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Claudia Unterweger

Moderiert FM4 Connected und FM4 Homebase.

20. 2. 2014 - 18:17

"Es muss Sanktionen geben"

Yevgen Lozhkin vom Verein Demokratische Ukraine im Interview: Was würden EU-Sanktionen bringen und was erhofft er sich von der österreichischen Regierung?

Die Proteste in der Ukraine gehen weiter. Aber auch jenseits der Grenzen des Landes demonstrieren pro-europäische Ukrainerinnen und Ukrainer. Seit heute Mittag halten sie in Wien Mahnwache vor dem Bundeskanzleramt. Sie fordern Neuwahlen in der Ukraine, aber kritisieren auch Österreichs Verstrickungen mit den Machthabern in Kiew.

Ich habe heute mit mit Yevgen Lozhkin vom Verein Demokratische Ukraine gesprochen. Er arbeitet seit zehn Jahren als Software-Entwickler in Wien und hilft mit, hier in Österreich die ukrainische Protestbewegung zu organisieren. Über Internet und Telefon hält er Kontakt mit Familie und Freunden in der Ukraine.

Wie erleben Sie und ihre Freunde hier in Wien die dramatische Situation in ihrer Heimat?

Viele von uns haben Freunde, die am Unabhängigkeitsplatz stehen, es gibt auch schon Verletzte unter unseren Freunden. Wir fühlen uns machtlos, weil wir hier sind und nicht helfen können. Deshalb haben wir uns organisiert und tun, was wir tun können.

Ukraine

EPA/ZURAB KURTSIKIDZE

Jetzt ist auch Wolodimir Makejenko, der Bürgermeister von Kiew, aus der Regierungspartei ausgetreten - er sagt, aus Protest gegen das Blutvergießen und spricht auch von Brudermord. Haben Sie den Eindruck, dass die Front rund um Präsident Janukowitsch zu bröckeln beginnt?

Es sieht so aus, aber ich würde noch keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen, es ist noch nicht vorbei. Ich glaube, dass es sich bis heute Abend abzeichnen wird: Entweder es wird zerbröseln und Janukowitsch wird allein bleiben, bzw. mit einer Handvoll ihm treuer Menschen, oder es wird ein Ausnahmezustand.

Mehrere europäische Außenminister sind jetzt zu Verhandlungen bzw. Gesprächen in der Ukraine, es ist aber auch die Rede davon, dass die EU gegen bestimmte Personen Sanktionen überlegt. Wie wahrscheinlich ist denn das und wäre das ein effektives Mittel?

Es wäre ein sehr effektives Mittel. Ich habe auch gestern gehört, dass manche Abgeordnete Angst vor diesen Sanktionen haben und dass dadurch die Ukraine in Richtung Russland getrieben wird, als Beispiel wird oft Weißrussland genannt, das ja seit vielen Jahren mit Sanktionen lebt. Aber es gibt Unterschiede zwischen der Ukraine und Weißrussland. Die Abgeordneten in Weißrussland sind keine Oligarchen, die haben kein Geld und keine Geschäfte mit Europa. In der Ukraine ist es so, dass die Abgeordneten sehr große Geschäfte in Europa haben. Die haben einen zweiten Wohnsitz in Europa, die haben Immobilien, Konten, Firmen. Über diese Firmen wird auch viel Geld gewaschen. Diese Personen, die teilweise für das Blutvergießen in der Ukraine verantwortlich sind, die haben auch Macht im Parlament über Gruppen von Abgeordneten. Wenn diese Gruppen anfangen zu scheitern... das sind Geschäftsmänner, die brauchen Geld, blutige Macht ist nicht das, was die wollen. Die brauchen das Geld in Europa. Was bringt denen Geld, das sie nur in Russland verwenden können? Diese Sanktionen könnten also ein effektives Mittel sein.

Proteste in der Ukraine

APA/EPA/FILIP SINGER

Ihr Verein „Demokratische Ukraine“ kritisiert auch ganz gezielt Österreichs Rolle in dieser Affäre, was genau ist der Kritikpunkt?

Österreich spielt eine sehr große Rolle, weil Österreich immer noch ein sehr starkes Bankgeheimnis hat. Das erlaubt den ukrainischen Oligarchen einen Direktzugang zu Geld von in Österreich angemeldeten Firmen, die sie dann weiter verkaufen oder in Offshore-Zonen bringen. Viele ukrainische Journalisten haben schon gute Arbeit geleistet, haben viele Beweise gefunden, es liegt nun an den österreichischen Behörden, das gründlich zu überprüfen - und da hat Österreich noch keine Bereitschaft gezeigt, das zu machen.

Was würden sie sich jetzt von der österreichischen Regierung wünschen?

Dass es Sanktionen gibt: gegen die Oligarchen, gegen die Leute, die direkt mit den blutigen Ereignissen verbunden sind. Azarov, Klyuyev, Firtash - das sind die drei größten Familien, die auch in Österreich Wohnsitze und Firmen haben, und diese Leute sind direkt verantwortlich. Gegen diese Personen sollten politische oder wirtschaftliche Sanktionen gesetzt werden: Konten sperren, gründliche Überprüfung von Firmen – das wären sehr starke Druckmittel.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung in der Ukraine ein; wo wird das hinführen? Es gibt Menschen, die sprechen schon von Krieg?

Ich weiß nicht, wie das heute ausgeht. Wenn sich heute wirklich genug Abgeordnete im Parlament versammeln und wenn die die Verantwortung auf sich nehmen und die neue Regierung darstellen und der Innenminister die Polizeitruppen zurückzieht, dann könnte man über Deeskalation sprechen. Und dann beginnt die große Arbeit, all diese Verbrechen zu dokumentieren. Und die Bilder, die ich gesehen habe – auf Youtube z.B. –, das sind Verbrechen gegen die Menschheit. Das gab es das letzte Mal in Europa während des Balkankriegs. Man darf nicht zulassen, dass das ungestraft bleibt. In vielen Teilen der Ukraine sind die Regierungsgebäude und Polizeistützpunkte bereits gestürmt worden. Es gibt auch Meldungen, dass die Polizei auf die Seite der Protestierenden wechselt .