Erstellt am: 2. 3. 2014 - 21:22 Uhr
The daily Blumenau. Weekend Edition, 02-03-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
#fußballjournal14
Es wird fälschlicherweise dem ehemaligen deutschen Kanzler Konrad Adenauer zugeschrieben, das schöne Zitat "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!" Tatsächlich belegt ist nur der zweite Teil der kleinen Weisheit: "Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden". In jedem Fall passen beide Sätze sehr gut zur ersten der heutigen Schlagzeilen.
a) ÖFB-Teamchef Koller wird klüger, interessiert sich nicht für sein Geschwätz von gestern und beruft Stefan Ilsanker
Die zweite ist ein völlig unironisches Bestehen auf Geschwätz von Beginn der Saison.
b) Wieso sowohl Sturms zwischenzeitlicher Rang 8 und auch die für unmöglich gehaltenen Zuschauer-Proteste vorhersehbar waren
Und die dritte soll das, was zumindest der selbsternannte beste Sportjournalist des Landes für Geschwätz hielt, unterstützend erläutern.
c) Ein praktischer Beleg zur These dass Fußball-Österreich an Salzburg genesen wird, am Beispiel von Rapid Wien
Im übrigen halte ich den Adenauer-Satz für eine der zentralen Errungenschaften einer demokratischen Gesellschaft, Teil 2 sowieso, Teil 1 dann, wenn man sich nicht nach irgendwelchen Winden dreht, sondern seine Sichtweise erweitert hat.
Aber jetzt zu den konkreten Fällen:
1) Einknicken statt Kopfhinhalten
Schau, schau.
Gestern erklärt ÖFB-Teamchef Marcel Koller im Standard-Interview noch Folgendes: "Man hat einen Plan, man hat Ideen. Diese zu vermitteln, dauert. Kommt jedes Mal ein neuer dazu, müsste er an einem Tag kapieren, wofür die anderen zwei Jahre Zeit gehabt haben. Der Stamm steht, muss stehen. Drängt sich einer durch herausragende Leistungen auf, ist er willkommen. Geht es schief, halte ich den Kopf hin."
Heute nominiert er Stefan Ilsanker nach, den er bei der Nominierungs-Pressekonferenz noch als Musterbeispiel für seine einen-Tag-zweiJahre-These gebracht hatte.
Also doch nix mit Kopfhinhalten, doch lieber dem Druck der Öffentlichkeit weichen, die angesichts Ilsankers Leistungen in den letzten Monaten die Frage stellen musste, was einer denn noch alles anstellen müsse, um zumindest einmal reinschnuppern zu dürfen (weil mehr nicht geht).
Reagiert hat Koller übrigens auf eine Nachfrage zu der geschlossenen Gesellschaft, die die Nationalmannschaft geworden ist. Mit diesem Begriff habe ich ihn auf der Kadernominierungs-PK konfrontiert und wohl auch geärgert.
Klar, das Thema ist komplex; Kollers 1-Tag-2-Jahres-Erklärung in sich schlüssig.
Ein Beharren auf einem Stamm ist aber auch nur dann wirklich gut zu argumentieren, wenn dieser Stamm sein Leistungs-Level hält. Wenn man, wie das ÖFB-Team auf einzelnen Positionen einen Dauerschwelbrand hat, wird es aber eng. Wenn man wie Koller auf seinen alten Vertrauten, Kapitän Christian Fuchs (den der Schweizer schon seit seinen Bochumer Zeiten kennt) und dessen Trauzeugen Robert Almer setzt, und beide seit Monaten im Tief stecken, wenn der Salzburger Bankdrücker Florian Klein ein Fixleiberl hat, wenn man im durch den neuen Plan B aufgewerteten zentralen Mittelfeld mit Baumgartlinger einen mittelfristigen Ausfall hat, dann empfiehlt es sich doch eher, entsprechendes Personal aufzubauen; und wenn man nur drei Testspiele, eine kurze Zusammenkunft und ein Trainingslager Ende Mai zur Verfügung hat, sollte man keine Zeit verlieren.
Kollers aktuelles "Glück": dass sich sowohl Trimmel (aktuell der deutlich beste österr. Rechtsverteidiger der Liga) und Ulmer (aktuell der deutlich beste österr. Linksverteidiger der Liga) beide verletzt haben und das Michael Gspurning bei PAOK noch auf der Bank sitzt - was sich angesichts der eben passierten Entlassung von Coach Huub Stevens in jegliches andere Extrem hin ändern kann.
