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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

26. 2. 2014 - 17:33

Netflix und die Frage der Netzneutralität

Beim Deal mit dem führenden US-Internetprovider Comcast hat der Videostreaming-Dienst Netflix nur "Datenspediteur" und "Lieferzentrale" gewechselt - zum eigenen Vorteil.

Die für Montag im Industrieausschuss (ITRE) des EU-Parlaments angesetzte Abstimmung über die Verordnung zum Telekom-Binnenmarkt wurde überraschend um zwei Wochen verschoben. Der angeblich Grund dafür - fehlende Übersetzungen - wird von Beobachtern jedoch sehr bezweifelt.

Parallel zur Kontroverse über die sogenannte Netzneutralität in Europa - die Gleichbehandlung aller Daten durch die Internetprovider - kam die Nachricht aus den USA. Am Sonntag Abend wurde die ebenfalls überraschende Einigung zwischen dem Videostreaming-Dienst Netflix und dem Internetprovider Comcast verkündet. Netflix werde eigene Videoserver im Netz von Comcast aufstellen, hieß es, um die Qualität seiner Videos im Comcast-Netz zu verbessern.

Was auf den ersten Blick wie ein klarer Fall von Verstoß gegen die Netzneutralität aussieht, und von Journalisten beiderseits des Atlantiks vorschnell als solcher bezeichnet wurde, da Netflix Comcast ja für die bevorzugte Übertragung seiner Videos bezahle, ist aber keiner. De facto hat Netflix nämlich nur seine "Datenspedition" gewechselt und das "Auslieferungslager" für seine Videos näher zu den Kunden verlegt. Mit etwa 30 Millionen Kunden ist Comcast der bei weitem größte Anbieter von Internetzugängen für Endkunden in den USA. Die konkrete Gefahr dabei ist, dass europäische Internetanbieter - in erster Linie die eingesessenen Telekoms - dies als Präzedenzfall deklarieren werden, um alle Anbieter von Videostreams zusätzlich abzukassieren.

"Spezielle Services" in Europa

Die aktuelle Version des Entwurfs der EU-Verordnung enthält einige Passagen, die Schlupflöcher für die Telekoms dafür darstellen, von Content-Anbietern erst recht wieder Geld für bevorzugte Auslieferung des Datenverkehrs an die Nutzer zu verlangen. Beobachter gehen davon aus, dass dies dafür gedacht ist, die ebenfalls vorgesehene Senkung bzw. Abschaffung der Roaming-Gebühren bei Auslandstelefonaten zu kompensieren.

Die Kontroverse in Europa dreht sich um den Sachverhalt, ob nämlich Internetprovider zusätzlich bezahlte, "spezielle Services" von Dritten anbieten dürfen. Das Problem dabei ist, dass bei unveränderter gesamter Bandbreite zum Kunden damit die Videos anderer Streaminganbieter so benachteiligt würden, dass die Konkurrenz dadurch verdrängt würde. Das in praktisch allen europäischen Verfassungen verankerte Recht auf Informationsfreiheit würde dadurch außer Kraft gesetzt.

Carrier und Peering

Die enormen Datenmengen des Streamingdienstes wurden bis dahin über "Datenspediteure" - sogenannte Carrier - wie Cogent, Level 3 oder Limelight ausgeliefert. Diese Carrier wiederum verfügen über sogenannte Peering-Vereinbarungen mit allen Providern, die dann weiter an die Endkunden ausliefern.

Im Fall der DSL-Netze von AT&T und Verizon funktioniert das nach dem gleichen Prinzip wie beim Kabelnetzbetreiber Comcast. Wie der Name sagt, bedeutet Peering, dass beide Seiten den jeweiligen Datenverkehr des anderen als gleichwertig betrachten. Die Bandbreite der Verbindungen zwischen diesen "peer networks" werden іn beidseitigem Einvernehmen entlang des Datenzuwachses ausgebaut.

Das Geschäft mit der Bandbreite

An eben diesem Punkt entsprang die Kontroverse, weil im Fall von Cogent in Richtung Verizon, oder von Level 3 in Richtung Comcast-Netz rasant ansteigende Datenmengen von Netflix daherkamen. Der Upstream, also der Datenverkehr von Comcast-Kunden, der im Gegenzug über die Netze der Carrier abtransportiert wurde, stieg hingegen weitaus langsamer an. Netflix-Videos, die seit kurzem auch in hochauflösender Qualität angeboten werden, sind ausgesprochene Bandbreitenfresser. Zu Spitzenzeiten machen sie fast ein Drittel des gesamten Datenaufkommens in den USA aus.

Deshalb hatten sich sowohl die Telekom Verizon wie auch der Kabel-TV-Gigant Comcast seit Monaten geweigert, bestehende Peering-Verbindungen zu Carriern, die Lawinen an Netflix-Videos daherbrachten, weiter auszubauen. Die Folge war, dass die Qualität der Videos immer wєiter abnahm, Ruckeln und Aussetzer waren die Folge, was für Streaming-Anbieter natürlich tödlich ist.

Die Strategie von Netflix

Netflix hat zwei verschiedene Distributionsmodelle für seine Videos zur Verfügung. Endkunden-Provider können in einer wachsenden Zahl großer Datenzentren andocken, wo Netflix eigene Server unterhält. Damit ist man gestartet, nun werden "Auslieferzentralen" auch direkt in den Netze der führenden US-Provider errichtet.

