Erstellt am: 28. 2. 2014 - 12:02 Uhr
NYPD goes YouTube
New York Times Reportage: Seeking Clues to Gangs and Crime, Detectives Monitor Internet Rap Videos
Kein Trenchcoat, keine Zigarre, kein Fluch auf den Lippen. Der Crime Reporter David Goodman von der New York Times ist eher so der Edward Snowden/Ezra Klein-Typ. Bebrillt, seitengescheitelt und sanft auftretend. Goodman und sein Kollege Joseph Goldstein veröffentlichten im Jänner eine aufregende Story über eine neue Ermittlungsmethode des New York Police Department (NYPD). Die beiden sind dafür weite Wege gegangen und tief in den DIY-Rap-Underground Brooklyns eingetaucht. Und deshalb beantwortet David an diesem kalten Februarvormittag im Cafe Katja in der Lower East Side auch meine Fragen.
Großartige Erfolgsbilanz. Ruf im Eimer
Das NYPD ist in einer Phase der Transformation, sagt er, die Cops sind sind sehr stolz auf ihre Arbeit. New York war lange Zeit die gefährlichste Stadt Amerikas. Heute können Millionäre und Touristen unbehelligt über den Broadway spazieren. Doch dann kam dieses Gerichtsurteil. Das war wie ein Schlag in die Magengrube.
Goodman spricht vom Stop-And-Frisk-Case. Im vergangenen Sommer wurde die umstrittene Anhaltungspraxis des NYPD von einem Gericht als rassistisch und daher verfassungswidrig eingestuft. Man hatte herausgefunden, dass die auf Verdacht durchsuchten Menschen zu 90% Schwarze oder Latino-Jungs waren, die sich absolut nichts zu Schulden kommen haben lassen. In einem Interview mit Latetia James, der Nachfolgerin Bill de Blasios im Amt des Public Advocat, hat mir die Demokratin letzten Dezember erklärt, dass es vermutlich keine schwarze Familie in New York gibt, die in den letzten Jahren nicht mindestens ein Mal von Stop-And-Frisk betroffen war.
rapzag
Während der scheidende Bürgermeiser Michael Bloomberg und sein Polizeichef Ray Kelly die NYPD-Praxis im vergangenen Herbst noch verteidigten – immerhin ist die Sache auf ihrem Mist gewachsen – sprach sich der künftige Bürgermeister Bill de Blasio entschieden für eine Reform und Überwachung der berühmtesten Polizeibehörde der Welt aus. Die Stop-And-Frisk-Methode war mittlerweile so unpopulär, dass "New York's finest" in der öffentlichen Wahrnehmung zu "New York's most hated" mutierten.
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Die Moral der Cops ist am Boden, so David Goodman. Der neue Polizeichef hat nun die schwierige Aufgabe, das Sicherheitslevel zu halten und den ramponierten Ruf des NYPD wiederherzustellen.
Ein Weg dorthin hört auf den Namen "Operation Crew Cut". Anstatt Kids, die wegen ihrer Hoodies, Hautfarbe oder Art zu gehen in den Augen von Street Officers "verdächtig" wirken, von der Straße zu ziehen, wird die Verbrechensbekämpfung wieder fokussierter angegangen.
Operation Crew Cut
Obwohl die Schießereien in der Stadt rapide abgenommen haben, hat das NYPD herausgefunden, dass es gewisse High Crime Pockets gibt, wo sie konstant hoch geblieben sind. Ich spreche von Problembezirken wie Brownsville oder East New York in Brooklyn, so Goodman. Und weiter: Die Shootings finden zwischen rivalisierenden Gangs oder Sets statt, wie man diese Cliquen auch bezeichnet. Wir haben es dabei mit einer neuen Form von Bandenkriegen zu tun. Diese Kids sind überwiegend Teenager. Es geht um Territorialansprüche und Respekt und nicht mehr um Drogenhandel und organisierte Kriminalität wie noch bei den Crips und Bloods. Leider enden diese Neighborhood Fights oft tödlich.
Diese Kids sind die vergessenen Kinder New Yorks. Sie passen nicht in das saubere und sichere Image der Bloomberg Ära. Dabei ist Brownsville mit seinen tristen Sozialbauten schon seit Mike Tysons Kindheit und davor ein Hort der Armut, Arbeitslosigkeit und Bandenkriminalität. Keine Woche vergeht ohne News von einem weiteren toten Kid.
Die Auseinandersetzungen der Crews werden von ihren Mitgliedern auf Facebook und Co. akribisch dokumentiert und verbreitet. Rap-Crews und MCs wie Murda Malo von A.T.C. (Addiicted To Cash) funktionieren dabei als Schaltstellen und News Anchors der Hood. In vielen Fällen auch als Propagandaminister oder Überbringer schlechter Nachrichten für andere. Das NYPD sieht sich dieses Messaging via Facebook und YouTube ganz genau an.
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So wie die Musik sind auch die meisten Videos der lokalen Crews qualitativ lo-fi und in Eigenregie hergestellt. Von der Semiprofessionalität der Drill-Szene Chicagos sind die New Yorker Rapper tatsächlich meilenweit entfernt. Die Clips wirken häufig wie Homevideos und zeigen in der Regel Burschen, die gestenreich anderen Burschen Bleep-Würdiges ausrichten oder ihre eigenen Großtaten Bleep-würdig rühmen.
