Erstellt am: 1. 3. 2014 - 17:15 Uhr
Schöner leben ohne Werbung?
Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Als Werbeflächen der Zukunft gelten leuchtende LED-Plakate mit bewegten Bildern. In Zukunft könnten sie sich mit dem Smartphone verbinden und dann personalisierte Werbung schalten. Aber schon jetzt ist es eine Zumutung, wenn dumme, sexistische Werbung großflächig im öffentlichen Raum plakatiert wird.
Dieser Meinung sind nicht nur in Kreuzberg immer mehr Menschen und einige davon haben sich in der Initiative „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“ zusammengeschlossen, um an so etwas wie der Utopie einer werbefreien Welt zu arbeiten.

Palmers
Zum Thema Werbung haben auch die Grünen in Kreuzberg einen Antrag gestellt, darin heißt es: "Das Bezirksamt wird beauftragt, die Präsentation von sexistischer, diskriminierender und frauenfeindlicher Außenwerbung auf bezirkseigenen Flächen zu untersagen".
Bei dem „Werbeverbot“ in Kreuzberg geht es um vier bezirkseigene Flächen.
Seither wird in Berlin eine Debatte über das Kreuzberger „Werbeverbot“ geführt und es hagelte deutliche Kritik aus der Öffentlichkeit, vor allem aus jenem Teil der Öffentlichkeit, der aus den Blättern der Springer -Presse besteht. Dort fühlt man sich an die Zensur in DDR-Zeiten erinnert und sieht die Grünen im Regulierungswahn, weil sie ein Frauenbild vorschreiben, das die Partei beschlossen hat.
Aber auch das bürgerliche Feuilleton sieht die Freiheit in Gefahr, und sei es nur die Freiheit, nackte Frauen sich auf Motorhauben räkeln zu lassen, um für ein Auto zu werben.
Auch der Berliner Kolumnist Harald Martenstein, der die Leser im Berliner „Tagesspiegel“ und dem Wochenmagazin „Die Zeit“ regelmäßig mit seinen konservativen Beobachtungen amüsiert oder bestätigt, sieht in Kreuzberg nordkoreanische Zustände und im Bezirksamt Kreuzberg einen Wächterrat der Taliban am Werke.
Martenstein, der sich zuvor bereits über Genderforschung und die Errichtung von All-Gender-Toiletten erregt hatte, weil er in beidem keinen Sinn erkennen kann, bekommt viel Beifall für seine Thesen. Er schreibt stellvertretend für die sich für schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Männer, die die Welt nicht mehr verstehen. Männer, die sich benachteiligt fühlen, weil sie keiner benachteiligten Minderheit angehören, aber ständig betonen wie liberal, aufgeschlossen und aufgeklärt sie sind. Diese Männer sind bestimmt für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung, haben aber das Gefühl, dass es jetzt langsam mal reicht. Sie spüren, dass sie einer aussterbenden Spezies angehören und schreiben gegen den drohenden Machtverlust mit diesem ignoranten Haben – wir - denn-keine-andere-Sorgen-Gestus an.

sohostels
Die berühmte Frage nach den anderen Sorgen wird seltsamerweise aber immer nur gestellt, wenn es um Sexismus, Schwulen- und Lesbenrechte, Rassismus in der Sprache und Genderdebatten geht.
Andere, weniger populistische Stimmen argumentieren gegen das Werbeverbot mit dem Verweis auf die Freiheit der Kunst und Werbung, mit der Sorge vor einem Regulierungswahn und einer Vielzahl von neuen Verboten: „ Neue Hotels und Ferienwohnungen hat der Bezirk Kreuzberg schon verboten, was kommt als Nächstes?“
Und ja, wer weiß, was den Grünen noch alles einfällt? Verbot von Alkohol- und Nitkotinkonsum in Parks und an öffentlichen Plätzen? Autoverbot in der Innenstadt? Bioladenpflicht?
Donnerstag abend wurde im Kreuzberger Rathaus mal wieder über‘s Werbeverbot diskutiert, eingeladen waren auch eine Vertreterin des deutschen Werberates und eine Pinkstinks- Aktivistin. Letztere führte aus, dass es um die Vermittlung von Stereotypen in der Werbung gehe. Wenn Werbung ausschließlich perfekt geformte weibliche Körper zeige, trage sie eine Mitschuld daran, dass inzwischen ein Drittel aller Mädchen an Essstörungen leiden. Auch der Werberat kämpfe seit 40 Jahren gegen sexistische und geschlechtsdiskriminierende Werbung, führte dessen Vertreterin aus.
Die kritische öffentliche Debatte über das geplante Verbot sexistischer Plakate auf bezirkseigenen Werbeflächen zeigte aber Wirkung. Man beschloss, auf die amtliche Vorabzensur zu verzichten. Wenn aber sexistische Werbung publiziert wurde oder Beschwerden von Bürgern dazu eingehen, soll das Bezirksamt die beanstandeten Plakate nachträglich prüfen.
Schön wäre es, wenn sich einfach so, organisch, ohne Beschlüsse und Verbote im Großteil der Bevölkerung ein Bewusstsein durchsetzen würde, dass man und frau und alle anderen Geschlechter einfach keine sexistische Werbung im Straßenland mehr sehen wollen.