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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

10. 3. 2014 - 14:17

EU-US-Freihandelsabkommen auf Schleuderkurs

Für die vierte TTIP-Verhandlungsrunde wurde die Geheimhaltung noch ausgeweitet. Journalisten dürfen nicht einmal in der Begleitveranstaltung Fragen stellen.

Heute startet in Brüssel die vierte Runde der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). Vom demonstrativen Optimismus beider Seiten ist nach den ersten drei Runden wenig übrig geblieben, denn von Mal zu Mal steigerte sich das Ausmaß der Kritik. Nur die Delegation der US-Handelskammer zeigte sich aktuell noch überzeugt, kein "sensibles Thema" könne die Gespräche zum Entgleisen bringen. Mit dieser Sicht der Dinge blieb man allerdings weitgehend allein.

Tatsächlich hat sich mittlerweile eine ganze Reihe von Themen angesammelt, von denen jedes einzelne das Abkommen kippen könnte. Kritik an den Rahmenbedingungen - strikte Geheimhaltung des Verhandlungsstands - kommt mittlerweile aus allen politischen Lagern. Die Antwort der EU-Kommission war eine verschärfte Reglementierung für Journalisten. Nicht einmal in den Begleitveranstaltungen zu den eigentlichen Verhandlungen dürfen Medienvertreter überhaupt Fragen stellen (siehe weiter unten).

Datenschutz wieder auf dem Tisch

Erst Ende Februar ist mit dem Datenschutz ein derzeit ganz besonders "sensibles" Thema dazugekommen, nachdem "Die Zeit" ein geheimes Positionspapier der EU-Kommission veröffentlicht hatte. Aus dem Dokument geht - eigentlich wenig überraschend für ein Freihandelsabkommen - hervor, dass auch über E-Commerce verhandelt wird. Damit ist die Frage nach dem Datenschutz, der von der EU-Kommission explizit als "nicht verhandelbares Menschenrecht" ausgeklammert worden war, erst recht wieder auf dem Tisch.

Wie eine erste Analyse der Rechtsexpertin Monica Horten zeigt, enthält dieses Positionspapier der Kommission eine Reihe von Passagen zur Telekom- und damit Internetwirtschaft, die Abschnitten aus dem sogenannten "Telekompaket" der EU auffällig ähneln. Mit Ausnahme eines Absatzes, der sich auf ausländische Investitionen im jeweiligen Telekommarkt bezieht.

Die Skepsis gegenüber dem Abkommen beschränkt sich keineswegs auf Europa. In den USA, wo man um die Existenz der Autoindustrie fürchtet, wurde das geplante Schnellverfahren ("Fast Track") zur Ratifizierung des umstrittenen Abkommens von Barack Obamas Partei, den Demokraten, von der Agenda gekippt

Kartellrecht ausgeschaltet

Es solle keinerlei Beschränkungen bei ausländischen Beteiligungen an "Joint Ventures" im Telekombereich geben, heißt es in Artikel 50 des Positionspapiers der Kommission. Damit wäre jedes kartellrechtliche Vorgehen seitens der EU oder nationaler Behörden gegen die Übernahme eines regionalen Markführers im Telekomsektor von vornherein ausgeschlossen. Aus den für Europa typischen nationalstaatlich geprägten Quasi-Monopolen könnten dadurch solche von Telekom- und Internetkonzernen aus den USA werden.

Eine wettbewerbsfeindlichere Maßnahme ist kaum vorstellbar, zumal sich die Kommission ja seit mehr als einem Jahrzehnt mit überschaubarem Erfolg abmüht, im europäischen Telekomsektor endlich so etwas wie Wettbewerb zu schaffen. Nach Hortens Rechtsansicht müsste im Falle eines solchen Vertrags das mühsam ausgehandelte EU-Telekompaket jedenfalls wieder aufgeschnürt werden.

Die betreffende Passage im EU-Positionspapier zur Deregulation bei Übernahmen von Telekomunternehmen sei eine "versteckte Bombe" schreibt Rechtexpertin Horten in ihrer Analyse..

Datentransfers

Auch Schutzmaßnahmen gegen NSA-Überwachung, wie die von Deutschland angetriebene Initiative, personenbezogene Daten möglichst innerhalb des EU-Rechtsraums zu routen und hier den Aufbau einer Cloud-Industrie zu unterstützen, wären damit ebenfalls vom Tisch. Unter dem TTIP-Abkommen hätte eine solche Initiative zur Folge, dass Firmen aus den USA Investitionen und entgangene Gewinne vor dem ebenfalls vorgesehenen TTIP-Schiedsgericht einklagen könnten.