Obwohl keine näheren Details bekanntgegeben wurden, so ist über die Einigung zumindest bekannt, dass Netflix die Server für jene Kunden, die Internetzugänge von Comcast nutzen, nun direkt im Comcast-Netz betreiben wird. Die "Überlandspediteure" werden damit umgangen, Beobachter gehen davon aus, dass Netflix nun auch nicht wesentlich mehr für die Daten bezahlt. Netflix muss nur sein eigenes Transportnetz bis an die Comcast-Datenzentren ausbauen. Der Streaming-Dienst ist bіs zu einem gewissen Grad nämlich bereits sein eigener Carrier. Wie die ganz Großen - Google, Yahoo, Amazon oder Microsoft - baut Netflix Zug um Zug sein eigenes "Content Delivery Network" aus.

Man mietet also keine kompletten Services, sondern nur die Leitungen, stellt selbst Equipment wie auch Servicepersonal vor Ort und schließt eigene Verträge mit Providern von Endkunden. Das verursacht natürlich höhere Anlaufkosten und geht per se wesentlich langsamer voran, als sich bei den bestehenden Datenzentren und Netzwerken der Carrier einzumieten und von dort zu liefern.

Die Rolle der Carrier

Im Internetgeschäft, wo bekanntlich die Devise "der Schnelle frisst den Langsamen" gilt, geben Carrier-Services und Cloud-Anbieter gerade für Start-Ups den Ausschlag über Scheitern oder Erfolg. Gelingt es, ein neues Angebot für das entsprechende Nachfrage herrscht binnen kürzester Zeit landes- oder gar weltweit anzubieten, dann sind die Weichen in Richtung Marktführerschaft auf dem jeweiligen Sektor bereits gestellt.

Von Facebook oder Twitter angefangen sind praktisch alle Sozialen Netze und Start-Ups so zu ihrer momentanen Größe herangewachsen, die wichtigsten Datenleitungen wurden dann nach und nach selber übernommen. Im Fall von Netflix muss diese Transition einfach schneller vor sich gehen, weil das Datenaufkommen eines solchen Anbieters um ein Vielfaches höher ist, als bei den weitgehend statischen Inhalten etwa von Facebook. Der Datenverkehr des Marktführers bei Sozialen Netzen beträgt in den USA gerade einmal ein Fünftel des Netflix-Aufkommens.

Der anfangs wenig spektakuläre Aufstieg eines netzbasierten Verleihs von Filmen und DVD basierte erst auf dem Postweg. Damit wurden die Grundlagen für die heutige Position von Netflix geschaffen, der Übergang auf netzbasiertes Streaming war gewissermaßen eine logische Folge davon. Mehr dazu in der Wiklpedia

Vom DVD-Verleih zum Streamingdienst

Die zur Finanzierung des Wachstums nötigen Summen sind in der Kalkulation von Netflix natürlich längst enthalten. Die Aktie des als Online-Verleih von DVDs noch vor der Jahrtausendwende gestarteten Unternehmens war seit dem ѕukzessiven Umstieg auf Streamingangebote vor etwa sechs Jahren auf fast 450 Dollar pro Aktie angestiegen, der steilste Zuwachs spielte sich zuletzt in den ersten Wochen 2014 ab.

Die Börsianer hatten ganz offensichtlich schon länger mit dieser technischen Umstellung gerechnet als die breitere Öffentlichkeit. Der Deal mit Comcast, dem weitere mit Verizon und AT&T folgen werden, ist auch in einer weiteren Hinsicht durchwegs nicht typisch für den allgemeinen Internetverkehr. Eine klare Trennung zwischen Inhalteanbietern, Carriern, Telekoms und Kabelnetzanbietern ist überhaupt nicht möglich.

Verschwimmende Kategorien

Vom Angebot her ähnelt Netflix einem Kabel-TV-Betreiber, der allerdings zeitversetzt ausliefert und obendrein das TCP/IP-Protokoll des Internets als technische Grundlage benützt. Comcast ist zwar eine Kabel-TV-Firma, allerdings auch der größte Internetanbieter für Endkunden, die Umsätze basieren dabei auf TV-und Internetdiensten, die nur in Kombination erhältlich sind.

Binnen Jahresfrist hat sich der Aktienkurs von Netflix mehr als verdoppelt. Der steilste Zuwachs war in den ersten beiden Februarwochen 2014 zu verzeichnen.

AT&T und Verizon wiederum sind zwar klassische Telekoms, neben Festnetztelefonie und DSL-Breitbandangeboten sind beide Firmen auch führend in Mobiltelefonie und drahtlosem Breitband. Obendrein gehören sie noch zu den größten Carriern weltweit, über deren transatlantische Leitungen mit hoher Wahrscheinlichkeit große Teile des Netflix-Verkehrs in europäische Staaten transportiert wird, wo Netflix seine Services schon jetzt anbietet.

Netzneutralität, Servicequalität

Der Deal zwischen Comcast und Netflix sowie kommenden, ähnlichen Vereinbarungen mit den US-Telekoms drehen sich also in erster Linie nicht um Netzneutralität, sondern um hohe Servicequalität, die für das Geschäftsmodell von Netflix unverzichtbar ist. Mit der Errichtung von "Auslieferungszentralen" im Nahbereich seiner Endkunden zementiert der haushohe Marktführer Netflix obendrein seine beherrschende Position bei Videostreaming.

Hier wird man in Europa also aufpassen müssen, dass die bestehenden, regionalen Quasi-Monopole der Telekoms bei schnellen Breitbandangeboten nicht dazu führen, dass sich ein einziger führender Anbieter im Bereich Videostreaming aus den USA dazu als neues Quasi-Monopol etabliert.