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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

23. 2. 2014 - 18:25

Netzneutralität auf dem Prüfstand im EU-Parlament

Das Votum über die Verordnung zum Telekom-Binnenmarkt am Montag bringt eine Vorentscheidung, ob das Prinzip der Gleichbehandlung des Internetverkehrs ausgehebelt wird.

Am Montag tritt der Industrieausschuss (ITRE) des Europäischen Parlaments zusammen, um über den Entwurf einer Verordnung für einen "gemeinsamen Markt in der elektronischen Kommunikation" abzustimmen. Besser bekannt ist diese Novelle zur Regulierung des Telekom-Binnenmarkts für einen Teilbereich, das Gebot zur sogenannten Netzneutralität. Das bedeutet, Telekoms, Mobilfunker und Kabelnetzanbieter dürfen den allgemeinen Internetverkehr nicht entlang eigener Geschäftsinteressen manipulieren, Dienste dürfen also weder priorisiert noch gebremst ausgeliefert werden.

Update 2014 02 24 13:00
Kurz nach der Publikation des Artikels wurde bekannt, dass Netflix eingewilligt hat, Comcast für die problemlose Übertragung seiner Streamingdienste zu bezahlen. Netflix hat damit seine bisherige Peering-Politik umgestellt. Analyse folgt.

Mitte der Woche hatte es so ausgesehen, dass am Montag im ITRE eine stabile Version des Entwurfs vorliegen würde. Der Entwurf hatte davor bereits vier andere Parlamentsausschüsse passiert, in denen eine Reihe von Passagen geändert oder gestrichen wurden, die das bisherige Regime der Gleichbehandlung des Internetverkehrs auf den Kopf gestellt hätten.

"Spezialisierte Dienste"

Die Schlüsselphrase dafür ist "spezialisierte Dienste". In Rezital 50 des Entwurfs heißt es dazu: "Anbieter von Inhalten, Anwendungen und Diensten sollten auch weiterhin frei sein, spezielle Servicevereinbarungen in definierter Qualität abzuschließen, solange solche Vereinbarungen die allgemeine Güte des Internetzugangs nicht beeinträchtigen".

Aktuell dazu in ORF.at

Der Streit über Netzneutralität, also der Gleichbehandlung von Webinhalten durch Internetanbieter, hat für Kunden des US-Streamingdienstes Netflix mittlerweile deutlich spürbare Konsequenzen.

Verzweigung von Daten und Internetströmen

CC BY 2.0, flickr.com, User: jurvetson

Wenn bei unveränderter Bandbreite des Internetzugangs beim Kunden bestimmte Services - ob YouTube, Netflix oder Facebook - schneller ankommen, dann kann das nur zu Ungunsten der anderen Services funktionieren. Dadurch würde nicht nur massiv in den Markt eingegriffen, indem der Wettbewerb zugunsten der derzeit führenden Anbieter verzerrt würde, auch das Recht auf Informationsfreiheit käme unter die Räder. Je nach Geschäftspolitik des Internetproviders würden dann einzelne Streamingdienste sehr schnell, andere wiederum mangelhaft ausgeliefert.

Korrekturhinweis: Der Begriff "Richtlinie" wurde in zwei Fällen durch die korrekte Bezeichnung "Verordnung" im Text ersetzt. Während eine Richtlinie gewissen Spielraum bei der Umsetzung bietet, ist eine Verordnung im Wortsinn in nationales Recht umzusetzen.

"Managed Services"

Seit Donnerstag sind nun Passagen, die Schlupflöcher für die Telekoms dafür darstellen, von Content-Anbietern erst recht wieder Geld für bevorzugte Auslieferung des Datenverkehrs an die Nutzer zu verlangen, erneut im aktuellen Entwurf enthalten. Dabei geht es zumeist nur um ein paar Worte, die aber den Ausschlag geben.

Die von der Berichterstatterin Pilar de Castillo (EVP Spanien) erstellte Punktierung für Montag enthält neue "Kompromisse", die keine sind, sondern Hintertüren, um "Managed Services" einzuführen. Bei weiträumigen Konzernnetzen machen solch garantierte Bandbreiten natürlich Sinn, eine Reihe großer europäischen Telekomanbieter hat aber dasselbe auch für Privatkunden vor.

