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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

4. 3. 2014 - 20:44

Party-Grooves for Funerals

St. Vincent, unser dieswöchiger Artist Of The Week, im Interview über digitalen Schamanismus, Klapperschlangen in der Wüste und ihr neues Album St. Vincent.

Artist Of The Week

Musikempfehlungen aus der FM4 Redaktion

Als ich mich durch den Schneesturm zum Interview mit St. Vincent kämpfte, musste ich an das Cover ihres neuen Albums denken. Dort sitzt sie wie eine Eisprinzessin auf einem pfirsichfarbenen Thron. St. Vincent wirkt cool, mächtig und erhaben. Dennoch hat dieses Portrait nichts selbtherrliches oder einschüchterndes. Es ist eine Demonstration künstlerischen Selbstbewusstseins, werde ich später in diversen Reviews lesen. So wie auch die Namenslosigkeit des vierten St. Vincent-Soloalbums. Immerhin gilt das in Popkreisen als Signatur des Künstlers unter sein Werk: So ist es, das bin ich.

snow nyc 2014

Christian Lehner

Es war noch früh und der Nor'easter fegte mit einer solchen Unbarmherzigkeit durch die Straßen des East Village, dass ich jederzeit mit einem Anruf der Publizistin rechnete, die alle Interviews des Tages canceln würde. Doch dieser Anruf kam nicht und ich stieß endlich zu einem dieser neuen, sündteuren Hotels an der Bowery vor. Der ehemalige Boulevard des Elends hat sich in eine hochpreisige Prachtstraße des internationalen Retro-Schicks verwandelt. Es sind nicht mehr die Gangs of New York oder die Ramones, die marodierend durch die Lower East Side ziehen, sondern Shopping-Horden, Touristen-Massen und die internationale Jet-Set-Jugend.

Ein fantasieuniformierter Doorman öffnete mir die Tür. Aus dem Inneren drang wohlig warmes Licht. Bald stand ich wie ein tropfnasser Bettler vor der herrschaftlichen Rezeption. Als ich da so wartete, mit all dem wunderschön lächelnden Personal um mich herum, das mich irgendwie zu umzingeln schien, dachte ich darüber nach, ob ich mich ein wenig wie in einem Dickens- Roman fühlen sollte oder doch wie in Doktor Schiwago.

St. Vincent

Loma Vista/Republic

Endlich wurde ich in die Hallen der Eisprinzessin vorgelassen. Sie trug eine taillierte schwarze Lederjacke und ein französisches Barett. Und das gütigste aller Lächeln. Meine Sorgen und Nöte schwanden. Die Eisprinzessin entpuppte sich gesprächstechnisch als Sonnenkönigin. Nur der manchmal vor Verzweiflung laut in sein Laptop stöhnende Geschäftsmann in der Business-Lounge nebenan durchbrach die hoheitliche Atmosphäre in diesem von Schneeflocken umhüllten Glaspalast.

Ein neues St. Vincent-Album. Es ist das dritte in knapp zweinhalb Jahren. Wie ist es dazu gekommen?

Eigentlich wollte ich eine Auszeit nehmen, in den Urlaub fahren, mir eine einsame Insel suchen. Ich war eineinhalb Jahre auf Tour. Zuerst mit meinem letzten Album, dann mit David Byrne für unsere gemeinsame Platte „Love This Giant“. Doch ich fand einfach keine Ruhe. So habe ich zu schreiben begonnen. Es war der beste Weg, die letzten eineinhalb Jahre zu verarbeiten. Wenn man auf Tour ist, bleiben viele Dinge unerledigt, auch innerlich.

Das kling ein bisschen nach Workaholic-Dasein.

Nein, gar nicht! Ich kann bloß nicht schreiben, während ich auf Tour bin. Da sammelt sich dann natürlich so einiges an. Das muss dann raus. Außerdem bin ich kaum in meinem Apartment, wenn ich in New York weile. Die Wohnung ist bewusst spartanisch eingerichtet. Also einfach abhängen, das geht auch nicht.

Bist du ein eher rastloser Typ und musst immer in Bewegung sein, oder ist das ständige Touren schlicht eine Anforderung des Musikbuiz, wie es sich heute darstellt?

Das Musikgeschäft hat sich definitiv geändert. Es ist völlig anders als noch vor zehn Jahren. Und ja, der Live-Sektor ist enorm wichtig geworden. Ich würde sogar sagen überlebenswichtig. Glücklicherweise fühle ich mich sehr wohl auf der Bühne. Da oben stehen und jeden Abend eineinhalb Stunden „make believe“ inszenieren, das mache ich wirklich sehr gerne.

