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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 2. 2014 - 15:26

The daily Blumenau. Friday Edition, 28-02-14.

Zwei überraschende und dann doch logische Personal-Entscheidungen. #timrenner #martinehrenhauser

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

Tim Renner: Ein anderer Kultur-Motor für Berlin

#machtpolitik #kulturpolitik

Es war wohl die Sickermeldung des gestrigen Tages; zumindest für alle Popkultur-Interessierten. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, politisch ein Dead Man Walking, präsentierte eine überraschende Lösung in der Nachfolgefrage seines (wegen einer Steueraffäre zurückgetretenen) Kulturstaatssekretärs; er nominierte Tim Renner den umtriebigen, auch bis nach Österreich bekannten Musikmanager.

Renner hat sich nach seiner Zeit als Young Gun bei Universal (davor Polydor) mit seiner Firma Motor Music selbstständig gemacht und sich dabei sehr aktiv im Feld der deutschen alternativen Rockmusik bewegt. Stichworte: Rammstein, Rainer Von Vielen, Virginia Jetzt. Der von ihm gegründete Sender Motor FM gefiel vielen, mir war er immer zu viel Abspielfläche für eigenes Zeug - der (rennerlose) Nachfolgesender Flux FM macht mir den deutlich aufgeräumteren Eindruck.
Man sieht schon: ich schaffe es nicht Renner objektiv entgegenzutreten. Denn in der Detailbetrachtung bleibt vieles, was der alerte Manager angepackt hat, zu hibbelig, er agiert wie ein Quirl mit zu hoher Drehmoment-Zahl.

Renner ist aber auch und vor allem ein Repräsentant einer Szene oder besser eines Kulturbereichs, der sowohl im Feuilleton als auch im kreuz&quersubventionierten Hochkultur-Dickicht nicht oder nur als falschverstandenes Beispiel vorkommt. Er ist ein Praktiker, der Themen wie künstlerische Präkarisierung oder Kulturflatrate auch in ihren Auswirkungen versteht.

Und natürlich ist es ein Scoop, wenn Wowereit so jemanden zum Chef über den Kulturbetrieb seiner Stadt macht. Denn: so hip, jung und sexy sich die deutsche Hauptstadt auch gibt, die Agenden des Staatssekretärs umfassen hauptsächlich das Alteingesessene: Oper, Theater, Museen, klassische Hochkultur halt. Dorthin fließen die Gelder, die Berlin (sexy und arm) ohnehin nicht hat und die immer noch der eigentliche Kultursenator übersieht; und das ist Wowereit geschickterweise selber.

Dass sich Renner in seiner Antritts-PK auf Musik-Beispiele ("Für mich ist Kultur alles zwischen Barenboim und Berghain oder zwischen Radial-system und Rammstein") beschränkt hat, ist ein lässlicher Anfängerfehler.

Insofern ist die Platzierung von Renner als Projektmacher für die Stadt der Kreativen als "kluger, umgänglicher und gewinnender Mann" eine nicht-piefige Lösung und ideentechnisch um Lichtjahre voraus. Und die Bild-Zeitung kann sich nicht beherrschen und schreibt Kultur jetzt Cool-tur.

In dieser Hinsicht kann Österreich von Deutschland, kann Wien von Berlin einiges lernen: es müssen nicht immer Figuren mit miefigem Stallgeruch sein, manchmal schadet auch ein echter Experte mit einem ganz anderen Blick nicht.

Und: man muss auch solche Scoops langfristig vorbereiten. Hierzulande gibt man den Quereinsteigern eine Stunde Bedenkzeit ehe man sie zu Gedöns-Ministern erhebt.
Auch wenn Renners Ernennung auch so wirken mag: so lässig-locker-impro-mäßig ist nur Wowereits öffentliches Image, nicht Wowereits Handeln und seine Politik; Tim Renner ist bereits im November der SPD beigetreten und war seitdem als schnell zu aktivierende Reserve geparkt.

Martin Ehrenhauser: ein Liberaler fürs linke EU-Wahlbündnis

#eu-wahl #machtpolitik

Wie lange das Wahlbündnis Europa Anders seinen Scoop vorbereitet hat, gilt es noch herauszufinden.

Ich will an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass mich nach meiner kritischen Einschätzung der neuen Allianz einige Reaktionen aus dem inneren Kreis eine der betreffenden Parteien erreicht haben, die intern ähnliche Bedenken hatten, sich aber nicht durchsetzen konnten und so in einer Art inneren Emigration gelandet waren.

Nach der unendlich patscherten Präsentation einer inhaltlich windschiefen Allianz zwischen den Piraten, der altlinken KPÖ und dem neolinken Der Wandel, wird morgen, beim Gründungs-Kongress - sofern alles klappt - ein echter EU-Abgeordneter zum Spitzenkandidaten gemacht werden: Martin Ehrenhauser, vormals Hans-Peter Martins Sekretär und seit dem Zerfall der Martin-Liste (nicht vergessen: die waren dank kräftiger Kronenzeitungs-Unterstützung 2009 Dritter, hinter VP und SP, aber vor der FP, der sie die Proteststimmen abgenommen hatten) fraktionsloser, aber nicht inaktiver Abgeordneter mit den Schwerpunkten Korruption und Überwachungsstaat.

Ehrenhauser macht sowohl in seiner PR als auch in seriösen Diskussionssendungen gute Figur, argumentiert besonnen und verständlich.
Und angesichts der absurden Drängerei, die bei der EU-Wahl im Mai am rechten Rand stattfinden wird (wo sich neben FPÖ, Ewald Stadlers Rekos, HPMartin nun auch das BZÖ einfindet, mit einer Spitzenkandidatin, die offenbar an die Ermordung ihres Vaters, eines ehemaligen Landeshauptmannes, glaubt), tut eine linkspopulistische Alternative Not.

Ob und wie ein ehemaliger liberaler Studentenfunktionär, der von seinem Mentor, dem, ideologisch schwer vermittelbaren Hans-Peter Martin, über seltsame Wege auf sein Mandat gehievt wurde diese Rolle einnehmen wird können, sei einmal dahingestellt.

Eine gewisse Medienöffentlichkeit hat sich schon ergeben und in einem Interview spricht Ehrenhauser ganz direkt FPÖ-Wähler an

Und dass hinter dem sanften Äußeren des Kandidaten, durch dessen Antreten sich das junge Bündnis den Unterschriften-Marathon um überhaupt antreten zu dürfen sparen könnte, ein mit allen Mitteln kämpfender Polit-Profi steckt, dürfte durch diese Aktion einigermaßen illustriert werden.

Allerdings lauert morgen, beim Gründungs-Kongress von Europa anders eine gefährliche Hürde. Denn Ehrenhauser muss erst von den Delegierten gewählt werden. Und gerade im linken Spektrum (alte K-Gruppen-Tradition...) und bei den Piraten ist es mehr als Usus Kandidaten mit Promi-Bonus besonders hart anzufassen bzw justament nicht aufzustellen, um so möglichst viel Basis-Treue zu demonstrieren. Um Ehrenhauser (und somit die vereinfachte Kandidatur der Liste) überhaupt einmal durchzubringen (noch dazu in einem heterogenen Haufen erstmals aufeinandertreffender) bedarf es einer Parteitagsregie a la House of Cards. Ja, das ist schiache Machtpolitik, aber auch die einzige Möglichkeit im Konzert der echten Parteien mitspielen zu können; und somit die erste echte Prüfung für ein neues linkspopulistisches Konzept in diesem Land.