Im Unterschied zu früher, wo es aufwendig und teuer war, Musik herzustellen und zu veröffentlichen, können die Crews heute ihre Geschichten in Echtzeit aufnehmen oder in kürzester Zeit einen Track basteln und anschließend viral verbreiten. Und sie haben auf YouTube eine Öffentlichkeit, die weit über die Hood hinausreicht. Manche der Clips haben über einhundertausend Klicks.
Was ist real, was Fiktion?
Spätestens seit NWA weiß die Pop-Öffentlichkeit, dass man mörderische Texte nur selten wortwörtlich nehmen darf. Bei Gangsta-Raps handelt es sich überlicherweise um Fantasien, Projektionen oder schlicht Prahlerei.
Das NYPD untersucht die Lyrics. Das schon. Aber die Cops wissen auch um die Problematik bescheid. Nicht einmal ein Geständnis wird als ein solches gelesen. Ihnen geht vielmehr darum, in den Clips bestimmte Personen zu identifizieren und ihre Verbindungen zueinander zu untersuchen. Oft ist wichtiger, wen man sieht, als was man hört.
In ihrer Reportage für die New York Times portraitierten Goodman und sein Partner den 21-jährigen Cuame Nelson aka Murda Malo aus Brownsville. Nelson verbüßte bereits zwei Haftstrafen wegen "conspiracy", also Verschwörung, in Zusammenhang mit Gangkriminalität. Beide Male wurde dem Rapper ein YouTube-Video zum Verhängnis. Beide Male landete er im berüchtigten Gefängnis von Rikers Island. Als wir mit ihm gesprochen haben, hat er natürlich seine Unschuld beteuert und auf Freiheit der Kunst plädiert, so Goodman. In seinen Videos verwendet Murda Malo mittlerweile eine Art Disclaimer für den erweiterten Hörerkreis, das NYPD: "It's not a gang, it’s a lifestyle", heißt es dort.
Auch Malos Manager behauptet, A.T.C. sei eine Produktionsfirma und keine Gang. Doch die Polizei will ihnen nicht so recht glauben.
Denn Murda Malo war schon bei den Hoodstarz aktiv. Die Gang gilt als Vorgänger-Crew von A.T.C. Vor drei Jahren hat das NYPD die Gruppe mit einer Großaktion zerschlagen. 40 Mitglieder landeten in Polizeigewahrsam. Den Hoodstarz wurden nicht weniger als sechs Morde und 38 Schwerverletzte durch Schießereien und Messerattacken zur Last gelegt.
Goodman erklärt, dass die "Operation Crew Cut" nur eine Ergänzung, kein Ersatz für die herkömmliche Ermittlungsarbeit des NYPD sein kann. Inwiefern die YouTube-Videos als Beweismittel vor Gericht taugen, wird sich erst in Zukunft herausstellen. Die meisten Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Doch schon jetzt verkauft die Polizei die neue Strategie als Erfolg. Das Programm läuft seit gut einem Jahr und wurde noch unter der Patronanz von Ray Kelly gestartet. 21% weniger Morde in der gefährdeten Altersgruppe der 11- bis 21-Jährigen, lautet seine Bilanz. 25 groß angelegte Fahndungen hätten zu insgesamt 400 Verhaftungen und 20 Täteridentifizierungen geführt. Aufgeklärt wurde u.a. der Mord an dem 14-jährigen A.T.C.-Mitglied Ronald Wallace.
iWitness my Crimes
Die Operation Crew Cut ist natürlich nicht ganz unproblematisch. Doch Kriminalität dort bekämpfen, wo sie tatsächlich passiert, ist allemal besser als scheinbar wahllos junge Bürger auf der Straße hopsnehmen. Man darf auch nicht vergessen, dass die Crews die Videos freiwillig veröffentlichen und so für jedermann zugänglich machen. Da ist auch ein gewisser Narzissmus mit im Spiel, so der NYT-Crime-Reporter. Die Cops wären dumm, diese Quellen nicht zu nutzen. Seit Stop-And-Frisk schaut die Öffentlichkeit dem NYPD ohnehin ganz genau auf die Finger.
Der neue Bürgermeister Bill de Blasio und sein frisch berufener Polizeichef Bill Braton (ein Mann mit Vergangenheit) haben bei ihrer Antrittsrede angekündigt, auch in Zukunft auf "sanfte" Methoden wie die Operation Crew Cut zu setzen. Ob die DIY-Clips von Outfits wie Dub Gang, A.T.C. oder Dub City aufgrund ihres selbst inkriminierenden Inhalts wieder aus den digitalen Kanälen verschwinden, wird die Zukunft weisen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Internet-Cops nicht die gleichen Fehler begehen wie ihre Kollegen auf der Straße und dass das "policing" nicht die einzige Initative ist, die den neuen Machthabern in der City Hall zu den Kids von Brownsville einfällt.
Für den HipHop-Feldforscher bieten die Clips jedenfalls einen faszinierenden Einblick in den aktuellen Gangsta-Rap-Underground und seine Umfeldbedingungen. Diese Art von "Black CNN" ist rauer, direkter, aber auch beunruhigender, als sich das Chuck D. wohl je vorgestellt hat. Denn außer der Polzei und den Gangs selbst, scheint das niemanden so wirklich zu kümmern.