"Uns gehört die Infrastruktur"

Der aktuelle Stand der Debatte im EU-Parlament, samt den Empfehlungen aller damit befassten Ausschüsse. Federführend in der Regelung für einen einheitliche Telekom-Binnenmarkt ist der Industrieausschuss des Parlaments

Hannes Ametsreiter, Chef der österreichischen A1-Telekom, hatte sich in dieser Hinsicht schon im Jahr 2011 weit aus dem Fenster gelehnt. Ametsreiters Aussage im Wall Street Journal - "Uns gehört die Infrastruktur. Wir sollten auch entscheiden können, wer sie wie nutzt" - hatte vor drei Jahren einen Sturm der Entrüstung bei Benutzern wie bei Internetfirmen ausgelöst. Die aktuelle Stellungnahme der A1-Telekom gegenüber ORF.at ist zwar deutlich neutraler, lässt aber Interpretationsspielraum offen.

A1-Chef Hannes Ametsreiter

APA / Roland Schlager

"A1 steht für ein offenes und neutrales Internet und fördert auch weiterhin die Möglichkeiten der Internet-Nutzer, Informationen abzurufen und zu verbreiten, sowie alle Anwendungen und Dienste zu nutzen. Wir haben derzeit keine Maßnahmen im Netz, die bestimmte Teile des Datenverkehrs priorisieren, es werden im Netz der A1 auch keine Anwendungen (wie z.B.: Skype) blockiert."

Weichenstellung

Die Formulierung "derzeit" signalisiert, dass man sich eine abweichende Option für die Zukunft offen hält. Dafür, dass die Möglichkeit,ein Zwei-Klassen-Internet einzuführen, nun wieder offensteht, hat die Berichterstatterin Pilar de Castillo mit gesorgt. Im federführenden Industrieausschauss werden am Montag die Weichen für einen Plenarbeschluss des EU-Parlaments im April gestellt.

Das offensichtliche Ziel der Kommission ist es, einen Monat vor den EU-Wahlen verkünden zu können, dass die unpopulären Roaming-Gebühren weitgehend abgeschafft sind. Da diese ebenfalls in der Novelle vorgesehene Maßnahme die Umsätze der Telekoms direkt treffen wird, wurde der Eingriff in die Netzneutralität quasi als Kompensation dafür geschaffen.

Wie dafür an den Formulierungen gedrechselt wird, zeigen diese Beispiele aus den letzten Änderungsanträgen der Novelle, die ORF.at bereits vorliegen. "Das Prinzip 'Netzneutralität' im offenen Internet bedeutet, dass der Datenverkehr gleichbehandelt werden soll", heißt es da in Rezital 45 von de Castillo. Im Änderungsantrag Catherine Trautmanns (SPE) liest sich die Passage so: "Das Prinzip 'Netzneutralität' bedeutet, dass der Datenverkehr gleichbehandelt werden soll."

Das Wort Netzneutralität mit Eicheln geschrieben

CC BY 2.0, flickr.com, User: redcctshirt

"Sponsored Services"

Der Ausdruck "offenes Internet" insinuiert ja, dass daneben auch ein "geschlossenes Internet" eben für "spezialisierte Dienste" existiere. Artikel 2.15 wiederum enthält die einigermaßen hinterhältig formulierte Möglichkeit, bestimmte Internetdienste bei der Auslieferung an den Kunden zu bevorzugen, "zur Verbesserung der Servicequalität."

Was man in Europa vorhat, zeigen die von AT&T Anfang Jänner vorgestellten "Sponsored Services" für Mobilfunknetze. Das Angebot besteht darin, aktuell verfügbare Bandbreite des Kunden an Sponsoren zu verkaufen, um darüber Werbevideos an den Kunden zu streamen. Als Kundenvorteil wird verkauft, dass er die Videos zusätzlich zum bezahlten Datenkontingent erhält. Dieses Geschäftsmodell wird in Entwicklungsländern - und da vor allem in Afrika - bereits seit längerem getestet.

AT&T vergleicht seine gesponserten Internetdienste mit den für Endkunden kostenlosen "1-800"-Vorwahlnummern und der Gratisauslieferung von Bestellungen durch Amazon.

