Erstellt am: 10. 3. 2014 - 19:09 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 10-03-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
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#hochkultur #medien
Man glaubt es kaum: Am Nachmittag hat Matthias Hartmann unter dem Druck der Enthüllungen rund um seine Finanz-Gebahrung die Verantwortung übernommen und sein Amt als Burgtheater-Direktor ruhend gestellt.
Mich geht's ja weiter nix an, aber: wer hier zwischen und (zürichtechnisch) auch in den Zeilen lesen kann, wird sich über die neuen Entwicklungen betreffs überhöhter Gagen nicht wirklich wundern. Ob dieser Fall Österreichs Kultur-Journalismus raus aus seiner Rolle als Kumpane vom Dienst bringt? Via deutsche Medien geht jedenfalls schon was.
#graffiti #medien #debattenkultur
Man kann ihn nur lieben oder hassen - dazwischen gibt es nix. Die einen halten die Krakel-Graffitis des jüngst verhafteten Taggers Puber für die Pest, die anderen bewundern seinen radikalen Anarchismus. Demenstprechend toben jetzt die Netz-Glaubenskämpfe zwischen Puber-Häme und Free-Puber-Aufrufen.
Das ist der Status Quo, die aktuelle Glaubens-Front.
Und das ist Schwachsinn.
Wie jede Fluch-oder-Segen-Diskussion, wie jedes Drängen auf Position-Beziehen-Müssen, an das wir von hiesigen Churnalism/Scheinalismus gewohnt wurden, wie jede Aktion gegen die Differenzierungs-Fähigkeit, wie jeder bequeme Selbstfall ins populistische Faulbett.
Und der Fall Puber ist ein schönes Beispiel dafür.
1)
Ich habe vor etwa eineinhalb Jahren erstmals von Puber gehört. Freunde aus dem Ausland fragten verwundert nach, was denn das bedeuten würde: Sie hätten überall diesen Tag gesehen. Meine damals noch unverheiratete Freundin wusste Bescheid und erklärte. Ich stand wie der Ochs vorm Tor; mir war der Schriftzug einfach noch nie aufgefallen.
Nun bin ich kein Weltwunder oder die komplette Wahrnehmungsausnahme: Ich selektiere halt, auch die Umgebungseinflüsse, ich filtere aus, was ich höre, was ich sehe. So überstehe ich Drecksmusik oder Mistradio auf Fremdfahrten, so übersehe ich Fernsehwerbung, so verklebt mir das Straßenbild nicht die Augen.
Gut, so kann ich dann auch nicht zwischen Julia Roberts und Sandra Bullock unterscheiden, aber das ist ein lässliches Problem, also opferbar.
In jedem Fall sehe ich über grobe Taggerei und reines Geschmiere drüber, ich achte lieber auf das Spezielle dazwischen, auf das Detail, auf die stimmige Unstimmigkeit; mir ist mein Blick zu wertvoll.
Am Tag nach der Puber-Enthüllung an meinem Küchentisch bin ich dann bewusst durch die Gegend gegangen und ja, da war dieser Schriftzug; durchaus oft. Ich glaube nach dem fünften oder achten hab ich die Lust an der Entdeckung verloren - zu redundant, zu stumpf - und seitdem bleibe ich nur manchmal zufällig dran hängen und muss lächeln; über mich und meine gezielte Ausblendung.
Ich glaube aber, dass es ganz ganz vielen Menschen genau so geht. Wer nicht mit dem Graffito-Auge durch die Gegend läuft oder sich gezielt um die Beibehaltung der Umgebungs-Textur einsetzt, hat die Puber-Tags unter der Wahrnehmungsschwelle.
Wäre Graffiti als eine der frühen zentralen Ausdrucksformen im Hip Hop nicht schon seit den 80ern in meinem journalistischen Fokus gestanden, ich hätte die Puber-Sache sofort wieder vergessen.
2)
Inhaltlich gibt es zu Puber keine zwei Meinungen: die Satire der Tagespresse mag onkelhaft sein, aber sie trifft.
Gefährlich wird's erst bei der dahinter lauernden Geschmacks-Debatte Kunst oder Vandalismus. Wenn es darum geht, dass eine Style-Police darüber bestimmt, was geht und was nicht, hört der Spaß auf.
Insofern sind die Verteidigungsreden von Phekt und Frau Brunner klare und dringend notwendige Bekenntnisse. Vor allem dann, wenn nicht nur der Nasenrümpfer-Mainstream, sondern auch die Fraktion superlässig plötzlich die Hausmeister-Position einnimmt.
Denn diese "das kann meine Nichte auch"-Kleinmacherei eines in diesem Umfang gewaltigen performativen Akts gemahnt an Spießertum ersten Ranges (man argumentuiert dann gerne mit dem Terminus der Sachbeschädigung, unter dem die gesamte Graffiti-Kunst allzu lang firmierte, weil die Sehgewohnheiten anno dunnemals halt auch wirklich von vorgestern waren) und endet schon einmal in Bücherverbrennung oder Schund-Comic-Vernichtung.
