Erstellt am: 7. 3. 2014 - 18:40 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 07-03-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute: Porno. Der zweite, weibliche Blick auf eine stupide Monokultur.
Morgen am Weltfrauentag mehr zum Thema "Frauenpornos für das 21. Jahrhunder". Riem Higazi hat für FM4 Reality Check (Samstag 12 - 13 Uhr) mit Frauen gesprochen, die Pornographie für Frauen produzieren, analysieren oder einfach konsumieren.
Es ist eines der ganz wenigen großen Themen, die zumeist auf beiden Ebenen unter der Kommunikationsgrenze dahinwabern, sowohl medial als auch privat. So richtig ehrlich wird Porno nirgendwo verhandelt: der öffentliche Diskurs verläuft im Tonfall einer voyeuristischen Schein-Naivität; privat wird beschönigt oder übertrieben.
Wobei: vielleicht weiß ich's ja nur nicht. Ich rede mit Männern kaum über Sex, so gut wie nie über Porno; hat auch damit zu tun, dass mich die männliche Perspektive mäßig interessiert - und das hat wiederum damit zu tun, dass Porno in 95 Prozent der Fälle sowieso aus der männlichen Perspektive heraus produziert wird. Die pornographische Männerlogik, so instant-deppensicher sie funktioniert, ist eine Sackgasse.
Das, was ich von/mit und über Porno in den letzten Jahren an Neuem erfahren habe, verdanke ich Hinweisen und Gesprächen mit weiblichen Freundinnen und Bekannten, als Aufmerksamkeits-Aggregatorinnen für dänischen FemPorn, Steam-Punk-Ästhetik, BDSM-Kink oder andere interessante Seitenstränge.
Umso überraschter war ich dann Ende Jänner, als der deutsche Publizist Dietmar Dath in der FAZ unter dem Titel "Im Weltreich der nackten Daten" einen aktuellen Abriss zum Stand der Internet-Pornografie abgab (wohl in Erwartung des das Thema wieder anreißenden neuen Lars von Trier-Films).
Auf den zweiten Blick blieb dann die Überraschung über die Ernsthaftigkeit der Beschäftigung übrig. Die andere Überraschung (dass Daths professioneller Blick so ziemlich dieselben Felder ausleuchtete, die auch mir beim amateurhaften Nebenbei-Sichten offenbart wurden) verflog schnell: ist ja logisch, dass der weiße popkulturell geflutete Mitteleuropäer vergleichbare Perspektiven aufreißt.
Als der FAZ-Artikel erschien, waren gerade die in ihrer Traurigkeit beschämenden Melanie-Müller-Clips ganz weit vorne in den deutsch-sprachigen Abruf-Charts.
Dath entkommt der sonst üblichen (und vor allem in katholischen Weltgegenden nachgerade verplichtenden) Verteuflungs-Spirale, indem er den Watchman-Erfinder Alan Moore mit dem Satz "Man wird immer mehr Pornographie haben und das Einzige, was man tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass es wenigstens auch gute Pornographie gibt, nicht nur menschenverachtende." zitiert.
Pornographie auf die gratisclipanbietenden Plattformen vom Typus Youporn zu reduzieren oder das Ausmaß an Gewalt- und Ausbeutungs-Volumen so dick herauszustreichen, dass die Bedürfnis-Erfüllung weiter nur in Scham-und Schuld-Zusammenhängen erfolgen kann, ist eine Möglichkeit.
Dath listet die Ausnahmen von den Branchenregeln auf, zu Performance-Künstlerinnen aufgestiegene Ex-Pornoqueens und Jetzt-Regisseurinnen wie Belladonna oder das Edel-Dekadenz-Portal kink.com, das jeden seiner Clips mit einem "Wie ist es euch dabei ergangen"-Nachlauf versieht, um das Einverständnis-Prinzip des BDSM zu betonen.
Dath sieht die Bedeutung der ästhetischen Auseinandersetzung mit einer unvermeidbaren Äußerung wie Porno, vor allem in einer stark von kurzen Bewegtbildern dominierten Medienzukunft.
Und ich gehe davon aus, dass die von Moore angesprochene Verbesserung des Auseinandersetzungs-Levels nur durch die eingangs erwähnte Praxis funktionieren wird können: Porno durch den weiblichen Blick neu aufzusetzen.
Es ist wie bei jeder von Männern normierten Gattung: nach Jahrhunderten, im Fall des Pornos der Moderne von mir aus nur Jahrzehnten des Männer-Blicks, der sich in völliger Anpassung an die konsum- und gesellschaftspolitischen Vorgaben einer kapitalistischen Grundordnung hält, die ganz streng zwischen Rosa und Blau trennt, kann nur ein zweiter Blick als Korrektiv dienen, eine zweite Dimension in ein unendlich eindimensionales Genre einziehen, einen Stereoeffekt in eine Monokultur bringen, ein gemeinsames Gesichtsfeld entwickeln.
Das wiederum geht nur mit ebenso kapitalistischer Logik. Der Zukunftsmarkt sind Seiten wie "welovegoodsex.com", die ihre Angebote zwar mit dem NSFW(Not safe for Work)-Zeichen branden, oder
"beautifulagony.com" aber ohne Schmuddelfaktor daherkommen und trotzdem die in uns allen lauernde simple Geilheit befrieden.