Erstellt am: 10. 3. 2014 - 17:13 Uhr
Bitcoin geht‘s gut und Satoshi Nakamoto ist wurscht
fm4.ORF.at/wirtschaft
Währungen, TTIP, Hypo Alpe Adria
Jahrelang nahm man an, dass hinter Bitcoin eine Gruppe aus mehreren Wissenschaftern stand, die sich selbst den Namen "Satoshi Nakomoto" gegeben hatte. Weil aber der Quellcode der Bitcoin-Software ohnehin offen zugänglich war, maß man den Identitäten seiner Autoren nicht viel Bedeutung zu. Wichtiger war die Idee dahinter.
Mit der Milliardenpleite der Bitcoin-Tauschbörse MtGox änderte sich das. Das US-Magazin Newsweek behauptete, den Mann gefunden zu haben, der Bitcoin erfunden hat, und Medien weltweit verbreiteten die Geschichte weiter. Die Argumentation im Newsweek-Artikel lautet kurz zusammengefasst so: Es gibt einen US-Bürger namens Dorian Prentice Satoshi Nakamoto. Er ist Programmierer und hat an geheimen IT-Projekten gearbeitet. Er verfügt also über die Fähigkeiten, die Bitcoin-Software zu schreiben, außerdem lebt er zurückgezogen und hat eine libertäre Weltsicht. Da es keine Gegenbeweise gibt, muss er wohl der Erfinder von Bitcoin sein.
Es ist nicht der erste Versuch einer Zeitschrift, jemandem die Rolle des Bitcoin-Erfinders unterzujubeln - und nicht einmal der beste. Zwar sind die Ähnlichkeit eines Namens und die Fähigkeit, Computer zu programmieren, keine schlüssigen Beweise - trotzdem veröffentlichte Newsweek auch gleich Fotos von Nakamotos Wohnhaus und legte Familienmitgliedern des Computertechnikers Verdächtigungen und Beschimpfungen in den Mund, von denen diese sich später schärfstens distanzierten. Hier schreibt zum Beispiel Nakamotos Bruder, dem vom Boulevardblatt der Satz "my brother is an asshole" in den Mund gelegt wurde, dass er seinen Bruder liebe und ihn niemals auf diese Weise beleidigen würde - und dass ihm dieses wie auch andere Zitate unterstellt wurden.
APA/EPA/MARKKU OJALA
Menschlich betrachtet ist der Drang der Gesellschaft verständlich, ein Gesicht zu Bitcoin sehen zu wollen. Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch hingegen ist völlig irrelevant, wer den Open-Source-Programmcode geschrieben hat. Weit diskussionswürdiger wäre stattdessen die Vision der frühen Pioniere des Kryptogeldes: Ein Geld ohne Mitwirkung von Banken und Regierungen. Dieses Bild ist in den letzten Tagen in Schieflage geraten durch die Milliardenpleite der Firma MtGox, die doch wieder eine Art Bank war - ihren Ursprung hatte die Firma allerdings als Tauschbörse für "Magic The Gathering"-Spielkarten. Das spiegelt sich sogar im Namen der Firma wider, denn MtGox steht für "Magic The Gathering Online Exchange". Das klingt nicht ganz seriös, und tatsächlich gab es bei MtGox schon Jahre vor der aktuellen Pleite verzögerte Auszahlungen, Sperren und Computerpannen. Zu diesem Bild passt auch das knappe Statement von MtGox-CEO Mark Karpeles nach Bekanntwerden der Milliardenpleite, das im wesentlichen auf "tut uns leid für die Probleme" hinauslief.