In einem Freihandelsabkommen das Handelsbarrieren aller Art beseitigen soll, gelten Maßnahmen zum Datenschutz als Protektionismus. Das von der "Zeit" veröffentlichte Verhandlungsdokument enthält eine solche Forderung seitens der USA, dass eben keine Beschränkungen des transatlantischen Datentransfers zulässig seien.

Der Abschnitt zum Verbot von Auflagen, bestimmte sensible Daten nur im eigenen Rechtraum zu speichern findet sich bereits im Freihandelsabkommen der USA mit Südkorea.

Sideshow für "Stakeholder" aus der EU

Auch in dieser vierten Runde finden die Sitzungen der TTIP-Verhandler hinter verschlossenen Türen statt. Neben den für Handel zuständigen, offiziellen Repräsentanten der EU und den USA sitzen nur Interessensvertreter der Großkonzerne mit am Tisch. Alle übrigen "Stakeholder" haben am Mittwoch dann Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge zu präsentieren. Auf dieser Nebenveranstaltung werden - wie schon davor - leitende Delegierte von EU-Kommission und US-Handelsministerium die Argumente von Konsumentenschützern, Vertretern von kleinen und mittleren Unternehmen, Gewerkschaften, Bio-Agrariern oder Gesundheitsexperten entgegennehmen.

Dabei wird man - ebenso wie gehabt - die Gelegenheit nutzen, um die eigentliche Offenheit des TTIP-Prozesses zu betonen und die Geheimhaltung des Verhandlungsstands als Voraussetzung für einen erfolgreich Abschluss darzustellen. Der Verlauf dieser halböffentlichen Veranstaltung am Mittwoch ist weitgehend berechenbar, zumal die EU-Kommission hier strikt Regie führt.

Rahmenbedingung Nervosität

Das fängt mit der Auswahl der "Stakeholder" für den Auftritt an, von den laut Kommission 200 eingereichten Anträgen wurden 80 ausgewählt. Die Rahmenbedingungen für Journalisten aber zeugen von der Nervosität, die hinter den Kulissen herrscht. "Pressevertreter können ebenfalls teilnehmen", heißt es dazu, allerdings könnten sie keine Fragen stellen.

Die Teilnahme sei nur zum Zweck der Hintergrundinformation zulässig und auf einer "strikten on-the-record-Basis". Journalisten dürfen also nur zitieren, was die Teilnehmer auf offener Bühne sagen, Filmen und Fotografieren ist ebenfalls verboten. Der audiovisuelle Dienst der Kommission werde Fotos von der Veranstaltung zur Verfügung stellen, am Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz, bei der dann auch Fragen zugelassen seien.

Im EU-Wahlkampf angekommen

Was damit bezweckt wird ist klar. Während der gesamten Verhandlungswoche soll möglichst nur veröffentlicht werden, was die Verhandler selbst rund um die Gespräche ventilieren. Ob dieser Wunsch nach einer ruhigen Verhandlungswoche in Erfüllung geht, darf bezweifelt werden. Erst am Freitag platzte die Grüne Fraktion mit dem "Leak" eines weiteren Dokuments mitten in die Vorbereitungen. TTIP ist nämlich längst im EU-Wahlkampf angekommen, der jetzt gerade auf Touren kommt.

Die dritte Verhandlungsrunde Mitte Dezember wurde von einem wahren "Shitstorm" im Netz begleitet. Auslöser waren abfällige Äußerungen der Kommission gegenüber Konsumentenschützern.

Die von den den Verhandlern zuletzt in den Raum gestellte Möglichkeit, dass ausgewählte Abgeordnete zum EU-Parlament zu gegebener Zeit den Verhandlungsstand in einem "Sicherheitsraum" in Brüssel einsehen könnten, war nicht geeignet, die Kritik am Freihandelsabkommen zu dämpfen, im Gegenteil. Im Fall des ebenso geheim verhandelten ACTA-Abkommens war diese Art der Einsichtnahme nur als weitere Provokation der Öffentlichkeit verstanden worden. Sie trug dann wesentlich zum spektakulären Scheitern dieses "Anti-Piraterieabkommens" bei.

Ausblick

Der nächste wichtige Termin nach dieser Verhandlungswoche ist der 26. März. Auf dem EU-USA-Gipfeltreffen wird zweifellos versucht werden, das Steuer noch einmal herumzureißen. Ob das gelingt, ist mehr als fraglich. Bis jetzt hat noch jedes Manöver der verhandelnden Parteien nur zu neuen Schleuderbewegungen geführt.