Erstellt am: 24. 2. 2014 - 18:26 Uhr
Alles über Kokain
fm4.ORF.at/buch
Literaturempfehlungen aus der FM4-Redaktion
Vergangenen Samstag wurde "El Chapo" in Mexiko gefasst. Joaquín Guzmán, genannt "El Chapo", "der Kurze", gilt als der mächtigste Drogenboss der Welt. Der Kopf des Sinaloa-Kartells schmuggelt angeblich acht Tonnen Kokain pro Jahr in die Vereinigten Staaten.
Wenn es ein Problem gibt, geht El Chapo es an und räumt es aus dem Weg, schreibt Roberto Saviano im Kapitel "Krieg um das weiße Öl", eines der ersten Kapitel des fast 500 Seiten starken Buches. Schon zu diesem Zeitpunkt hat Saviano klar gemacht, dass die Verhaftung eines Bosses und seiner engen Entourage zwar ein hart erkämpfter Achtungserfolg für die mexikanischen und US-amerikanischen Behörden ist, den steten Fluss des weißen Öls aber nur geringfügig beeinträchtigen kann. El Chapo war schon einmal in Haft und ist mithilfe eines Wärters in einem Schmutzwäschetransporter ausgebrochen.
hanser verlag
Auch vor "ZeroZeroZero" wusste man um die Brutalität des mexikanischen Drogenkrieges. Saviano verdichtet die Beschreibung, fieberhaft zählt er Namen auf – El Padrino, der Pate, El Hummer, El Barbas, Tarzan, La Marrana ("die Sau"), beschreibt deren Vorliebe für bestimmte Moden oder Frauen, erklärt Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehungen, Rivalitäten, den strategischen Einsatz von Drohungen, Folter und öffentlicher Zurschaustellung von Morden. Mexiko kenne nur einen Verhaltenskodex, schreibt er, die Gewalt.
Man verliert zwar den Überblick und Saviano sich selbst bisweilen im Telenovela-Stil, wird aber unweigerlich in den Bann dieses Wahnsinns gezogen. Das erste Drittel des Buches widmet sich vor allem Mexiko (und Kolumbien) als Produktionsstätte und Ausgangspunkt für den globalen Kokainhandel. Mit seinem sturen Blick in den Abgrund menschlicher Grausamkeit erinnert es an Denis Johnsons Beschreibungen über den liberianischen Bürgerkrieg im Buch "In der Hölle".
Ich habe in den Abgrund geblickt und bin zu einem Ungeheuer geworden, schreibt Saviano. Für Saviano ist der Narcokapitalismus der Motor der Weltwirtschaft und wer Mexiko nicht verstehe, verstehe nicht, wie auf diesem Planeten Reichtum generiert wird. Insofern ist es logisch, dem Narcoterrorismus ins Auge zu sehen.
Literatur oder Journalismus?
In sieben Kapiteln ("Kokain 1-7") zeichnet Saviano die geographischen Hotspots des Kokainhandels und -verbrauchs nach. Er erklärt Gebrauchsformen, Verschnitte, nennt, beziehungsweise überschlägt sich in Zahlen, Daten, Fakten und kommt schließlich zur überraschenden Forderung einer vollkommenen Legalisierung.
Roberto Saviano: "ZeroZeroZero - Wie Kokain die Welt beherrscht", übersetzt aus dem Italienischen von Walter Kögler und Rita Seuß.
"ZeroZeroZero", das sich auf die italienische Bezeichnung von reinem Mehl bezieht, ist kein journalistisches Machwerk über Kokain, es gibt keine Quellenangaben und kein Literaturverzeichnis. Stattdessen ist ein Kapitel im Versmaß geschrieben, ein "Du" taucht auf, mit dem Saviano sich selbst anspricht, es scheint wie im Rausch geschrieben und ist als Leseerlebnis ein nicht zu unterschätzender Trip durch die Welt des Kokains. Dass dabei Kollateralschäden wie Überladung und Sprunghaftigkeit auftreten, ist zu verzeihen. Was man Roberto Saviano allerdings vorwerfen muss, ist, dass er sich für einen großen Literaten hält, der Journalismus betreibt. Umgekehrt wäre es besser.