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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

1. 3. 2014 - 14:01

Einmal Kriegsbegeisterung und zurück

Jean Echenoz schafft mit seinem Roman "14", woran andere Schriftsteller scheitern: dem Ersten Weltkrieg etwas Neues abzugewinnen.

Es ist ein schöner Samstag Nachmittag im August, als die Sturmglocke der Kirche läutet, ein Signal, das Anthime unmittelbar richtig deuten kann: Mobilmachung. Der Staat ruft die jungen Männer zu den Waffen, ein Ruf, dem sie voller Begeisterung nachkommen. Sie wollen Uniformen und Waffen tragen und dem Feind einen Denkzettel verpassen. „Nach Berlin“ schreiben sie auf die Lok, die sie an die Front bringen soll. Die ganze Stadt verabschiedet sie am Bahnhof unter Jubel, Hut- und Taschentuchgewedel und zu den Klängen der Marseillaise. Jean Echenoz lässt seinen Roman „14“ mit der Kriegsbegeisterung beginnen, die schon viele vor ihm in Wort und Bild gebannt haben.

Die Schriftsteller und der Krieg

Was kann man noch über ein Ereignis schreiben, das schon aus hunderten Blickwinkeln beschrieben worden ist, und das vor-, gleich- und nachzeitig? In allen Ländern, die in den Ersten Weltkrieg involviert waren, beschrieben die Schriftsteller den Krieg, ob als Kriegspropagandisten oder -gegner, euphorisch oder als Realisten. In Frankreich brachte der Erste Weltkrieg den écrivain combattant hervor, den schreibenden Kämpfer. Hunderte französische Schriftsteller fielen in den vier Kriegsjahren auf den Schlachtfeldern. Die meisten französischen Literaturpreise, auch der renommierteste unter ihnen, der Prix Goncourt, gingen in diesen Jahren ausschließlich an Kriegsteilnehmer. Ausgezeichnet wurden vor allem Texte, die sich an der Wirklichkeit des Krieges messen ließen, und von denen gibt es hunderte. Viele der Schriftsteller, die dem Ersten Weltkrieg noch etwas Neues oder Interessantes abgewinnen wollen, sind ob der Fülle an erstklassigen Texten darüber zum Scheitern verurteilt. Nicht Jean Echenoz, Prix Goncourt-Preisträger von 1999.

Zeitraffer und Pausetaste

Buchcover von Jean Echenoz "14"

Hanser Verlag

"14" von Jean Echenoz ist in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Hanser Verlag erschienen.

Schon mit dem Titel seines Romans deutet Echenoz sein literarische Herangehensweise an: „14“ signalisiert Verdichtung. Echenoz lässt den Krieg im Zeitraffer ablaufen und bleibt bei Szenen stehen, die sich in das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft eingebrannt haben: Die Mobilmachung, die Kriegsbegeisterung in Erwartung eines kurzen Abenteuers, ernüchternde erste Fronterfahrungen etc. Diese Szenen beschreibt Echenoz dann überaus detailliert, allerdings mit literarischer Leichtigkeit.

So lässt er die frontunerfahrene Truppe in ihrem ersten Gefecht von einer Regimentskapelle begleiten, was sich bald als Fehler herausstellt. Der Arm des Baritonhorns erhält bald einen Durchschuss, die Posaune fällt übel verwundet, später auch die Flöte und das Althorn. Beim Appell nach der Schlacht wird klar, dass auch einer der Klarinettisten gefallen ist, die große Pauke samt Instrument über den Haufen geschossen worden ist und dem zweiten Flötisten eine Hand fehlt. Insgesamt hat die Kompanie in ihrer ersten Schlacht 76 Mann verloren.

Es gibt nur einen Ausweg

Die naive Begeisterung der Rekruten für den Krieg geht auf dem Schlachtfeld rasch verloren. In den Schützengräben macht sie der Langeweile und dem Alltag Platz. Das Leben der Soldaten besteht aus Putzen, Schanzarbeiten, Wachgängen, Zeremonien, Bombardements und Sturmangriffen. Sie sind müde, haben Hunger und Durst. Alle wollen nur mehr raus, aber dem Krieg entgeht man nicht einfach so.

Eingeklemmt zwischen Feind und Feldgendarmerie, inmitten von Ratten und Flöhen sind die einzigen Auswege aus dem Schützengraben der Tod oder die Frontuntauglichkeit. Falls der Feind nicht für die ersehnte passende Verwundung sorgt, helfen die Soldaten oft selbst nach, was allerdings selten unentdeckt bleibt. Statt von gegnerischen Gasen, Flammenwerfern oder Bomben werden sie dann von den eigenen Leuten wegen Hochverrats verurteilt und erschossen..

Das Ende der Faszination

Niemand von Jean Echenoz Protagonisten mit den herrlich antiken Namen Anthime, Padioleau, Bossis und Arcenel kommt heil nach Hause zurück. Und auch in diesem Zuhause ist die Welt nicht dieselbe geblieben. Eine Frau bekommt ein Baby ohne Vater, Kinder gehen arbeiten und eine Fabrik profitiert vom Krieg. Was diesen Krieg ausgelöst hat oder wie er verläuft - das große Bild - darauf verzichtet Echenoz. Echenoz beschreibt nicht einmal, in welchen Beziehungen seine Protagonisten zueinander stehen, das müssen seine LeserInnen erahnen. Stattdessen konzentriert er ganz sich auf die Faszination des Krieges und unterspült deren Fundamente Kapitel für Kapitel stärker.

Das beginnt schon in den ersten Kapiteln, als er andeutet, dass die Beschreibung der Abfahrt der Soldaten heute als Fresko im Pariser Gare de l'Est hängt, setzt sich fort in den kuriosen Schlachtszenen mit Kapelle und kulminiert in dramatischen und bilderreichen Schilderungen von der Front, die Echenoz aber gleich darauf als „schon tausendfach beschrieben worden“ entzaubert, als gar nicht mehr wert, sich damit zu beschäftigen.

Später streut Echenoz auch noch Vergleiche des Schneefalls mit Granatenhagel ein, Glückwünsche und Begeisterung für einen verlorenen Arm, einen lebenden Ochsen, dem stehend Kotelettes entnommen werden und die Ergänzung des soldatischen Speiseplans mit Füchsen, Raben, Maulwürfen oder Igeln.

Insgesamt braucht Echenoz nur 124 Seiten, um den Krieg in seiner ganzen Absurdheit und Perversion darzustellen und dafür muss er nicht einmal besondere Schreckensbilder entwerfen. Um seinen Roman abzurunden deutet Echenoz noch ein Happy-End für seinen Protagonisten Anthime an. „14“ ist ganz große Literatur.