weiter, durchgereicht zu werden.

In früheren Zeiten wäre eine solche Krise von den starken Hintermännern (NÖ, OÖ, Raika, West-Achse, Industriellenvereinigung...) aufgefangen worden, die mit der Verankerung einer starken Sozialpartnerschaft die Macht im Lande (egal ob in Aufsichtsräten oder an den anderen bedeutenden Futtertrögen) proporzmäßig eh gesichert hätten, weil so etwas wie eine unüberwindbare Wand an Stammwählerschaft existierte.

Die bröselt demoskopisch dahin: die jüngere Wirtschaft, die nachrückenden Agrarier, die Städter und die Speckgürtel-Bewohner sind schon weg; die verbeamtete/angestellte Mittelschicht schwankt, ihre älteren Äquivalente sterben weg, das ohnehin brustschwache Bürgertum löst sich auf.

Durch den zunehmenden Wegfall dieser Stammklientel ist es erstmals in der österreichischen Parteien-Geschichte möglich, dass sich eine der großen Volksparteien obsolet macht.

Zumal einige Hyänen die siechende VP umschleichen, um sich die Gusto-Stückerln schon vorab zu sichern.

3

Denken wir das einmal strategisch durch: In den Städten und bei den Jungen hatten sich bisher schon die Grünen als die neue ÖVP breitgemacht - man teilt den Wertekonservativismus, nur die Zeitgemäßheit macht den Niveau-Unterschied aus.
Jetzt kommen die Neos dazu, wildern an der wirtschaftsliberalen Front und sind angesichts ihrer aufbruchssignalisierenden Grundstimmung überall dort, wo man gern auf der Seite der Sieger ist, jetzt schon die bessere ÖVP.
Die komplett im reaktionären Familienbild verhafteten werden von der FPÖ deutlich besser, weil ohne Wenn und Aber vertreten, die reinen Middle-of-the-Road-Mitschwimmer sind in einer immer weiter nach rechts rückenden SPÖ ebenso gut aufgehoben.
Die zunehmende Zahl der Protestwähler zieht die ÖVP nicht einmal in Betracht, die klassischen Günstlinge (CV-Seilschaften, Pröllonien...) werden ab einem gewissen Prozentsatz, einer gewissen Platzierung so schnell abspringen, so schnell kann man gar nicht schaun, und sich vielleicht dem ganz Rechtsaußen herrschenden Trend der neuen Gründerbewegung anschließen und vielleicht eine Neo-Neos-Partei aus dem Boden stampfen, die hier ganz gezielte Klientelpolitik betreibt.

Wenn die Grünen schlau sind, dann unternehmen sie in den nächsten Jahren alles, um ganz gezielt im ländlichen Bereich (denn in den urbanen Zentren sind die Selbstläufer unterwegs) reinzustoßen, die Macht des Bauernbunds zumindest anzuknacken oder sich in diesem Bereich als zweite kontrollierende Kraft zu etablieren.

4

Und hier bekommt das Hyänen-Szenario dann erste Risse. Für diese strategische Neuausrichtung müssten die Grünen über ein paar Schatten springen, das Regulierungs-Overkill-Image abstreifen, Feindbilder abbauen und Berührungsängste verlieren.

Die FPÖ wiederum müsste, wenn sie die reaktionäre VP-Klientel abgreifen will, ihre teilweise fast schon marxistische Sozialpolitik neujustieren; die SPÖ müsste ihre verknöcherte Parteistruktur aufbrechen, um ehemalige Klassenfeinde zuzulassen, die Neos ihren esoterischen Schmafu-Geruch abstreifen.

So groß die Chancen für alle Genannten (und auch für jetzt angebrachte Neugründungen) sind, sich von diesem wohl bald an Land gehenden Wal über Jahre gut zu ernähren, so groß sind die Denk-Umschichtungen und Opfer, die man bringen müsste, um sich zu vergrößern.

In ihrer aktuellen Verfasstheit sind die Parteien aber nicht so weit. Nicht einmal der Allesfresser FPÖ: der kann und will sich unter der aktuellen Führung nicht vom altnationalen Mief befreien.

5

Vor allem fehlt den Mitbewerbern der ÖVP eines: der Glaube, dass all das tatsächlich passieren kann. Immer noch halten alle ein Versanden der Volkspartei für komplett ausgeschlossen: weil sie immer schon da war, weil niemand sich ein Österreich ohne VP vorstellen kann, weil schon das Andenken der Möglichkeit irgendwie frevelhaft wirkt.

Das ist absurd.
Eine Schere, eine Schranke im Kopf, und nur dort. Österreich würde ohne die ÖVP nicht untergehen.
Es würden sich genügend Ersatz-Quartiere für die Cume-Wähler finden. Und die Core-Wähler wären mit einer Liste Pröll oder einer Raika-Partei auch zufrieden. Wie das geht, zeigen etwa Tirol oder Innsbruck prächtig vor.

6

Es mangelt also an Glauben.
Also mangelt es an Entschlossenheit, also mangelt es an Aktionen. Und deshalb wird es wohl so bleiben, wie es ist: die VP siecht weiter vor sich hin und niemand traut sich so recht, die von ihr schon längst nicht mehr (oder schlecht) vertretenen Wählergruppen offensiv umzudrehen.

Das ist auch schlecht für die Volkspartei selber.

Denn solange sie nicht massiv attackiert und bedroht wird, wird sie selber den Glauben an ihre Unverzichtbarkeit behalten und gar nicht auf die Idee kommen, dass man in einem Überlebenskampf anders auftreten muss. Die VP braucht den Arschtritt also dringend. Sonst wacht sie eines Tages auf und ist tot.