Und hier schnappt dann die Falle zu: Ab dem Moment, wo es ums Eingemachte, ums ganz Prinzipielle geht, werden die Positionen unerbittlich und unversöhnbar. Da prallt dann der den Marktgesetzen gehorchende Pragmatismus (Puber ist ein Schmierer, der die schöne Kunst und die Kinderbilder bewusst bekleckert und so uns alle ansabbert) auf die libertären Freiheits-Verteidiger (jeder hat das Recht auf Äußerung, auch wenn es mir nicht gefallen sollte).
Ab dem Moment rennt die Debatte wie alles im Diskurs-Schwänzerland Österreich. Die einzige Frage, die ab dem Moment gestellt wird, egal ob in Medien, untereinander auf Social Media oder auch in den ausdifferenzierten Szenen, ist "Which side are you on?" - Als ob es nichts anderes als Fluch oder Segen, Himmel oder Hölle, Schwarz oder Weiß geben würde.
In diesem schon in sich leicht verblödeten, grafbobbymäßigen Fegefeuer der Pseudo-Diskussion verliert sich dann jegliche Differenzierung, also auch jeglicher Sinn.
3)
Eine zivilisierte Debatte (egal ob Medien, Facebook-Einträgen oder Party-Gesprächen) an diesbezüglich zivilisierteren Orten als Österreich würde so ablaufen: Nach der Klärung der beiden Extrem-Positionen versuchen die Teilnehmer Lehren zu ziehen, Verweise zu setzen, die Situation konstruktiv als pars pro toto anzuwenden und das gesamte Terrain abzustecken, sich also der großen Frage, was Äußerung im öffentlichen Raum darf und wo die Freiheit des Einzelnen endet, zu stellen. Hierzulande bunkern sich zwei Parteien an den beiden Enden ein und befeuern einander unter zunehmender Außerachtlassung des Themas bzw. des Anlassgebers.
Medienberichte haben nur noch den Zweck des Zündelns, nur ganz wenige schauen über die aus voyeuristischen Lustmolchen gebildete Mob-Wand. Bei mehr wissenden Quellen in der Schweiz nachzuforschen ist schon zuviel verlangt.
Dass hinter den scheinbar simplen Kraxlmacher mehr steckt, nämlich ein Act aus der Rechtsaußen-Szene, wie man in Pubers Heimat weiß, spielt in der hiesigen Bewertung also schon keine Rolle mehr.
Da wird so agiert wie es die Qualitätsmedien aktuell im Fall Ukraine vs Russland vormachen: es gibt einen Bösewicht (Putin, der gefährlichste Mann der Welt), seine gestürzte Marionette und auf der anderen Seite die Ur-Guten, unter Führung dieses netten milchschnitttigen Boxers mit dem Doktor-Titel, fast ein Deutscher noch dazu.
Dass Klitschko keineswegs die einigende Figur ist, sondern sein Image gezielt über die EU-Medien, vor allem die deutschsprachigen gesteuert wird, oder dass in der neuen Übergangsregierung auch die antisemitischen Rechtsextremen drinsitzen, ist kein Thema, weil es kein Thema sein darf, weil es das Fluch-oder-Segen-Schema, die festgelegten Gut-Böse-Zuschreibungen sprengen würde. Auf Differenzierung haben die Mainstream-Medien keine Lust, es wäre zu anstrengend. Auf die hochkomplexe Geschichte der Krim, die alten Forderungen und Streitigkeiten zwischen Russen und Ukrainern wird ebenfalls nicht/kaum eingegangen: nur kein komplexes Themen-Paket aufreißen, wo man es so schön einfach verkaufen kann.
4)
Im Vergleich zu diesem global relevanten Krisenherd ist der Fall Puber klarerweise ein Fliegenschiss.
Aber das Prinzip der Behandlung der Berichterstattung ist ähnlich: die Medien und die seine schiachen Tags hassende Mehrheit derer, die das Thema wahrnehmen, haben ihn als Bösewicht auserkoren. Immerhin kämpft wenigstens hier eine kleine Minderheit gegen eine vorschnelle Hang-him-higher -Lynchjustiz; bleibt aber durch die strukturell schon vorgegebene Systematik dieser Debatte in der den Mediengesetzen gehorchenden Oberfläche hängen.
Am Fall Puber ließe sich vieles trefflich durchdiskutieren: Wo etwa steht die hiesiege Graffiti-Szene? Hat sie sich in Reservate zurückdrängen lassen, mit den Behörden arrangiert oder agiert sie weiter frei und nach selbstgesetzten Maßstäben? Wer definiert die immer im Fluss befindliche Grenze zwischen Sachbeschädigung und Stadtverschönerung? Wie verlaufen die Grenzen des Respekts innerhalb einer Gemeinde? Ist Tagging-Tourismus erst dann legitim, wenn er wie der von Banksy und Co schon galerienfähig ist? Geht Kunst mit Rechtschaffenheit Hand in Hand? Haben rechte Gewalttäter ein Recht auf Ausdruck? Hat Blocher Puber als Vorhut rübergeschickt? Was darf anarchische Performance überhaupt?
Diese und dutzende andere Fragen stellen sich, bleiben aber undiskutiert. Dafür bleibt zwischen dem Geschrei um "Hang Puber" und "Free Puber" kein Platz.