Facebook, Google als Entwicklungshelfer

In diese "Emerging Markets" ist Google schon 2011 mit seiner "Freezone" für Mobiltelefonie vorgestoßen. Dort bietet man Gmail und ein paar andere Dienste zur Gratisnutzung an, die Services fallen nicht unter das beschränkte Datenvolumen der lokalen Mobilfunkanbieter. Hängt an der Mail ein Attachment - das ein viel höheres Datenvolumen aufweist als die Webmail-Anwendung selbst - muss dafür normal bezahlt werden.

Facebook wiederum ist im Oktober 2013 mit den Mobilfunk-Ausrüstern Ericsson und Nokia und der vollmundigen Ansage angetreten, "die nächsten fünf Milliarden Menschen ins Netz holen." Das geschieht natürlich in der Absicht, diese riesigen Zukunftsmärkte zu erschließen um sie fortan zu dominieren.

Facebook Logo versinkt im Sand

mkhmarketing on flickr, CC BY 2.0

Für einen krass unterversorgten Kommunikationsmarkt wie den afrikanischen erfüllt diese Art der "Entwicklungshilfe" allerdings einen wichtigen Zweck. Durch subventionierte Dienste wird der Ausbau der Mobilfunknetze beschleunigt und damit auch die lokalen Geschäfte.

Afrika und Europa

Die Aufstände rund um das Mittelmeer, die immer mit Facebook-Sperren einhergingen, wurden von einer - vergleichsweise mit Europa armen - Mittelschicht entscheidend mitgetragen, die Facebook universell nutzt. Über das Soziale Netz werden Einkauf, Marketing, Verkauf, Kundenkommunikation und Customer-Relationship-Management kleiner und kleinster Firmen abgewickelt.

Was dort Sinn macht, wo der Kommunikationsmarkt noch ganz am Anfang steht und für die Bedürfnisse der Gesellschaft viel zu langsam wächst, hat in einem hochentwickelten Markt wie in Europa völlig andere Auswirkungen. Hier ist nichts neu zu erschließen, denn in Europa herrscht seit Jahren Verdrängungswettbewerb.

Die "Entwicklungshelfer" Google und Facebook arbeiten sowohl mit Netzausrüstern wie auch regionalen Mobilfunkern zusammen.

Die Situation in den USA

Die aktuelle Entwicklung in den USA zeigt nun, was passiert, wenn es im von regionalen Quasi-Monopolen geprägten Telekommunikationssektor keine eindeutigen Verkehrsregeln gibt. Die zweitgrößte US-Telekom Verizon hatte vor Gericht gegen die Auflagen zur Netzneutralität durch die Regulationsbehörde FCC geklagt und Recht bekommen. Davor schon hatte der bei Internetzugängen führende Kabelnetzbetreiber Comcast erfolgreich gegen vergleichbare Auflagen geklagt.

Beiden Konzernen ist der zunehmend populäre Streaming-Anbieter Netflix ein Dorn im Auge. Comcast hat Netflix überhaupt gesperrt, weil die Firma als Pay-TV-Anbieter um den Absatz der eigenen Produkte fürchten muss. Während bei Netflix ein einfaches Abo-Schema zum einheitlichen Pauschalpreis waltet, haben die Pay-TV-Anbieter verwirrend viele verschiedene und erheblich teurere Paketkombinationen im Angebot.

Netflix-CD

CC BY 2.0, flickr.com, User: Marit & Toomas Hinnosaar

Was gleichzeitig passiert

Fast zeitgleich zum Gerichtsurteil pro Verizon hatte Comcast Time Warner übernommen. Mit rund 35 Millionen Kunden ist Comcast damit haushoher Marktführer bei Internetzugängen, dahinter folgen AT&T mit 16 und Verizon mit acht Millionen Kunden. Anders als in Europa üblich, wird mobiles Breitband in den US-Statistiken nicht mitgezählt.

Das hat gute Gründe, zumal DSL-, Kabelnetz- oder Glasfaserverbindungen definierte Bandbreiten vom Provider zum Kunden haben. Bei Mobilfunknetzen hängt die verfügbare Bandbreite jedoch völlig davon ab, wieviele Benutzer gerade in derselben Funkzelle aktiv sind.