Kollers ursprünglicher Plan (der von Dienstag bzw. noch Samstag) war es, darauf zu verzichten und mit den alten Kräften durchzukommen. Wenn es hinhaut, eh alles super - wenn es schiefgeht, "halte ich den Kopf hin". Dass das eine etwas zu egofixierte Sichtweise ist, die angesichts der Bedeutung dessen, was auf dem Spiel steht, nicht so einfach und so diskussionslos hingenommen werden konnte, wie sich Koller das vorstellte, war logisch. Der allgemeine Widerstand (auch wegen der Erinnerung an vergleichbare Sprüche von Hickersberger und Constantini): aufgelegt.
Heute nun fiel Koller um, berief für den verletzten Guido Burgstaller nicht Jakob Jantscher, der dessen Position einnehmen kann, sondern den eigentlich nicht als Ersatz geeigneten Sechser Ilsanker, an dessen Nicht-Nominierung auch der Allerdümmste die Widersinnigkeit der Kollerschen Strategie (die noch dazu den fußballerischen Leistungs-Begriff ad absurdum führt) erkennen konnte.
Zwei Möglichkeiten:
1) Koller hat gecheckt, dass er taktisch klug handeln muss, nominiert Ilsanker, beruhigt so die Dümmsten und den Medien-Boulevard und verschafft sich eine Carte Blanche, was die "Neuen" betrifft, kann ab sofort immer auf diesen Fall verweisen. Auch wenn er Ilsanker links liegen lässt und nicht in den Herbst mitnimmt.
Das wäre berechnend, aber legitim.
2) Koller hat angesichts des Widerstands erkannt, dass er sich vorschnell eingebunkert hat, und weiter offen für Nachrücker mit wirklich nach oben zeigenden stabilen Formkurven sein muss. Er hat zudem erkannt, dass es, wenn er mit drei in der Zentrale spielen will, ganz günstig wäre, nicht nur vier, sondern fünf im Kader zu haben. Auch das zwischenzeitlich neu aufgekommene Problem mit seinem Einser-Goalie (den man bei Cottbus quasi vor die Tür gesetzt hat) hat ihn sensibilisiert.
Das wäre in einer idealen und guten Welt so.
Ich muss nicht weiter ausführen, was ich für realistischer halte.
Und noch eine Reaktion auf eine kritische Nachfrage sei erwähnt: die rhetorische Frage, ob er denn ein Problem mit der Bayern-Bank und Ylli Sallahi habe, beantwortet U21-Coach Werner Gregoritsch mit einem unaufgeforderten Nebensatz hier.
In jedem Fall zeigt sich, dass kritische Nachfrage, dass konkretes Kanalisieren von diffusen Vorbehalten keine Majestätsbeleidigung ist, sondern zu Veränderungen führen kann, selbst wenn es nur eine Finte zur medialen Ablenkung sein sollte. Auch, weil niemand dran gehindert werden kann, mit jedem Tag klüger zu werden.
2) Trauerspiel mit Ansage
Es kommt vor: dass ich mein Geschwätz von gestern betrachte und seltsam finden muss; entweder weil ich klüger geworden bin, oder weil mir einzelne Blickwinkel abhanden kommen. Beides schadet nicht und auch ein entsprechendes Eingeständnis tut wohl.
Im Fall von Sturm Graz ist das leider nicht möglich.
Da war schon im Juli deutlich sichtbar, was immer noch passiert: das nächste Kapitel im Trauerspiel der zum Scheitern verurteilten Coaching-Konzepte. Und letztlich ist angesichts der gestrigen Vorstellung beim Heimspiel gegen den WAC der ausführlichen Analyse vom 29. Juli nichts hinzuzufügen. Immer noch kleben die Sechser wie festgepickt an der Viererkette, immer noch ist Sturms Offensivspiel auch deshalb so berechenbar wie Oliver Pochers Humor-Variationsbreite.
Ich habe im Rahmen einer Veranstaltung, die das Fan-Webmaganzin sturm12 im letzten Herbst organisiert hat, auf die Frage nach der Überwinterungs-Platzierung Rang 8 angegeben; nicht, weil ich wirklich dran geglaubt hatte, sondern um dem anwesenden Publikum, das nur aus Fans bestand, denen bei minimalen Exkursen zu anderen Vereinen oder illustrierenden Vergleichen sichtbar das Gesicht einschlief, die Dimension meiner Befürchtungen klarzumachen.
