Erstellt am: 4. 3. 2014 - 19:25 Uhr
Geil ist geil
Popkultur und die sogenannte Jugendsprache, sie sind ständig in Bewegung, sonst würden sie sich recht rasch ad absurdum führen. Eigentlich wiederholt sich dabei zwar alles in regelmäßigen Abständen, aber die Zusammensetzung, die individuelle Rezeptur aus den unterschiedlichen Pop- und Sprachelementen macht die jeweilige Gegenwart aus. Auf Kontext und Deutung kommt es an und so entsteht eine meist recht klare Abgrenzung von, sagen wir, Jugendkultur aus Mitte der 1980er Jahre und jener der Jetztzeit.
Es war einigermaßen verblüffend, dass auch einige popkulturell höchst beflissene Kolleg/innen letzten Sommer anlässlich von Vox pops auf Festivals verstört waren, weil Teenager als Jubelbekundung und Ausdruck überhöhter Freude bloß noch das Wort "geil" verwenden würden. Geil, ja, das sagen wir alle immer wieder, mal in sexuellem Kontext, öfter aber eben als Unterstreichung von Begeisterung.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar
Man nimmt sich als langsam, aber beständig älter werdener Mensch vor, die doofsten Klischees der Generationskonflikte zu vermeiden, und dann tappt man doch in eine der offensichtlichsten Fallen. Was "geil" betrifft, wurden schon vor knapp dreißig Jahren die Altvorderenen mit der neuen Konnotation des Wortes provoziert, die für sie keinen Sinn ergeben hat. "Geil" war in den 1960er und 70er Jahren eindeutig mit sexueller Erregung und Lüsternheit verbunden, obwohl die "zeitgenössische" Verwendung von Geilheit zumindest bis ins Althochdeutsche zurückgeht.
Eine Unterscheidung zwischen Mainstream-Popkultur und ihren vielen alternativen Nischen zu treffen, erscheint überholt und kann nicht allgemeingültig festgemacht werden. Kultivierte Popbeobachter/innen rümpfen allerdings ziemlich verlässlich dann die Nase, wenn sich hinter einer artifiziellen Inszenierung, durch die Pop ja oft erst zum Leben erwacht, keine zusätzliche Ebene verbirgt, an deren Deutung man sich abarbeiten kann. Scooter beispielsweise war die längste Zeit der Gottseibeiuns vieler kluger Popfans, weil sich hinter ihnen außer plakativem Techno und ausladenden Gesten wenig verbirgt. Wenn kein Augenzwinkern oder keine theoretische Basis in etwas verwoben ist, geziemt es sich in vielen Gemeinschaften, den Stempel Trash (quasi als Gegenteil zu Kunst) draufzupappen.
In derselben Weise lässt sich auch der Klassiker "geil" als immerwährende Provokation hernehmen, wenn es im Kontext einer unreflektierten aufdringlichen Party- und Abhängekultur als stumpfe Wortwiederholung benutzt wird, wie etwa hier. Einfacher wird's da schon, wenn sich hinter der grellen Fassade, die eben leider geil ist, zumindest dem Anschein nach eine Metaebene befindet – auch, wenn das Ergebnis exakt dasselbe wie weiter oben ist. Ähnlich verhält es sich bei der "Hihi"-Ironie, die vor allem in der deutschen Bundeshauptstadt fröhliche Urständ' feiert und mitunter bizarre Blüten treibt.
Wenn wir es also gewohnt sind, dass "geil" mit der höchsten Intensitätsstufe an Farben, Formen und Gesten gleichgesetzt wird, wirkt es fast schon subversiv, wenn plötzlich ein schick gekleideter Crooner im besten Alter mit einer perfekt trainierten, sonoren Stimme zu einem langsamen Elektropopstück singt und tanzt, dabei aber unentwegten Geildurchfall hat. Dass es überhaupt möglich ist, ohne Unterlass die Worte "super" und "geil" in einer so sinnlichen, kultivierten Weise vorzutragen, wie es Friedrich Liechtenstein im dazugehörigen Video von "Der Tourist" aus 2013 tut, grenzt das an ein dramaturgisches Wunder.
Liechtenstein inszeniert banale Elemente des Alltags als schöngeistige Kunst, tänzelt mit ihnen beherzt vor sich hin und brummt dabei das G-Wort immer wieder zart in die Kamera. Mit der Ambivalenz zwischen bloßem Ausdruck von Freude und einer möglichen sexuellen Konnotation wird naturgemäß gespielt, doch kommt es einem bei dieser Performance nicht annähernd in den Sinn, dass etwas Anrüchiges gemeint sein könnte.
Bad parodies:
Wegen Friedrich Liechtensteins Präzision in Bewegung und Sprache ist jede direkte Persiflage von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Was allerdings funktionert: Die Idee nehmen und selbst ganz neu machen.
"Supergeil" ist die perfekte Vorlage, um Alltägliches wie den Einkauf von Lebensmitteln via Werbung auf eine neue Ebene zu hieven. Schließlich ist die meiste Werbung eine abstruse ästhetische Überhöhung gängiger Konsumprodukte. Anfang des Jahres wurde der Song für eine deutsche Supermarktkette neu getextet und als Video gedreht. Liechtenstein belässt es dabei aber nicht beim Singen und Tanzen zwischen den Regalen, sondern zieht auch Dorsch und Klopapier über die Kassa und befindet ruhig, aber fasziniert über deren Supergeilheit. Der Song wurde zum Hit, die umfangreiche Social Media-Kampagne bietet zusätzlich zum Video auch kurze Clips an, mit deren Hilfe man etwa der Freundin oder dem Arbeitskollegen eine geile Botschaft von Friedrich schicken kann. Selbst die Nachricht an die "geile Mutti" wirkt dabei nicht geschmacklos, sondern durchwegs unterhaltsam.
Bei all der Cheesyness geht es bei "Supergeil" (dem Original – die Werbung kam ja erst ein Jahr später) vor allem um Komplimente. So sehr Friedrich Liechtenstein eine Kunstfigur sein mag und so stark wir uns der inszenierten Form der Darstellung bewusst sind: Ein gutes Kompliment, das sitzt einfach und das merkt man sich – vor allem, wenn ein starkes Wort dafür benutzt wird. Du bist sehr, sehr geil.