Plötzlich Probleme für Netflix

Direkt nach dem Gerichtsurteil, das den ohnehin schwach aufgestellten US-Regulator FCC noch mehr geschwächt hat, begannen für Netflix die Probleme. Die Übertragungsraten des Streaming-Dienstes im Verizon-Netz fielen in den Keller und zwar auch bei den Glasfaseranschlüssen. Verizon macht dafür die neuen Netflix-Angebote für hochauflösende Streaming-Services und Fehler bei der Datenkompression verantwortlich. Der Nachweis, dass diese Datenströme absichtlich gedrosselt werden, aber ist in der Praxis kaum zu erbringen, da nur Verizon selbst weiß, was im Verizon-Netz tatsächlich passiert.

Google ist wiederum mit diesen Problemen schon seit Jahren konfrontiert, zumal YouTube-Videos allein für etwa 20 Prozent des gesamten Datenaufkommens in den USA verantwortlich sind. Netflix verbraucht jetzt schon dort, wo seine Dienste angeboten werden, noch mehr Bandbreite, laut übereinstimmenden Schätzungen sind YouTube und Netflix in Spitzenzeiten zuasammen für die Hälfte des Datenverkehrs verantwortlich.

Google Fiber

Um diesen Problemen zu entgehen, baut Google sein Glasfaser-Backbone sukzessive in Richtung Endkunden aus. Zu diesem Zweck arbeitet man mit Stadtverwaltungen und kleineren, lokalen Kabel-TV-Betreibern zusammen, von denen es in den USA eine Unzahl gibt. Der Widerstand dagegen aber ist erheblich, in dreißig Bundesstaaten existieren bereits Gesetze, die eine solche Private-Public-Partnership verbieten, weil sie angeblich den Wettbewerb verzerrt.

In einem Bildschirm spiegelt sich eine Person, auf dem Bildschirm liest man allerlei Daten

Junco Films

Google Fiber ist erst in wenigen Städten in den USA erhältlich, speziell angeboten werden Netflix und andere Streamingdienste, dazu eine Reihe von Cloudservices.

Der aber existiert de facto nicht, zumal unterschiedlich aufgestellte regionale Monopole in den US-Bundestaaten dominieren. Zudem gibt es nicht einmal klare und einheitliche Definitionen, wer überhaupt als Internetzugangsanbieter einzustufen ist. Comcast führt zwar haushoch bei Internetkunden, kann als Kabel-TV-Unternehmen jedoch nicht verpflichtet werden, konkurrierende Internetvideodienste wie Netflix anzubieten. Die Telekoms wiederum versuchen, der bestehenden Regulation des Telekommarkts zu entgehen, weil sie auch TV- und Streamingservices anbieten.

"Spezialisierte Dienste" in Europa

In diesem Licht betrachtet kann das aktuelle Gedrechsel am Wortlaut der Novelle zum Telekom-Binnenmarkt durch die EU-Kommission potenziell verheerende Auswirkungen haben. Wenn das Quasimonopol eines Mitgliedsstaats, also eine Telekom, mit einem dominierenden Serviceanbieter wie Google oder Facebook kooperiert, dann ist eine neue Art von Angeboten nach dem Muster von AT&T vor allem im Mobilfunk möglich.

Ein Gigabyte allgemeiner Internetverkehr, die Google-Services - vor allem YouTube-Videos - zählen jedoch nicht dazu, sondern als "spezielle Dienste" und werden deshalb auch bei der Bandbreite bevorzugt. Wenn Google eben die Telekoms dafür bezahlt, oder am Erlös durch Werbung beteiligt. Damit würden die bestehenden, regionalen Quasimonopole bei der Leitungsinfrastruktur in Europa ebenso verfestigt, wie die momentane Dominanz von weniger als einem Dutzend Internetfirmen aus den USA auf absehbare Zeit zementiert würde.

Eine Vorentscheidung darüber, in welche Richtung es während der nächsten Jahre in Europa gehen wird, fällt am Montag Abend, wenn der Industrieausschuss des europäischen Parlaments über die Verordnung zum Telekom-Binnenmarkt abstimmen wird.