Ich hab dich einmal bei einem dieser großen Rock-Festivals erlebt. Das war in einem Park in New Jersey. Du bist zwischen Tool und irgendeiner anderen Heavy-Band aufgetreten, auf einer kleineren Bühne, und hast eine irre Show abgezogen. Wenn man jetzt nur deinen Sound hernimmt, würde man das nicht unbedingt vermuten.

Ich bin zwar nicht die Red Hot Chili Peppers in Personalunion, aber mittlerweile habe ich genug Stücke beisammen, die auch rocken. Das war durchaus ein Hintergedanke beim Schreiben des neuen Albums. Ich sehe die Songs als Party-Grooves, die auch bei einem Begräbnis funtionieren. Sie sind funky, tragen aber immer noch genug emotionales Gewicht.

Dieser emotionale Kontrast ist am Album sehr ausgeprägt. War das eine konzeptuelle Entscheidung?

Früher hätte ich JA! gesagt. Alles meine Entscheidung! Aber in Wahrheit sagt dir die Musik, wo's langgeht. Und wenn du auf diesem Weg die richtigen Entscheidungen triffst und nicht etwas daraus machen willst , was es nicht ist, kann am Ende richtig gute Musik dabei rauskommen. I always try to get out of the way of the song.

St. Vincent

Christian Lehner

Annie Clark a.k.a. St. Vincent, New York Feb 2014

Deine Musik ist im Ton abstrakt, im Text aber sehr konkret und auch persönlich. Im Eröffnungsstück „Rattlesnake“ spazierst du etwa nackt durch die Wüste, bis du schließlich auf eine Klapperschlange triffst und flüchtest. Wenn ich richtig informiert bin, ist das eine wahre Geschichte. Was vielen möglicherweise peinlich wäre, eröffnet bei dir ein Album.

Ja, das war auf der Ranch einer Freundin im Westen von Texas. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch peinlich. Aber es ist doch auch sehr typisch. Ich bin ein Kind der Stadt. Ich fühle mich sicherer in Peking als in einem Wald. Ich weiß eigentlich überhaupt nichts von der Natur. Ich kann dir sagen, wer bei Toto am Schlagzeug sitzt, aber nicht, ob Kühe Menschen attackieren. Und da bin ich, auf einem Abendspaziergang durch die Wüste, und bekomme diese romantisch naive Naturanwandlung. Und was passiert? Ich höre dieses Geräusch und will es einfach nicht wahrhaben. Da sitzt tatsächlich eine Klapperschlange vor mir und sie sah verdammt sprungbereit aus! Ich hatte die realen Gefahren der Natur total unterschätzt. Für mich waren sie eben nicht real.

Was hast du getan?

Ich bin so schnell weggelaufen, wie ich nur konnte, zurück zur Ranch, ohne mich einmal umzudrehen. Den Schrecken habe ich mit einem Shot Tequila runtergespült. Ich hatte sogar noch meine Klamotten dabei bis auf ein altes Pearl-Jam-T-Shirt. Das gehört nun der Klapperschlange.

Entfremdung ist ein Grundmotiv des Albums. In "Digital Witness2 geht's um die neuen Technologien und unser Leben mit dem Dauerblick auf die Small Screens.

Ja genau. "Rattlesnake" eröffnet das Album. Es ist für mich die moderne Adaption eines Schöpfungsmythos. Es ist aber einfach auch bloß fun. Was die Entfremdung betrifft, bin ich eher neugierig. Wir leben zum Großteil noch immer analoge Leben, aber gleichzeitig verbreiten wir täglich zig verschiedene Versionen von uns in der digitalen Sphäre. Der Mensch wird zunehmend zum Performer. Das interessiert mich als Künstlerin natürlich sehr.

Bei dir habe ich den Eindruck, dass du kein Problem mit dem Konzept des Künstlichen in der Popmusik hast. Gerade in Amerika ist das gar nicht so selbstverständlich für Musiker, die sich jenseits des Massengeschmacks bewegen. Da legt man oft Wert darauf, besonders "honest, true and authentic" zu sein.