Für einzelne User stellen die "Probleme" eine Tragödie, nämlich den Verlust von Bitcoins im Wert von mehreren hunderttausend Euro dar. Diese Bitcoins sind aber - anders als in vielen Medienberichten dargestellt - nicht "veschwunden", "verpufft" oder "verloren gegangen". Sie wurden gestohlen (von einem Hacker) oder veruntreut (von einem Insider bei MtGox), existieren also nach wie vor innerhalb des Bitcoin-Kreislaufes, sprich innerhalb des Peer-to-Peer-Netzwerks. Nun liegt es in der Natur des Kryptogeldes, dass man seine Spur nicht nachverfolgen kann - und genau deshalb ist es auch eine ziemlich dumme Idee, mit großen Mengen an Bitcoins zu spekulieren und sie auf den Computern einer ehemaligen Magic-Spielkarten-Börse zu lagern. Normalerweise bewahrt man Bitcoins in der eigenen "Bitcoin Wallet" auf, sprich: auf dem eigenen Computer. Bitcoins auf eine "Bank" zu tragen widerspricht der Idee der Kryptowährung, also der Idee eines Zahlungsmittels ohne Mittelsmänner.
Die Idee des Privatgeldes ist übrigens gar nicht so neu. "Im Jahr 1860 gab es in Amerika 1.600 Firmen, die ihre eigenen Banknoten herausgaben", erklärte Paul Kemp-Robertson voriges Jahr auf einer TED-Konferenz seinem staunenden Publikum. "insgesamt gab es im Land 8.000 verschiedene Banknoten. Die Regierung hatte die Kontrolle über vier Prozent des Geldes - und das einzige, was diese Entwicklung stoppte, war der Ausbruch des Bürgerkriegs, in dem die Regierung die Kontrolle der Geldproduktion übernahm".
Die Geschichte der privaten Zahlungsmittel, die von Firmen herausgegeben werden, wiederholt sich gerade: Microsoft-Points, Starbucks-Scheine, Amazon-Coins - immer mehr Unternehmen akzeptieren selbst herausgegebene Gutscheine und Punkte. Mit Amazon-Coins kann man derzeit Applikationen, Filme und Bücher auf Kindle-Geräten kaufen. Sehe man sich das Warenangebot an, das Amazon abseits digitaler Inhalte hat - von der Haarspange bis zur Waschmaschine - dann werde schnell klar, wohin die Reise gehen könnte, sagt Kemp-Robertson: "Wenn die Menschen beginnen, den Zahlungsmitteln von Firmen wie Amazon mehr zu vertrauen, als den Zahlungsmitteln von Regierungen, dann stehen diese Firmen in Konkurrenz zur Federal Reserve Bank". Damit würden diese Firma die Frage aufwerfen, was Geld eigentlich sei und wer das Recht habe, es herauszugeben.
APA/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene
Bitcoin ist in diesem Sinn interessanter als die Gutscheine und Bonuspunkte von Firmen: Der Programmcode der Bitcoin-Software ist offen, die ganze Menschheit kann Einblick in seine Funktionsweise - etwa die des Schürfens durch das Lösen mathematischer Rechenaufgaben - nehmen. Unter anderem deshalb sind auch die Verschwörungstheorien, Satoshi Nakamoto wäre ein genialer Gangster, der ein Pyramidenspiel programmiert hätte, blanker Unsinn. Ein Peer-To-Peer-Netzwerk mit gleichberechtigten Usern ist keine Pyramide, und das Open-Source-Prinzip der Software ermöglicht die beste Kontrolle darüber, ob irgendwelche Hintertüren in ihr versteckt wurden oder nicht. Die Sicherheitslücke aber, die den Milliardendiebstahl bei MtGox ermöglicht hat, liegt nicht in der Bitcoin-Software, sondern lag bei der ehemaligen Spielkarten-Tauschbörse MtGox.
Die Causa beschädigt also das Geschäftsmodell der Bitcoin-Spekulation über eine Tauschbörse. Macht nichts. Sollte aufgrund der Krise auch das Vertrauen in Bitcoin selbst abnehmen (was langfristig kaum der Fall sein dürfte), dann gäbe es genug Alternativen. Auf Basis des Bitcoin-Quellcodes kann neue Kryptowährung geschaffen werden, was in den letzten Monaten bereits geschehen ist - die populärsten Bitcoin-Alternativen heißen zum Beispiel "Lite Coin" und "Doge Coin". Auch für den Fall, dass Bitcoin die MtGox-Krise nicht unbeschadet überstehen sollte, haben das technische Prinzip und die gesellschaftliche Vision von privater Kryptowährung eine große Zukunft.