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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

22. 2. 2014 - 13:05

Transgender Dysphoria Blues

Against Me! veröffentlichen das erste Album nach dem Coming Out von Sänger Tom Gabel als Laura Jane Grace. Es geht unter die Haut.

Weitere Albenrezensionen unter

You want them to notice
The ragged ends of your summer dress
You want them to see you
Like they see any other girl
They just see a faggot
They hold their breath not to catch the sick

(Transgender Dysphoria Blues)

Ein Bandname, wie er passender nicht sein könnte: Against Me!, die Band aus Gainesville, Florida, war seit dem Anbeginn als Soloprojekt von Tom Gabel im Jahr 1997 das Transportvehikel für seine Selbstzweifel und Verzweiflungen am politischen und sozialen Umfeld. Entsprechend direkt, nah und von Herzen kamen die Songs, auch in den unterschiedlichen Band-Formationen, in denen Against Me! in den Nuller-Jahren acht Alben und vier EPs veröffentlicht haben.

Auf dem neunten, im Jänner erschienenen Album Transgender Dysphoria Blues sind sich Against Me! treu geblieben. Allerdings hat die Band noch ein, zwei Dringlichkeitsstufen zugelegt.

Schwarz-weißes Plattencover mit der Zeichnung einer würfelförmig aus dem Fleisch geschnittenen weiblichen Brust.

Against Me

Im Mai 2012 hatte Tom Gabel, Against Me!-Gründer, Frontman, Texter, Sänger und Gitarrist in einem Interview mit dem Rolling Stone bekannt gegeben, künftig als Laura Jane Grace zu leben. Plötzlich fügten sich in der Rückschau auf Against Me!s Werk einige Puzzleteile zusammen. Der eine oder andere Songtitel, das eine oder andere Plattencover erschien in einem anderen Licht. Dabei war Gabel eigentlich immer wieder recht explizit. Auf "Searching for a Former Clarity", dem Titelsong des 2005er Albums, heißt es etwa: Confessing childhood secrets of dressing up in women's clothes/Compulsions I never knew the reasons to.

Auf Transgender Dysphoria Blues, besingt Laura Jane Grace das Leben mit ihrer neuen Identität. Und man ahnt schon, wenn man die ersten Zeilen des Titelsongs hört, dass die Probleme und Zweifel mit sich selbst und ihrem Umfeld mit dem Coming Out nicht verschwunden sind. Und man hört, dass die Wut eher zugenommen hat.

Dabei hat die Punkszene das Coming Out des Tom Gabel als Laura Jane Grace zumindest an der Oberfläche recht entspannt aufgenommen. Man hatte eher das Gefühl, als herrsche kollektive Erleichterung: Denn als Punk steht man zwar eigentlich auf der Seite der Ausgegrenzten, aber im wirklichen Leben ist auch die Punkszene großteils männlich, weiß und heterosexuell - und im Punk-Mainstream, also dort, wo mittlerweile auch die Millionen umgesetzt werden und wo die Strukturen der machoiden Rock-Business-Maschine voll durchschlagen, ist sie das fast komplett.

Drinking With The Jocks

I’m drinking with the jocks
I’m laughing at the faggots
just like one of the boys
Swinging my dick in my hand

All of my life, all of my life
Just like I was one of them

In den USA ist man sehr schnell im Punk-Mainstream, wenn man gut und die Musik eingängig genug ist und man sich nicht verweigert. Und wenn man männlich, weiß und heterosexuell ist, was Against Me! ja scheinbar waren, bis vor kurzem. So hat die Band in den letzten Jahren auch gern am Rand des Punk-Mainstreams mitgenascht - mit allen Konsequenzen.

Doch das Spannende an Against Me! war immer, dass sie eben nur am Rand der großen Mainstream-Maschine gestanden sind. Da waren immer diese Selbstzweifel, dieses Reflektieren der eigenen Person, das so gar nicht in die selbstbewusst-aggressive Welt der amerikanischen (Polit)Punk-Szene passen wollte. Auf der neue Platte strahlt Laura Jane Grace eine Identität, ein Selbst-Bewusstsein aus, das Tom Gabel nie hatte.

Black Me Out

I don't ever want to talk that way again
I don't want to know people like that anymore
I don't want to see the world that way anymore
I don't want to feel that weak and insecure

Against Me! kommt am 10.6.2014 in die ARENA Wien. Der Vorverkauf für das Konzert beginnt am Freitag, 7.3.2014.

Transgender Dysphoria Blues erscheint nicht mehr bei einem Major, wie die letzten beiden Alben, sondern bei Laura Jane Grace's eigenem Label Total Treble. Trotzdem setzen Against Me! augerechnet jetzt, als zwar immer noch weiße, aber nicht mehr männliche oder heterosexuelle Band zum großen Sprung an. Kürzlich waren sie bei David Letterman in der Tonight Show, im März und April gehen sie auf eine ausgedehnte Nordamerika Tour - mit einem Album, das nicht deswegen großartig ist, weil es musikalisch besonders innovativ wäre, sondern weil hier jemand ihr Innerstes nach außen kehrt und zu Musik macht.