Erstellt am: 27. 2. 2014 - 12:00 Uhr
Whistleblower Pop
Andrew O'Hagan ist sauer. Der schottische Schriftsteller hat im London Review of Books sein allzu persönliches Abenteuer mit WikiLeaks-Chef Julian Assange dargeboten, ein lesenswerter Text, der Einblicke in die Arbeitsweise zeitgenössischer Biographieproduktion gibt.
O'Hagan hätte im Auftrag des Verlags Canongate Assanges offizielle Autobiographie schreiben sollen, vollkommen anonym, sein Name wäre nirgends im Buch erwähnt worden. Das Projekt ist bekanntlich böse gescheitert, der Autor schreibt dies dem erratischen Verhalten Assanges zu, der am Ende gar keine Biographie von sich mehr gedruckt sehen wollte.
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Cumberbatch Processing
Anders als viele Rebellen vor ihnen sind die wichtigsten Protagonisten der jüngsten Whistleblower-Welle, Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden nicht zu Pop-Produkten umformatiert worden. Dabei mangelte es keineswegs an entsprechenden Versuchen, von zahllosen Internet-Memes bis hin zum WikiLeaks-Movie, in dem kein Geringerer als Benedict Cumberbatch den Assange gegeben hat.
Wenn O'Hagan beschreibt, wie unwohl sich Londons Kulturproduzenten in Assanges Gegenwart gefühlt haben, wird klar, dass hier das alte "Radical Chic"-Muster nicht mehr funktioniert. Die Protagonisten der Kulturindustrie wollen vom Nimbus des Alpha-Hackers naschen, aber es geht nicht. Warum sind Whistleblower nicht Pop?
Falsche Fragen
Weil sie Nerds sind? Das mag auf Snowden und Manning zutreffen, aber nicht auf Assange, der zumindest eine zeitlang versucht hat, sein Selbstbild über den Umweg der Massenmedien bestätigt zu bekommen.
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Weil sie moralisch gleichzeitig rigide und ambivalent sind? Den Geruch des Verrats nicht abschütteln konnten? All das gilt auch für Batman.
Weil Pop als Integrationsmechanismus der späten westlichen Industriegesellschaften ausgedient hat und schlicht nicht mehr smart genug ist, jedes auftretende Phänomen schnell profitabel zu machen und damit zu neutralisieren? Mag sein, aber der Energieschub durch WikiLeaks und Konsorten hätte den anämischen Pop doch beleben sollen. Es gab aber keinen Auftritt von Madonna als Julian Assange, alle vorhandenen Punks blieben so daft wie nur möglich. Monetarisiert wurden die Leaks sehr wohl, aber die Protagonisten gingen nicht in Gleichklang mit dem Mediensystem, selbst wenn sie es zeitweise zu bedienen suchten, wie Assange.
Im Herz der Produktionslogik
Es liegt vielmehr daran, dass ihre Tätigkeiten quer zur Produktionslogik einer Unterhaltungsindustrie stehen, die vorher auch die Images von Akteuren wie Mao Zedong und Ernesto "Che" Guevara weiterverarbeiten, integrieren und nach situationistischer Manier zu Markenzeichen umdrehen konnte. Denn der Entertainment-Komplex lebt in erster Linie davon, aus exklusiven oder mittels rechtlicher Bestimmungen verknappten Datenbeständen das Maximum herauszuholen, worin sie den Geheimdiensten nicht unähnlich ist. Die Konfiguration "Olympia in Russland" mag schon fast eine Karikatur dieser Umstände darstellen.
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Der Whistleblower gleicht die Differenz zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit aus, legt damit den Antrieb sowohl des militärischen als auch des kommerziellen Teils der Informationsgesellschaft lahm. Er knackt mit einer einzigen Aktion die Exklusivitätsmechanik und greift damit die gemeinsame Geschäftsgrundlage von Geheimdiensten, organisiertem Großsport und Pop-Trash an, deswegen kann er für die Teilnehmer an diesen Systemen niemals ein echter Held sein, für sie muss er sich sogar dann noch spröde anfühlen, wenn er ganz offiziell als Superstar behandelt wird und alle Aufmerksamkeit auf sich konzentriert.
Endstation Exklusion
Akteure, die sich weigern, das Gefälle zwischen Geheimnis und kontrollierter Öffentlichkeit zu bewirtschaften und "actionable intelligence" einfach gratis und ohne präzise definiertes Ziel herauslassen, kann die Popindustrie mit ihren bewährten Methoden offenbar nicht assimilieren und reibungslos in ihren Produktionsprozess integrieren. Denn die zu integrierende Person ist selbst die Unterbrechung, sie zur leeren Marke zu machen, würde nur die Störung reproduzieren und verstärken. Als Ausweg bleibt nur noch die Exklusion dieser zu Fehlern degradierten Menschen.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb oft nur die blanke Aktion des Geheimnisverrats zu den Teilnehmern an den Mediensystemen durchdringt, die warnende politische Botschaft der Whistleblower aber viel zu selten Gehör findet.