Heute stehen sie tatsächlich dort. Und auch zurecht, weil in der Winterpause nichts unternommen wurde, um die Talfahrt einzudämmen, weil man wie die Taliban oder andere Fundis allein auf die Kraft des Glaubens setzte: man begnügte sich weiterhin damit, alle schlimmen Dinge am Teufel Hyballa festzumachen, an der unhinterfragten Botschaft des Propheten Milanic festzuhalten, ohne ihre Sinnhaftigkeit oder personelle Umsetzbarkeit zu hinterfragen.
More of the same also.
Und the same heißt: eine verunsicherte Mannschaft, die von einem Trainer mit einem ultraorthodoxen Vorsichtl-Konzept in's falsche Zaumzeug gezwängt wird, matcht sich mit einem leichenbittermienemachenden Vorstand und einer selbstvergessenen organisierten Fan-Öffentlichkeit sowie lokaler Medien-Inkompetenz um Platz 1 in den Verdrängungs-Charts.
Küchenpsychologisch könnte man auch sagen: solange sich die Beteiligten nicht ihre Mitschuld an allem, was in den letzten Jahren passiert ist, eingestehen und sich weiter an einem Buhmann abputzen wollen, sind sie zum Wiedergängertum verdammt. Und solange sich die Betonschädel-Front jener, die die Milanic-Taktik nicht aus fachlichen Gründen, sondern aus reinem Bestemm unterstützen, nicht besinnt, wird eine inkompatible Mannschaft an ihr und ihnen zerbrechen.
Solange die vielen unforced errors von heute an einer mythologisierten Schuld von gestern festgemacht werden, ist Heilung ausgeschlossen.
Und noch ein Geschwätz von gestern.
Am 17. Juli habe ich hier angemerkt, dass ich, wenn die Saison nicht rund läuft, auch mittelfristige Zuschauer-Proteste bei Sturm erwarte. Ich habe mich damals (auch von sturm12-Seite) als ahnungsloser Ferndiagnostiker, der völlig Unmögliches an die Wand male, hinstellen lassen müssen und bin in Mails als Volldepp beschimpft worden
Jetzt sind sie da.
3) Der Salzburger Traum-Fußball und die Folgen
Johann Skocek war empört. Das geht gar nicht: "Fußball-Österreich wird an Salzburg genesen. Fußball-Österreich wird durch Salzburg umkommen.", also "Aufklärung a la es wird tag oder es wird nacht", das, so twitterte er, sei eben der sogenannte "krachkritische internet-jounallismuus". (Ob das Doppel-U ein Gag sein soll oder nicht, weiß ich nicht).
Nun, für jeden des Lesens Mächtigen bezog sich zweitere Headline auf die Weigerung des SV Grödig, sich infrastrukturell adäquat aufzustellen, was anlässlich einer Tribünen-Panne gerade besonders peinlich war, aber durchaus typisch für den provinziellen infrastrukturellen Zustand der Vereine dieses Landes ist. Bei Fortschreibung dieser Entwicklungen ist der Untergang möglich.
Erstere Schlagzeile bezog sich auf ein sportliches Narrativ, die Entwicklung der Red Bull-Truppe. Und auch hier ist, in die Zukunft gedacht, eine Genesung möglich, rein sportlich.
Da alle außer Skocek die Differenzierung verstanden haben, freue ich mich über das erste, heute erfolgte, best practice Beispiel: Rapid Wien hat sich mit einer famosen Leistung gegen ebenjene unbesiegbaren Salzburger für 90 Minuten in dieselbe Dimension begeben und zumindest für einen Abend lang erkannt, was möglich ist. Barisic' Truppe versuchte mit einer kleinen Kopie des Salzburger Pressings, den möglichen Schwachpunkt (Rodnei) weichzuspielen, bekannte sich zu klugen Vertikal-Aktionen, zu feinem Flügelspiel und zu harten Abschlüssen aus unübersichtlichen Gegenden in der zweiten Reihe. In der 2. Halbzeit war Rapid lange Zeit auf Augenhöhe mit dabei. Gerade einer solchen, im Aufbau befindlichen Mannschaft gibt eine derartige, jetzt schon ein wenig legendäre Begegnung genug Nachdenk-Stoff, um sich nicht davon abbringen zu lassen, sich auch in genau dieser Hemisphäre etablieren zu wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Behrendt, Wydra, Petsos oder Schaub, um die aktuellen Hoffnungsträger zu nennen, dieses Ziel in den nächsten Jahren aus den Augen verlieren werden.
Das nenne ich Genesung.