Es gibt nichts Unnatürlicheres, als auf eine Bühne zu steigen und für Menschen zu singen. Das ist ein strikt reglementiertes Verhältnis. Du bittest das Publikum, sich für eineinhalb Stunden auszuliefern. Was soll daran natürlich oder auf Augenhöhe sein? Versteh mich nicht falsch, ich mach sehr persönliche und ehrliche Musik, aber ich bin mir der Theatralik und des inszenatorischen von Popmusik völlig bewusst.

Das gilt auch für deine Musik selbst, oder? Du scheust nicht davor zurück, Künstlerin zu sein oder deine Zuhörer eventuell zu überfordern.

Ich versuche nicht, strange zu sein. Aber was mir schon gefällt, ist Formen, die sich als Standards etabliert haben, etwas zu drehen und mit ihnen zu spielen. Ich mache aber Pop- und keine Kunstmusik. Ich halte mich an's Songformat, schreibe Texte und Hooks, die hoffentlich wiedererkennbar sind und beim Hörer hängenbleiben.

Über die Jahre hast du so etwas wie eine eigene Gitarren-Signatur entwickelt, was für den heutigen Pop schon sehr ungewöhnlich ist. Dabei klingen deine Licks häufig wie Synthesizer-Melodien, die man durch einen Dub-Step-Kompressor gejagt hat und du verwendest Soli wie Arrangements.

Ich arbeite sehr viel mit Distortion-Sounds. Es gibt kalte Distortions, die physische Schmerzen verursachen und warme, die ich persönlich bevorzuge. Ich mag Prog-Rock-Gitarren, ihren Sound, ihre Texturen. Mit der sich absetzenden Art, wie dort Soli gespielt wurden, konnte ich allerdings noch nie viel anfangen. Ähnlich verhält es sich mit der Tradition der Blues-Gitarre. Ich steh' irrsinng darauf. Aber als Musikerin interessiere ich mich mehr für die Abstraktion als die hunderteste Rekreation davon.

Am neuen Album gibt es zwei Stücke mit Personennamen, die auch beisammen sitzen und von der Musik her eher wie Ruhephasen in einem hypernervösen Umfeld wirken: "Prince Johnny" und "Huey Newton".

"Prince Johnny" is real. Der Song erzählt seine Geschichte. Ich glaube, jeder von uns hat diesen einen speziellen Freund, der unglaublich intelligent, charmant und gewitzt ist, der aber auch eine extrem selbstzerstörerische Ader hat. Es ist dieser eine Freund, den wir bewundern, von dem wir uns aber auch ein bisschen fürchten, weil er immer einen Tick zu weit geht. All die Dinge, die ich in dem Song beschreibe, sind Episoden aus Johnnys Leben, die aber wie eine fantastische Erzählung erscheinen; wie zum Beispiel dieses eine Mal, als er aus Europa zurückgekehrt ist, Staub und Brösel von der Berliner Mauer mitbrachte und das Zeugs dann wie Kokain geschnupft hat.

Und "Huey Newton"? Spielt das auf den Black-Panther-Mitbegründer an?

Ja, aber der Song hat nicht direkt mit seiner Person oder Biografie zu tun. Ich war auf Tour, litt unter Schlafmangel und hatte einen Tag frei – das war in Helsinki. Also habe ich ein Ambien genommen. Das ist ein starkes Schlafmittel. Wenn du trotz Einnahme der Pille nicht entschlummerst, entwickelt das Mittel eine sehr starke halluzinierende Wirkung. Und da ist plötzlich Huey Newton zur Tür hereinspaziert. Ich war high as a kite, dennoch hat sich diese Begegnung so real angefühlt, dass sie mir offensichtlich einen Song wert war.

Dein letztes Album war eine Gemeinschaftsproduktion mit David Byrne von den Talking Heads. Eigentlich war das gar nicht so überraschend, denn eure Ansätze lassen schon auf eine gewisse künstlerische Seelenverwandtschaft schließen.

Es war mir auch wichtig, dass wir dafür eine eigene, gemeinsame Sprache entwicklt haben. Aber bei David Byrne muss man ohnehin keine Angst haben, künstlerisch dominiert zu werden. Er ist viel zu interessiert an der Sache und nimmt sich selbst nicht allzu wichtig. Er ist schlicht zu beschäftigt für irgendwelches Mentoren-Gehabe.

Hast du dennoch etwas aus dieser Zusammenarbeit mitgenommen, das dir vorher noch nicht so klar war?

Ja. David Byrne ist in Belgangen der Kunst ein furchtloser Mensch, der ausschließlich in die Zukunft blickt. Und das bedeutet tatsächlich frei zu sein.