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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

5. 3. 2014 - 17:57

Das Zerdenken der Welt

Heinz Helles ausgezeichnetes Debüt "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin" ist eine Reflexion über die Reflexion, ein Roman über den Fluch der Metaebene, des Bewusstseins und eine gefährdete Liebe.

Heinz Helle, geboren 1978, Studium der Philosophie in München und New York, hat einen Roman über einen deutschen Philosophiestudenten in New York geschrieben.

Junger lächelnder Mann,

Jürgen Bauer

Heinz Helle gewann 2013 den Ernst-Willner Preis

Das, und ein klein wenig mehr, verrät der Klappentext über die 160 Seiten Literatur, die da auf den Leser warten, und die, ehe man sich noch über den möglichen autobiografischen Gehalt des Romans Gedanken gemacht hat, einen längst schon mithinein gezogen haben, in die Gedankenwelt des namenlosen Ich-Erzählers.

Nichts ist sicher

Die Welt des Erzählers hat wenig festen Bestand oder sicheren Gehalt. Helle zeichnet einen zu tiefst verunsicherten Menschen, einen 27 jährigen Philosophen, der nach New York zieht, um an einem Scholarship-Programm teilzunehmen. Forschungsgebiet und Problemstellung: das menschliche Bewusstsein und das Erleben. Diese Problemstellungen bleiben nicht simples Forschungsgebiet, sie sind ständige Begleiter im zwanghaften Denken des Erzählers. Jeder Gedanke und jede Wahrnehmung werden analysiert und hinterfragt, Gefühle auf ihre Ursache und Echtheit untersucht, und dann - ist eine mögliche Ursache gefunden - gefragt, ob man denn nicht nur einfach glaubt eine Ursache gefunden zu haben.

Mein Problem ist die Frage, wieso wir etwas erleben. Mein Problem ist die Frage, wieso unser Körper mit seinem hochkomplexen Rezeptions- und Prozessierungsapparat zusätzlich zu all der Rezeption und Prozessierung noch so etwas erzeugt wie ein ah, so ist es also, ich zu sein und hier und jetzt zu sein und genau das zu tun oder eben nicht.

Zaungast seines Erlebens

Man erfährt von den ersten Wochen in New York, von Gesprächen mit Professoren, Ausgehen mit Kollegen, einem One-Night-Stand. Die ständige Reflexion und das ständige Abrutschen auf die Metaebene verwehren dem jungen Mann ein direktes Empfinden, da alle Emotion schon beim Auftauchen in Verstand aufgelöst, aus der Distanz betrachtet und kommentiert wird. Doch selbst dessen ist er sich bewusst, und selbst das wird weiter hinterfragt.
In aller intellektuellen Verzweiflung, in diesem Fluch der darwinistisch-prometheischen Sonderstellung des Menschen auf der Welt, sucht das Ich auch den vulgären Bruch dazu. Der Protagonist will sich beweisen, dass er zu allererst ein Tier ist, das einfach alle (Frauen) ficken und sich in Bars prügeln will, dass das Andersartige (einen afroamerikanischen Taxifahrer) suspekt findet und sich nationalistisch angehauchten Männerritualen (z.B. beim gemeinsamen Fußballschauen) ergibt.

Buchcover

Suhrkamp

Heinz Helle "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin"; Suhrkamp

Gefährdete Liebe

Die Sprache des Romans ist bewusst schlicht, aber keineswegs banal. Helle kommt mit wenigen Ausschmückungen zurecht, Schnörkel und Spielerein gibt es kaum. Es ist ein fließender Erzählduktus, der im Zentrum des Romans eine packende Dynamik entwickelt, nämlich in jenem Teil, in dem man vom Beginn und Verlauf der Liebe zwischen dem Protagonisten und seiner Freundin erfährt, die im Buch nur als „sie“ bezeichnet wird. Helle hat diesen Textausschnitt bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2013 in Klagenfurt gelesen und wurde dafür mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.

Anhand einzelner Ausschnitte in kleinen Kapiteln wird der Beziehungsverlauf bis zum Besuch der Freundin in New York in Zeitraffer geschildert. Wir haben Sex. Zunächst mehrmals am Tag, dann mehrmals die Woche, dann mehrmals am Wochenende, dann einmal pro Woche. Im Fahrwasser scheinbar unausweichlicher Konventionen heutiger Paarbeziehungen (Wir haben zusammen 53.374,43 Euro auf dem Konto und könnten eine Eigentumswohnung anzahlen […] Wir könnten in Elternteilzeit gehen […]) treiben die beiden langsam auseinander.

Es sind vor allem diese Passagen, die dem Debüt seine Stärke verleihen. In der fehlerhaften verbalen Kommunikation untereinander entwickelt das Paar subtile Wege die Verzweiflung und den Kampf um ihre Liebe nonverbal auszudrücken. In Körperhaltung, Distanz, Gesten, wenn sie sich im Kino einen Film ansehen, ein Eis essen, oder durch New York spazieren. All das lässt Helle seinen Protagonisten genau und abschätzig beobachten und kommentieren. Der Leser wird Zeuge eines stillen Kampfes und eines stillen Unterganges einer Liebe. Und auch das Ich der Geschichte wird tragischer Zaungast seines eigenen Erlebens.

Am 5.3. liest Heinz Helle aus „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ bei den Münchner Wortspielen.